Rezensionen


Hans Maier: Böse Jahre, gute Jahre. Ein Leben 1931 ff.
München: C. H. Beck 2011 ISBN 978-3-406-61285-5 €24.95, als eBook € 19.99

Die Freiburger Welt eines Gelehrten von europäischem Rang

Das neueste Buch von Hans Maier ist seine Autobiographie. Auf 400 Seiten entfaltet sich das Leben eines Gelehrten, Literaten, Organisten, Politikers und engagierten »katholischen Laien«. Auf all diesen Gebieten hat er sich internationalen Ruf erworben. Hier soll - wegen des Ortes, an dem diese Zeilen erscheinen - nur der erste Teil des Maierschen Buchs besprochen werden. Er gilt der »Freiburger Welt« und umfasst ein gutes Viertel des Gesamtumfangs.

Maier gibt hier Auskunft über seine Kindheit und Jugend und über die Anfänge seiner akademischen Karriere. Dass erst nach der Habilitation geheiratet wurde, entspricht damals gutem Brauch. An dieser Stelle sei auf die schöne Erzählung von der Heirat mit der jungen Kindergärtnerin und Religionslehrerin Agnes Dilly hingewiesen, die im Kollegenkreis »seine blutjunge Frau« genannt wird. Maier tat gut daran, sich weder künstlich klein zu machen noch ständig von Heldentaten zu berichten. So schreibt er - wohl auch im Namen seiner Frau - über die sechs Maier- Töchter, dass aus ihnen »tüchtige und selbständige Frauen wurden - Brävlinge waren unsere Mädchen nicht. Dafür hatten sie wohl auch von ihren Eltern zu viel Narrheit und Eigensinn geerbt.«

Die »schlechten Jahre«, die der Buchtitel ankündigt, konzentrieren sich auf die Zeit des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkrieges, die »guten Jahre« auf die Restrukturierung ziviler Verhältnisse im deutschen Südwesten und in der Bundesrepublik; sie werden zum Hintergrund der Maierschen Karriere. Im Freiburger Kaufhaus erlebt der Gymnasiast zwischen 1946 und 1951 zum ersten Mal Landtagsdebatten, bei denen Staatspräsident und Kultusminister Leo Wohieb oft: im Mittelpunkt steht. Was auf der Besuchertribüne zu hören ist und was man in der damaligen gelb-rot-gelben (süd-) badischen Hauptstadt miterleben kann, macht den damals noch fehlenden Sozialkunde-Unterricht mehr als wett.

Maiers Bericht über die »Freiburger Welt« beginnt mit der elterlichen Wohnung in der Oberau: »Vom Balkon sah man die Schwarzwaldberge. Blau in der Ferne; grün in der Nähe füllten sie den ganzen Horizont ... An unserer Wohnung floss die Dreisam vorbei ... Manchmal, in Sommertagen, übertonte der Lärm der Grillen in den umliegenden Gärten und Wiesen das Rauschen des Flusses.« Der Leser erfährt von den Schicksalsschlägen in der Familie: bei einem häuslichen Unfall verliert der ältere Bruder sein Leben, eine Krankheit im Jahr darauf rafft den Vater dahin. Die Mutter, bis an ihr Lebensende Witwe, bringt mit viel Mühe drei Kinder durch den Krieg. Der Autor selbst ist der Jüngste. Über die Zeit der Nationalsozialisten erzählt er nüchtern und ohne Widerstandsbe- rühmung. Immerhin: Die Mutter hängt an Tagen, an denen geflaggt werden soll, keine Fahne zum Balkon hinaus. Hans wird dafür in der Schule zur Rechenschaft gezogen und weiß, dass er die Einstellung der Mutter nicht benennen darf. Auf dem Hirzberg, nicht weit von der heimischen Wohnung, wird auf höhere Anweisung ein holzgezimmertes riesiges JA aufgestellt, das die erwünschte Antwort auf den Stimmzetteln zum Anschluss Österreichs bietet. »Es ist meine früheste Erinnerung an ein politisches Ereignis ... Immerhin: meine Mutter ging nicht zur >Wahl<.«

Der Bub Hans, musste lernen, sich gegen gleichaltrige Schulkameraden zu behaupten. Ein Lehrer sieht sein Begabung und empfiehlt ihn dringend für das Gymnasium. 1941 tritt er ins Friedrich-Gymnasium ein, dessen »humanistischer und christlicher Hintergrund« trotz einiger Lehrer mit Parteiabzeichen am Revers »noch immer deutlich zu spüren« ist. Im Rückblick beschreibt er die Stellung der Schule in der Diktatur: »Ein humanistisches Gymnasium bietet ja unendliche Möglichkeiten der Anspielung, der Mehrdeutigkeit, der Camouflage - vor allem in den alten Sprachen«.

