Das vorliegende Werk ist entstanden aus einer Dissertation mit
dem Titel „Das Heidelberger Schloss als befestigte Residenz“,
die für die Veröffentlichung als Publikumswerk gekürzt
und an manchen Stellen wohl auch sprachlich angepasst wurde.
Es hat das Heidelberger Schloss in seiner baulichen Entwicklung
vom 13. bis ins 21. Jahrhundert zum Gegenstand, also die Residenz
der Pfalzgrafen und Kurfürsten bei Rhein aus dem Haus Wittelsbach
von der Gründung des Schlosses über seine Zerstörung
bis zu den Rekonstruktionsversuchen des späten 19. Jahrhunderts.
An älterer Literatur gibt es bisher nur das „Standardwerk“ aus
der Feder Adolf Oechelhäusers, erstmals aufgelegt 1891,
in siebter Auflage teilweise neu bearbeitet 1953, in achter Auflage
mit Anmerkungen auf einen zeitgemäßen Stand gebracht
1985 und immer wieder nachgedruckt. Die dem vorliegenden Band überreich
erteilten Vorschusslorbeeren feiern ihn bereits als neues grundlegendes
Werk.
Das ist der Rahmen, in dem Wackers Buch, jetzt mit dem auf Grundsätzliches
hinweisenden Titel „Das Heidelberger Schloss. Burg, Residenz,
Denkmal“ versehen, seine Stellung behaupten will. Man erwartet
ein Buch über das Schloss, eine – so legt es die Dissertation
als Quelle der Arbeit nahe – grundsätzliche Auseinandersetzung
mit dem Spannungsfeld von Bauten, wenn nicht gar Palästen,
Herrschaftsverständnis und Zeitgeschmack.
Dieses Spannungsverhältnis darzustellen, ja, es wenigstens
erkennbar zur Grundlage seiner Arbeit zu machen, gelingt dem
Autor an keiner Stelle. Die Bauten des Schlosses, zeitlich gesehen
vom Ruprechtsbau bis zum Englischen Bau, werden mit knapper Not
wenigstens als existent erwähnt, aber nicht – wie
der Autor selbst ankündigt – „vor ihrem historischen
Kontext beleuchtet“ oder gar diskutiert.
Der Ruprechtsbau muss sich mit sieben Zeilen begnügen,
von den vier ein (unbelegtes, vermutlich von Oechelhäuser übernommenes)
Zitat sind. Der hier stehende Renaissancekamin Friedrichs II.
muss sich gar mit der lapidaren Notiz „ein Kamin“ begnügen.
Nicht anders ergeht es dem Frauenzimmerbau, der, wieder ohne
auch nur den geringsten Ansatz zur Diskussion und ohne auch nur
ein einziges Detail zu erwähnen mit vierzehn Zeilen begnügen
muss. Herrentafelstubenbau (= Bibliotheks-bau) und Ludwigsbau
werden gar nicht erwähnt. Damit geht auch die Ambivalenz
des fürstlichen Speisesaals und seine Stellung zwischen
Spätgotik und Renaissance verloren. Sie passt aber auch
nicht in die Darstellung Wackers, der Ludwig V. als durch und
durch gotischen Fürsten sieht.
Hier schlägt die Anlage der Dissertation durch, die Anlage
als Untersuchung der Befestigungen. Nur- für ein Standardwerk über
das ganze Schloss ist das zu wenig.
Der Mangel zieht sich durch das ganze Buch. Vom Gläsernen
Saalbau wäre die erdverbundene und konservative Form der
Arkaden zu diskutieren gewesen, und der Anspruch Friedrichs II.
auf das nordische Erbe seiner jungen Gemahlin war unzweifelhaft
maßgeblich für die überdimensionierten Wappen
sowohl am Palast wie auch an „seinem“ Kamin.
Ottheinrich gesteht der Autor immerhin zu, sein Regierungsprogramm
in den Fassadenfiguren dargestellt zu haben. Neuere Forschungen über
den theologischen Anspruch des Fürsten nimmt Wacker nicht
zur Kenntnis. Beim Fassbau werden wort- und diskussionsarm die
gotischen Fenster nur konstatiert. Friedrichs IV. Kapellen- und
Wohnbau ist gewohnt knapp, immerhin wird wenigstens erwähnt,
dass 16 Statuen an der Fassade sind. Unter uns: jeder Schlossführer,
der seine Gäste mit einem derart lapidaren Hinweise „da
sind Figuren“ abspeiste, würde von diesen sofort und
unmittelbar gesteinigt.
Der „starke Hang zum Alkohol“, den der Autor dem
Kurfürsten zuschreibt, hätte allerdings aus den Quellen,
nicht aus der populären Literatur zitiert werden sollen.
Dann wäre allerdings auch klar geworden, dass der junge
Kurfürst keineswegs der Alkoholiker war, als der er – von
der katholischen Propaganda vielleicht? – dargestellt wird.
Sich abends beim Festmahl einen gepflegten Rausch anzutrinken
war jedenfalls eine Mode der Zeit und ist von vielen Fürsten überliefert.
Was aber Friedrichs IV. Gründung von Mannheim angeht, wäre
die Diskussion um die veränderte Kriegsführung im Zeitalter
der Festungsbauten hilfreicher gewesen als der doch etwas seltsam
anmutende Hinweis, die Gründung der Festung Mannheim sei
notwendig gewesen, um im Heidelberger Schloss selbst bauen zu
können.
Betrachtet man sich allerdings gerade beim Friedrichsbau das
Missverhältnis der einzelnen Textabschnitte - halbe Seite
Allgemeinplätze über den Bauherrn, eine Seite nicht
weniger Undifferenziertes über Mannheim und den Calvinismus,
eineinhalb Seiten Erzähltes über den Friedrichsbau,
sechs Seiten über die unter seiner Herrschaft errichteten
Befestigungen - , dann wird der grundsätzliche Mangel des
Buches offenbar: es ist ein – in seinen Teilen über
die Befestigungen – sicher verdienstvolles Werk, dem der
Mantel einer Allgemeingültigkeit doch entschieden zu kurz
geraten ist. Kein Wort über Johannes Schoch und das Schloss
Gottesaue, keines über das Blutgericht von Amberg, kein
Wort über die Amberger Residenz des Kurfürsten, in
der Schoch immerhin die erste „moderne“ Treppe der
Kurpfalz verwirklichte.
Vor allem: keine Diskussion über den Bau selbst, der gerade
nicht vom Himmel fiel, sondern einen politischen und konfessionellen
Anspruch dokumentiert.
Das hier am Beispiel Friedrichs IV. Gesagte setzt sich durch
das ganze Buch hin fort. Die den Touristen nun einmal in vorderster
Linie interessierenden Wohn- und Palastbauten erscheinen nur
als notwendige, fast lästige Anhängsel der Befestigungsbauten,
der Einbau einer Schartennische an Stelle einer Schlüsselscharte
unter Karl Ludwig ist wichtiger als der Umbau des Gläsernen
Saalbaus. Auch die Kurfürsten aus dem Haus Neuburg kommen
in dem Buch nicht besser weg, die 1685 das Erbe der Simmerschen
Linie antraten.
Insgesamt bleibt festzustellen, dass das Buch den Ansprüchen,
die man an ein Werk über „das Schloss“ stellt,
bei weitem nicht nachkommt. Die Vorschusslorbeeren entpuppen
sich als Marketing, der Verlag hat sich und dem Schloss keinen
Dienst erwiesen.
Christoph Bühler
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