Dieses Werk stellt die imposante Leistung eines jungen Wissenschaftlers
dar, erarbeitet als Dissertation am Lehrstuhl für mittelalterliche
Geschichte und Landesgeschichte der Freiburger Universität
(Prof. Dr. Thomas Zotz), gestaltet als umfassende Analyse eidgenössischer
Geschichtsschreibung im 16. Jahrhundert. Im Mittelpunkt der Publikation
steht eine bislang kaum bekannte Chronik des Schwabenkriegs und
deren Autor Kaspar Frey, den Gutmann erstmals identifizieren
konnte und dessen Bedeutung er gleichsam in konzentrischen Kreisen
in der Historiographie seiner Zeit verortet. Zugleich bietet
das Werk erstmals eine Edition dieser eminent aussagereichen
Quelle samt einer exakten Interpretation des Textes.
Die Chronik des Kaspar Frey schildert in höchst authentischer
Weise die kriegerische Auseinandersetzung zwischen den Eidgenossen
und ihren Feinden von 1499, die man in der Schweiz Schwabenkrieg,
auf deutscher Seite Schweizerkrieg nennt. Die unterschiedliche
Benennung deutet eine bis heute noch fortwirkende kontroverse
Deutung und Beurteilung jener überaus grausamen und verlustreichen
Kämpfe an. Ging es aus deutscher Sicht um die weitere Zugehörigkeit
der Schweiz zum Reich, so sahen die Eidgenossen den Krieg vielmehr
als Verteidigungskampf gegen habsburgisch-österreichische
Angriffe auf ihre
Freiheitsrechte. Verschiedene Veröffentlichungen im Jahr
1999 aus Anlass des Gedenkens an die Ereignisse vor 500 Jahren
haben vieles geklärt und vor allem den Mythos widerlegt,
es habe sich um eine nationale Erhebung der Schweiz gehandelt,
als das siegreiche Ende im »Freiheitskampf der Vorfahren« .
Die von Gutmann nun allgemein zugänglich gemachte Kriegschronik
bestätigt sehr klar, dass sich die Eidgenossen in der blutigen
Auseinandersetzung nur gegen die Österreicher und ihre Verbündeten
(zumal den Schwäbischen Bund) richteten. Diese werden vom
Chronisten stets als »ire feyndt« oder als »die
Schwäbischen« bezeichnet, von denen sie, die Eidgenossen,
unverschuldet überfallen und geschädigt worden und
täglich mit schändlichen, unchristlichen Worten gereizt
worden seien. In der Tat war die Stimmung zwischen den Nachbarn
am Hochrhein im ausgehenden 15. Jahrhundert zusehends gereizt,
es gab Beschimpfungen der Eidgenossen als Kuhschweizer oder gar »Kuegkyer« (=
Kuhschänder), worauf diese die Gegenseite als »Sauschwaben« beschimpften.
Dass im Frühjahr 1499 der Konflikt aus unbedeutendem Anlass
zu einem brutalen gegenseitigen Hauen und Stechen eskalierte,
zeigt nur die tiefen Ressentiments auf beiden Seiten, aber auch
die entschlossene Solidarisierung der eidgenössischen Orte
untereinander und ihr militärisches Selbstbewusstsein.
Kaspar Frey, das hat Gutmann sehr klar herausgearbeitet, ist
ein überaus zuverlässiger Chronist. Er war zeitweise
Kriegsteilnehmer in führender Position, nahm bei verschiedenen
Tagsatzungen an den Beratungen zur Konfliktlösung teil.
Er schrieb seine Chronik schon wenige Monate nach Kriegsende
und konnte Akten und Berichte von anderen Augenzeugen benutzen.
Er blieb dabei kritisch gegenüber zweifelhaften Informationen
und fühlte sich streng der Wahrheit verpflichtet. Er verfasste
seine Chronik in der für ihn als gebildeten Humanisten charakteristischen
Absicht, künftige Generationen zu lehren, »sich zu
Gutem zu schicken und vor Bösem zu bewahren« und ihnen
so bessere Handlungssicherheit zu geben, indem er den Krieg als
abschreckende Erfahrung mit Tod und Leid, Blutvergießen
und Zerstörung so realistisch wie möglich darstellte.