Den Luftangriff vom 27. November 1944, der »das schöne Freiburg in Schutt und Asche legte« und bei dem 3000 Einwohner ihr Leben und 25 000 ihre Wohnungen verlieren, erlebt der 13-jährige im Keller seines Wohnhauses in der Oberau, er ist mit Hausgenossen zusammen kurze Zeit verschüttet. Im Februar 1945 wird die Familie an anderer Stelle erneut ausgebombt, die Mutter entgeht dem Tod mit knapper Not. Vom Angriff bis zum Einzug der Franzosen herrscht »das Gefühl einer ungeheuren Beengung«. Es gibt keine Möglichkeit, aus dem zerstörten und ständigen Tieffliegerangriffen ausgesetzten Freiburg herauszukommen. Kein Wunder, dass die Zeit danach als »eine Zeit der Befreiung, des Auf- und Einatmens, der Aufbruchsstimmung«
beschrieben wird. Das ist erlebte Befreiung, kein Gegensatz zur »Niederlage«, wie Weizsäcker ihn als neue politisch korrekte Sinngebung des 8. Mai vorgeschlagen hat.

Südbaden gilt nach den ersten demokratischen Wahlen als »Studienräterepublik«. Mehrere Gymnasiallehrer haben politisch leitende Stellungen inne: Leo Wohieb, Paul Fleig, Karl Person. Die Folge davon ist, dass im Land »Politik und Recht, Geist und Schule eng nebeneinander wohnten! Allenthalben herrschte eine - manchmal leicht schulmeisterlich gefärbte - Redlichkeit.« Der Autor macht aus seiner Bewunderung für den Staatspräsidenten kein Hehl: »Ich schätzte und verehrte Leo Wohieb, den kleingewachsenen, beredten Streiter für die badische Sache.« Mit ihm sei ein Hauch von eidgenössischer Demokratie in die Politik im deutschen Südwesten eingekehrt. Konrad Adenauer, den Maier anerkennend den »großen Ernüchterer« nennt, habe man verübelt, »dass er kein Verhältnis zum alten Baden hatte - und wohl auch nicht zu seinen politisch-so- zialen Traditionen, der katholisch-evangelischen Simultanschule und der bei uns üblichen Großen Koalition.«

Im Alter von 20 Jahren beginnt der Abiturient sein Studium. Er ist der erste aus seiner bäuerlichen und handwerklichen Verwandtschaft, der zu akademischen Studien gelangt - der Großvater mütterlicherseits war immerhin Dorfbürgermeister der Gemeinde Hausen an der Möhlin. Der Assistent Arnold Bergstraessers und spätere Privatdozent gilt in der Verwandtschaft vorerst als Sonderling, von dem man nicht weiß, was er tut. Als Vertrauensdozent der Studienstiftler an der Freiburger Universität wird er mit den jungen Leuten Ausflüge in den Schwarzwald und in den Breisgau unternehmen: »Die Weinorte des Tunibergs, des Kaiserstuhls lagen vor der Freiburger Haustür - was lag näher, als dorthin zu wandern und in die Gasthöfe einzukehren, die seinerzeit schon Johann Peter Hebel durch ihre urigen oder frommen

Namen entzückt hatten: in den >Löwen< oder >Bären<, in das >Kreuz< oder in die >Dreikönige<?«

Über die wissenschaftlichen Themen und damalige Kollegen an der Freiburger Universität erfährt man viel Aufschlussreiches. Dann naht der Abschied von der Heimatstadt. Freiburg gilt jetzt als »eine fast zu schöne Stadt ... Man musste sie lieben. Man musste sie aber wohl eines Tages auch verlassen - vor allem wenn man dort geboren war.« Das Motiv dafür gibt ihm ein befreundeter Musikwissenschaftler vor, der ebenfalls einem Ruf nach München folgte: »In Freiburg war ich so ziemlich allein, ein Solist, ich beherrschte die Szene. In München dagegen gab es zahlreiche Komponisten, es herrschte Konkurrenz. Da wurde ich herausgefordert, ich musste mich entwickeln, musste kämpfen.« Maier beginnt in München eine steile Karriere, wo er sich auf vielen Feldern auszeichnet.

In der »Freiburger Welt« schlägt Maier, vor allem eingangs, einen Ton an, der an den Autor des Schatz- kästleins erinnert. Es ist beileibe nicht das einzige Sprachregister, das er zieht, und so genießt man den Erzählduktus und den variierenden und doch unverwechselbaren Ton von Kapitel zu Kapitel. Historische Erläuterungen werden wie absichtslos eingestreut. Wo er - gegen Ende des Buches - von einer Begegnung mit Hilde Domin erzählt, rühmt er ihre »rasche Auffassungs- und Formulierungsgabe«, der er »als langsamer Alemanne kaum gewachsen« gewesen sei. Bewertungen von Personen und Sachen durchziehen das Buch auf jeder Seite (das Personregister umfasst dreizehn in Doppelreihen klein bedruckte Seiten), und immer gibt er etwas von sich selbst preis: wie er den viel geschmähten badischen Staatspräsidenten Wohieb bewundert, wie er seine Beziehung zu Kardinal Ratzinger zunächst in freundschaftlich warmen, dann abgekühlten und kritischen Bemerkungen beschreibt. Aber von späteren Teilen sollte in dieser Buchanzeige die Rede nicht sein, auch wenn sie nicht weniger lesenswert sind.

Paul-Ludwig Weinacht

3/2011
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