1907, ein Jahr vor seinem Tod, lernte Emil Gött
den Germanisten und Literaturhistoriker Roman Woerner kennen,
der später die Edition des Gött’schen Werkes
besorgte. Im nämlichen Jahr begann Gött eine Brieffreundschaft
mit der Lyrikerin Ursula Carolina Woerner, Romans Schwester,
die wegen eines rätselhaften Dauerkopfwehs kaum das Haus
verlassen konnte. Neben ihrem Bruder war sie für Gött
die wichtigste literarische Bezugsperson seiner letzen Zeit.
So äußert sich Volker Schupp, der die Freiburger Literaturszene
vor dem Ersten Weltkrieg erforschte und ein Beziehungsgeflecht
von sieben Personen ausmachte. Emil Strauß ist wohl der
Bekannteste. Er kannte Gött schon seit etlichen Jahren.
Gemeinsam hatten sie sich als Anhänger der Lebensreform
im naturnahen Landbau versucht. Über die Geschwister Woerner
bestand Kontakt zu der Dichterin Harriet Straub und dem jüdischen
Schriftsteller und Journalisten Fritz Mauthner, der 1905 von
Berlin nach Freiburg gekommen war. Eine weitere junge Frau gehörte
dem Kreis an, erst als Freundin von Carolina, dann als Ehefrau
von Roman Woerner: die Lyrikerin Hertha Koenig, Tochter eines
westfälischen Gutsbesitzers. Roman Woerners überregionalen
gesellschaftlichen Verbindungen verdankte sie eine Begegnung
mit Rainer Maria Rilke, der fortan ihr literarisches Vorbild
war. Volker Schupp hat diesen Literatenkreis aufgespürt
und die Biographien sorgfältig erforscht. Seine Ergebnisse
sind publiziert in einem Band, der seine Entstehung der 550-Jahr-
feier der Universität Freiburg von 2007 verdankt: Poeten
und Professoren.
Aus Porträts von Gelehrten, die sich von Freiburg aus schreibend
an die Öffentlichkeit oder die Nach
weit wandten, sollte eine kleine Literaturgeschichte Freiburgs
entstehen. Der zeitliche Rahmen spannt sich vom hohen Mittelalter
bis in die 1950er Jahre. Es beginnt mit den Dominikanern und
Dominikanerinnen, die lange vor der Universitätsgründung
Studium und Wissenschaft pflegten und Handschriften mit literarischen
Zeugnissen hinterließen. Das Adelhauser Schwesternbuch,
eine Klosterchronik mit Schwesternviten in deutscher Sprache
ist ein Beispiel. Anna von Munzingen nennt sich selbstbewusst
als Verfasserin. Für die wichtige, von der lateinischen
Sprache dominierte Epoche des Humanismus stehen vier Namen: Erasmus
von Rotterdam, Jakob Locher, der an der Universität als
Vermittler des klassischen Latein wirkte und daneben eigene Werke
wie z. B. ein Drama über die Türkenkriege verfasste,
der Elsässer Franziskaner Thomas Murner, der sich als kritischer
Katholik in handfesten Satiren mit den Reformatoren auseinandersetzte,
dann der Schweizer Henricus Glarean, der dreißig Jahre
lang in Freiburg lehrte und sich mit dem Titel poeta laureatus
schmücken durfte.
Johann Georg Jacobi, der 1784 als 40-Jähriger nach Freiburg
kam, war ein beliebter Universitätslehrer im Fach Ästhetik
und klassische Philologie und daneben ein produktiver, populärer
Dichter im Stil zwischen Rokoko und Biedermeier. Als Herausgeber
des Periodikums »Iris« publizierte er auch Werke
seiner Schriftsteller-Freunde, zu denen der Elsässer Pfeffel
und Josef Albrecht von Ittner, der letzte Prior von Heitersheim,
gehörten. In Jacobis Alterswerk fällt die wachsende
Identifikation des gebürtigen Düsseldorfers mit Freiburg,
dem Schwarzwald und dem Land am Oberrhein auf. Für die Mitte
des 19. Jahrhunderts steht ein Beitrag über Karl von Rotteck
und sein historisch-politikwissenschaftliches Werk. Als Denker
der Spätaufklärung werden die Theologen Heinrich Schreiber
und Ignaz Heinrich von Wessen- berg gewürdigt. Portraits
der Ordinarien Treitschke, Max Weber, Meinecke und Gerhard Ritter,
gewichtiger Vertreter ihrer Fächer Geschichte und Nationalökonomie,
und der Philosophen Husserl und Heidegger verbinden das späte
19. mit dem 20. Jahrhundert. Zwei anrührende echte Dichterbiographien,
die räumlich im Spannungsfeld zwischen dem Land am Oberrhein
und den USA und zeitlich zwischen den Kriegs- und den um Orientierung
ringenden Nachkriegsjahren stehen, schließen den Zyklus
ab: Alfred Döblin und Rainer Maria Gerhardts. Ob es in diesem
Band gelungen ist, aus dem Vielen eine Einheit zu schaffen, muss
man eher verneinen. Die Lektüre jedes einzelnen Beitrags
lohnt sich jedoch in hohem Maße, sind hier doch durchweg
Autoren am Werk, deren Aussagen und Angaben dem aktuellen Forschungsstand
entsprechen.
Renate Liessem-Breinlinger |