Ein Beispiel aus der Chronik mag dies veranschaulichen. Frey
erzählt, wie Mitte April 1499 die Eidgenossen die Stadt
Tiengen belagerten; es wurden Schüsse
hinein und hinaus gewechselt. Besonders viel Schaden erlitten
die Eidgenossen durch Schüsse, die von einem Juden aus einem
Erker eines Tiengener Stadtturmes abgefeuert wurden. Darauf wollte
ein Büchsenmeister aus dem eidgenössischen Fribourg
sein Geschütz gegen den Erker richten, aber der Jude, der
das beobachtete, kam ihm zuvor und gab aus dem Turm den ersten
Schuss ab, womit er den Büchsenmacher samt einem jungen
Mann neben ihm tödlich traf. Darauf beschossen die Eidgenossen
nun den Erker, bis der in den Graben hinunter fiel. Als sich
die Stadt endlich ergab, wurde der Jude denen von Freiburg geschenkt,
die ihn an seinen Füßen an einem Baum aufhängten,
woran er zwei Tage lebendig hängen blieb, bis ihm der Henker
von Freiburg das Haupt abschlug. Zwei weitere Juden wurden gefangen,
sie waren christlich getauft, und zwei Judenmädchen führte
man nach Baden im Aargau, wo sie getauft wurden, die ältere
auf den Namen Magdalena. Ein auf S. 959 abgedruckter Holzschnitt
aus einer anderen Schwabenkriegschronik zeigt, wie die Besatzung
von Tiengen nur mit einem Hemd bekleidet die brennende Stadt
verlässt, von stolzen Siegern flankiert und gedemütigt.
Die Eidgenossen zogen nun in den Hegau vor die Stadt Blumenfeld,
beschossen die Stadt, bis die Belagerten aufgaben. Die Bewohner
erhielten freien Abzug. Sodann wurden Wein, Korn, Hafer, Fässer
und weiteres als Beute erfasst, aufgeteilt und in die Eidgenossenschaft
abgeführt. Danach wurde das wohl befestigte Städtlein
angezündet und niedergebrannt.
Gutmann erläutert die von ihm edierte Chronik systematisch
und fügt zu einzelnen Textstellen ausführliche Fußnoten
an, die in enormer Detailarbeit auf Zusammenhänge sowie
auf analoge Quellen verweisen. Ein besonderes Verdienst von Gutmann
liegt in der eingehenden und überaus interessanten Biographie
von Kaspar Frey, den er in minutiöser Forschung als den
Autor der bislang nur anonym überlieferten Chronik ermittelt
hatte. Frey war nach dem Studium in Basel und Paris in seiner
Geburtsstadt Baden 1484 als Nachfolger von Ulrich Zasius Stadtschreiber
und Notar geworden. 1498 wurde er zum Schultheißen gewählt,
wurde dann im Schwabenkrieg Oberhauptmann des städtischen
Aufgebots und wechselte nach dem Kriegsende in den Dienst der
Abtei St. Gallen in verschiedenen Funktionen, u. a. als Reichsvogt
von Rorschach. 1515 wurde Frey schließlich Bürger
von Zürich und erhielt dort das Amt des Stadtschreibers, das
er bis kurz vor seinem Tod 1526 oder 1527 ausübte.
Durch sehr eingehende Vergleiche mit den zahlreichen anderen
Quellen zum Schwabenkrieg und ihren Verfassern arbeitet Gutmann
die besondere Leistung von Kaspar Frey als Geschichtsschreiber
heraus. Außerdem untersucht er in umfangreichen Studien
die Rezeptions- und Überlieferungsgeschichte der Schwabenkriegschronik
von Kaspar Frey. Ein Glossar sowie ein Orts- und Personenregister
erleichtern die Erschließung und Benutzung des Werkes.
Im Anhang stellt Gutmann eine Reihe bisher unveröffentlichter
Briefe von Kaspar Frey (u. a. an Ulrich Zasius) vor. Etliche
Faksimiles vermitteln einen unmittelbaren Eindruck von den Quellen,
die Gutmann benutzt bzw. erschlossen hat. Insgesamt bietet das
Werk einen einzigartigen Überblick über die eidgenössische
Historiographie des 16. Jahrhunderts mit neuen Erkenntnissen über
ihre Vernetzung. Zugleich bietet es ein detailgenaues Bild von
den Ereignissen und Zusammenhängen, den handelnden Personen
und den politischen Verhältnissen im südwestdeutschen
und eidgenössischen Raum am Hoch- und Oberrhein an der Wende
vom Spätmittelalter zur Neuzeit.
Wolfgang Hug
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