Eine prächtige Neuerscheinung ist anzuzeigen, ein großformatiger, äußerst
sachkundig geschriebener und mit einer überaus reichen Bildausstattung
versehener Band. Er behandelt die Entstehung, Geschichte und
Tätigkeit christlicher Klöster der Westkirche in Europa
bis zum Ausgang des Mittelalters, allerdings nicht die Gegenwart,
wie der Untertitel des Buches irrtümlich anzeigt, wenngleich
vieles aus der mittelalterlichen Überlieferung im Alltag
der Klöster bis heute fortwirkt.
In seinem Vorwort fragt der Abt Odilo Lechner danach, was den
heutigen Menschen an einem Kloster fasziniert und beantwortet
die Frage unter anderem mit der Kontinuität, der Ordnung,
der Stille und der Hoffnung.
Die beiden Verfasser haben ihre Aufgabe alternierend zu etwa
gleichen Teilen übernommen, wobei nur im Inhaltsverzeichnis
erkennbar wird, wer was geschrieben hat.
Das Buch beginnt mit den Anfängen des Mönchtums im
Nahen Osten und Ägypten, wobei es sich zunächst um
Einsiedler oder in den Städten auch um Säulenheilige
handelte. Aus dem Zusammenschluss von Einsiedlern entstanden
die ersten Klöster, die im vierten Jahrhundert zunächst
in Oberägypten festere Formen annahmen und sich sehr bald
auch im Abendland ausbreiteten. Etwa gleichzeitig kam es auch
zur Gründung von Frauenklöstern. Die erste maßgebliche
Klosterregel schuf Benedikt von Nursia im sechsten Jahrhundert
für das von ihm gegründete Kloster in Montecassino.
Diese Regel des heiligen Benedikt wurde auf der Reformsynode
von Aachen 816 verbindlich vorgeschrieben. Die meisten später
gegründeten Orden, mit Ausnahme der Bettelorden, orientierten
sich an der Benediktregel.
Wie ein roter Faden zieht sich durch das ganze Buch der St.
Galler Klosterplan. Dieser Idealplan einer Klosteranlage entstand
auf der Klosterinsel Reichenau im Bodensee für das Nachbarkloster
St. Gallen. Dort wird er seit fast 1200 Jahren aufbewahrt. Der
Plan berücksichtigt alle Bereiche des Klosterlebens und
deren gegenseitige Zuordnung. Obwohl es sich um einen Idealplan
handelt, der so nirgends komplett verwirklicht worden ist, diente
er bei der Anlage vieler Klosterkomplexe als Orientierungshilfe.
Das Buch behandelt alle Aspekte des mittelalterlichen Klosterlebens,
gemäß dem benediktinischen Wahlspruch »Ora et
Labora« zunächst die Rolle der Gebetsübungen
und des Gesangs und dann die vielfältigen Betätigungen
der Mönchsorden. Diese erstreckten sich auf praktisch alle
Kultur- und Wissensgebiete des Mittelalters. Es wird dabei deutlich,
dass ohne die Tradition der Klöster die europäische
Kultur nicht vorstellbar wäre.
Die baulichen Anlagen folgten im Prinzip dem St. Galler Klosterplan,
wandelten ihn aber auch nach örtlichen oder religiösen
Bedürfnissen ab. Die kluniazensische Reform und die Hirsauer
Bauschule sind dafür Beispiele. Die innere Ausstattung der
Klöster veränderte sich natürlich auch. So wurden
statt der großen Schlafsäle (Dormitorien) Einzelzellen
für die Mönche und Nonnen geschaffen. Architektur und
Ausstattung konnten auch von Orden zu
Orden verschieden sein. Wichtig für jedes Kloster war die
Bibliothek und damit verbunden das Skriptorium (die Schreibwerkstatt),
in dem Buch für Buch neu geschrieben, oft auch mit prächtigen
Malereien versehen wurde. Bald wurden nicht nur theologische
Schriften kopiert, sondern auch die Werke antiker Autoren, wie
Vergil, Sallust oder Cicero, die ohne die klösterliche Schreibertätigkeit
nicht für die Nachwelt überliefert worden wären.
Wichtig waren auch die Klosterschulen, in denen das Wissen der
damaligen Zeit vermittelt wurde. Andere Schulen gab es ohnehin
nicht.
Die Mönche betrieben wissenschaftliche Forschung auf allen
Gebieten, so etwa Geschichtsschreibung, Mathematik, Astronomie,
Medizin, Alchemie, wobei manches aus dem arabischen Kulturkreis übernommen
wurde.
Das Funktionieren eines Klosters mit oftmals mehreren hundert
Mönchen hing natürlich von seiner Verwaltung ab, deren
Organisation erklärt wird. Das Alltagsleben mit Gebetszeiten,
Speisegewohnheiten, Fasten, die Klosterwirtschaft mit Landwirtschaft,
Handwerk und vielem anderen wird ausführlich dargestellt.
Die Klöster dienten auch als Gästehäuser und
Pilgerherbergen, wobei sie auf diesem Gebiet gelegentlich überfordert
waren. Waren Herrscher auf Reisen, so konnten bestimmte Klöster
sogar als «Königspfalzen» dienen.
Die Äbte mächtiger Klöster fungierten oft als
Diplomaten, waren da und dort selbst Territorialherren, was sich
häufig in einer repräsentativen Architektur der Abtsresidenzen
zeigte.
Das alles ist gut lesbar und gemeinverständlich geschrieben.
Fachbegriffe werden, oft in eigens eingeschobenen Abschnitten,
erklärt. Für Leser mit weitergehenden Interessen schließt
sich ein ausführliches Verzeichnis neuerer deutschsprachiger
Literatur an.
Besonders hervorzuheben ist die prachtvolle Bildausstattung
des Buches, die allein schon das Blättern zu einer großen
Freude macht. Die Zusammenstellung vorwiegend historischer Bildquellen
aus Bibliotheken und Archiven ganz Europas verdient als eigene
Leistung herausgestellt zu werden.
Der erstaunlich moderate Preis des Buches lässt die Freude
daran eher noch wachsen.
Dr. Heinz Schmitt
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