Rezensionen


 

Andre Gutmann: Die Schwabenkriegschronik des Kaspar Frey und ihre Stellung in der eidgenössischen Historiographie des 16. Jahrhunderts.
Band 1: Darstellung, Band 2: Edition Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg, Reihe B: Forschungen, Bd. 176 Kohlhammer Verlag Stuttgart, 2010. XLIX u. 1002 S., 88,-€
ISBN 978-3-17020-982-4

Dieses Werk stellt die imposante Leistung eines jungen Wissenschaftlers dar, erarbeitet als Dissertation am Lehrstuhl für mittelalterliche Geschichte und Landesgeschichte der Freiburger Universität (Prof. Dr. Thomas Zotz), gestaltet als umfassende Analyse eidgenössischer Geschichtsschreibung im 16. Jahrhundert. Im Mittelpunkt der Publikation steht eine bislang kaum bekannte Chronik des Schwabenkriegs und deren Autor Kaspar Frey, den Gutmann erstmals identifizieren konnte und dessen Bedeutung er gleichsam in konzentrischen Kreisen in der Historiographie seiner Zeit verortet. Zugleich bietet das Werk erstmals eine Edition dieser eminent aussagereichen Quelle samt einer exakten Interpretation des Textes.

Die Chronik des Kaspar Frey schildert in höchst authentischer Weise die kriegerische Auseinandersetzung zwischen den Eidgenossen und ihren Feinden von 1499, die man in der Schweiz Schwabenkrieg, auf deutscher Seite Schweizerkrieg nennt. Die unterschiedliche Benennung deutet eine bis heute noch fortwirkende kontroverse Deutung und Beurteilung jener überaus grausamen und verlustreichen Kämpfe an. Ging es aus deutscher Sicht um die weitere Zugehörigkeit der Schweiz zum Reich, so sahen die Eidgenossen den Krieg vielmehr als Verteidigungskampf gegen habsburgisch-österreichische Angriffe auf ihre

Freiheitsrechte. Verschiedene Veröffentlichungen im Jahr 1999 aus Anlass des Gedenkens an die Ereignisse vor 500 Jahren haben vieles geklärt und vor allem den Mythos widerlegt, es habe sich um eine nationale Erhebung der Schweiz gehandelt, als das siegreiche Ende im »Freiheitskampf der Vorfahren« . Die von Gutmann nun allgemein zugänglich gemachte Kriegschronik bestätigt sehr klar, dass sich die Eidgenossen in der blutigen Auseinandersetzung nur gegen die Österreicher und ihre Verbündeten (zumal den Schwäbischen Bund) richteten. Diese werden vom Chronisten stets als »ire feyndt« oder als »die Schwäbischen« bezeichnet, von denen sie, die Eidgenossen, unverschuldet überfallen und geschädigt worden und täglich mit schändlichen, unchristlichen Worten gereizt worden seien. In der Tat war die Stimmung zwischen den Nachbarn am Hochrhein im ausgehenden 15. Jahrhundert zusehends gereizt, es gab Beschimpfungen der Eidgenossen als Kuhschweizer oder gar »Kuegkyer« (= Kuhschänder), worauf diese die Gegenseite als »Sauschwaben« beschimpften. Dass im Frühjahr 1499 der Konflikt aus unbedeutendem Anlass zu einem brutalen gegenseitigen Hauen und Stechen eskalierte, zeigt nur die tiefen Ressentiments auf beiden Seiten, aber auch die entschlossene Solidarisierung der eidgenössischen Orte untereinander und ihr militärisches Selbstbewusstsein.

Kaspar Frey, das hat Gutmann sehr klar herausgearbeitet, ist ein überaus zuverlässiger Chronist. Er war zeitweise Kriegsteilnehmer in führender Position, nahm bei verschiedenen Tagsatzungen an den Beratungen zur Konfliktlösung teil. Er schrieb seine Chronik schon wenige Monate nach Kriegsende und konnte Akten und Berichte von anderen Augenzeugen benutzen. Er blieb dabei kritisch gegenüber zweifelhaften Informationen und fühlte sich streng der Wahrheit verpflichtet. Er verfasste seine Chronik in der für ihn als gebildeten Humanisten charakteristischen Absicht, künftige Generationen zu lehren, »sich zu Gutem zu schicken und vor Bösem zu bewahren« und ihnen so bessere Handlungssicherheit zu geben, indem er den Krieg als abschreckende Erfahrung mit Tod und Leid, Blutvergießen und Zerstörung so realistisch wie möglich darstellte.

Ein Beispiel aus der Chronik mag dies veranschaulichen. Frey erzählt, wie Mitte April 1499 die Eidgenossen die Stadt Tiengen belagerten; es wurden Schüsse
hinein und hinaus gewechselt. Besonders viel Schaden erlitten die Eidgenossen durch Schüsse, die von einem Juden aus einem Erker eines Tiengener Stadtturmes abgefeuert wurden. Darauf wollte ein Büchsenmeister aus dem eidgenössischen Fribourg sein Geschütz gegen den Erker richten, aber der Jude, der das beobachtete, kam ihm zuvor und gab aus dem Turm den ersten Schuss ab, womit er den Büchsenmacher samt einem jungen Mann neben ihm tödlich traf. Darauf beschossen die Eidgenossen nun den Erker, bis der in den Graben hinunter fiel. Als sich die Stadt endlich ergab, wurde der Jude denen von Freiburg geschenkt, die ihn an seinen Füßen an einem Baum aufhängten, woran er zwei Tage lebendig hängen blieb, bis ihm der Henker von Freiburg das Haupt abschlug. Zwei weitere Juden wurden gefangen, sie waren christlich getauft, und zwei Judenmädchen führte man nach Baden im Aargau, wo sie getauft wurden, die ältere auf den Namen Magdalena. Ein auf S. 959 abgedruckter Holzschnitt aus einer anderen Schwabenkriegschronik zeigt, wie die Besatzung von Tiengen nur mit einem Hemd bekleidet die brennende Stadt verlässt, von stolzen Siegern flankiert und gedemütigt. Die Eidgenossen zogen nun in den Hegau vor die Stadt Blumenfeld, beschossen die Stadt, bis die Belagerten aufgaben. Die Bewohner erhielten freien Abzug. Sodann wurden Wein, Korn, Hafer, Fässer und weiteres als Beute erfasst, aufgeteilt und in die Eidgenossenschaft abgeführt. Danach wurde das wohl befestigte Städtlein angezündet und niedergebrannt.

Gutmann erläutert die von ihm edierte Chronik systematisch und fügt zu einzelnen Textstellen ausführliche Fußnoten an, die in enormer Detailarbeit auf Zusammenhänge sowie auf analoge Quellen verweisen. Ein besonderes Verdienst von Gutmann liegt in der eingehenden und überaus interessanten Biographie von Kaspar Frey, den er in minutiöser Forschung als den Autor der bislang nur anonym überlieferten Chronik ermittelt hatte. Frey war nach dem Studium in Basel und Paris in seiner Geburtsstadt Baden 1484 als Nachfolger von Ulrich Zasius Stadtschreiber und Notar geworden. 1498 wurde er zum Schultheißen gewählt, wurde dann im Schwabenkrieg Oberhauptmann des städtischen Aufgebots und wechselte nach dem Kriegsende in den Dienst der Abtei St. Gallen in verschiedenen Funktionen, u. a. als Reichsvogt von Rorschach. 1515 wurde Frey schließlich Bürger von Zürich und erhielt dort das Amt des Stadtschreibers, das er bis kurz vor seinem Tod 1526 oder 1527 ausübte.

Durch sehr eingehende Vergleiche mit den zahlreichen anderen Quellen zum Schwabenkrieg und ihren Verfassern arbeitet Gutmann die besondere Leistung von Kaspar Frey als Geschichtsschreiber heraus. Außerdem untersucht er in umfangreichen Studien die Rezeptions- und Überlieferungsgeschichte der Schwabenkriegschronik von Kaspar Frey. Ein Glossar sowie ein Orts- und Personenregister erleichtern die Erschließung und Benutzung des Werkes. Im Anhang stellt Gutmann eine Reihe bisher unveröffentlichter Briefe von Kaspar Frey (u. a. an Ulrich Zasius) vor. Etliche Faksimiles vermitteln einen unmittelbaren Eindruck von den Quellen, die Gutmann benutzt bzw. erschlossen hat. Insgesamt bietet das Werk einen einzigartigen Überblick über die eidgenössische Historiographie des 16. Jahrhunderts mit neuen Erkenntnissen über ihre Vernetzung. Zugleich bietet es ein detailgenaues Bild von den Ereignissen und Zusammenhängen, den handelnden Personen und den politischen Verhältnissen im südwestdeutschen und eidgenössischen Raum am Hoch- und Oberrhein an der Wende vom Spätmittelalter zur Neuzeit.

Wolfgang Hug

1/2011
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