»Wer war Albert Ludwig Grimm?« wurde in Weinheim
bei der Vorstellung des Buches gefragt. Diese Frage hätte
man überall in Baden stellen können, ohne eine Antwort
zu erhalten. Die Weinheimer kennen aber ihre Albert-Ludwig-Grimm-Straße,
und die meisten wissen, dass diese nach einem früheren Oberbürgermeister
ihrer Stadt benannt ist. Dabei war Grimm im 19. Jahrhundert eine
weithin bekannte Persönlichkeit. Schon in jungen Jahren
machte er sich einen Namen als Kinder- und Jugendbuchautor. Er
veröffentlichte eine ganze Reihe von Märchenbüchern
mit teils gesammelten, teils selbst verfassten Märchen.
Die Bücher wurden in viele europäische Sprachen übersetzt.
Mit den Brüdern Grimm war Albert Ludwig nicht verwandt,
nicht einmal bekannt. Zu »Des Knaben Wunderhorn« von
Clemens Brentano und Achim von Arnim trug er eine Anzahl von
Liedern bei. Nach einem Studium der Theologie wandte sich Grimm
der Pädagogik zu und wurde 1806 Rektor der Lateinschule
in Weinheim. Sechs Jahre später wurde er zum Professor ernannt.
In seiner schriftstellerischen Tätigkeit widmete sich Grimm
auch landeskundlichen Themen und veröffentlichte 1822 »Vorzeit
und Gegenwart an der Bergstraße, dem Neckar und im Odenwald
- Erinnerungsblätter für Freunde dieser Gegenden«.
1829 wurde Grimm Bürgermeister der Stadt Weinheim, von
1831 an mit dem Titel Oberbürgermeister. Schon 1825 war
er als Abgeordneter in die Zweite Kammer des badischen Parlaments
gewählt worden, wo er zeitweilig sogar Erster Sekretär
des Präsidenten war. Dort kümmerte er sich unter anderem
um die Änderung der badischen Verfassung, um die Judenemanzipation,
die neue badische Gemeindeordnung und natürlich um das Schulwesen.
1835 setzte er sich für den Beitritt Badens zum Deutschen
Zollverein ein.
Inzwischen war in Weinheim ein Streit über die Führung
der Bergstraße ausgebrochen. Dabei unterstützte Albert
Ludwig Grimm die Vorgaben der badischen Regierung und zog sich
damit die Feindschaft maßgeblicher Weinheimer Kreise zu,
was ihn 1838 auf den Verzicht einer erneuten Kandidatur zum Oberbürgermeister
veranlasste.
Seine Rückkehr in den Schuldienst war nun aber auch mit
Schwierigkeiten verbunden. Zwar wurde er wieder Direktor der
Höheren Bürgerschule in Weinheim, geriet aber in Konflikt
mit den Brüdern Bender, die dort 1829 ein inzwischen renommiertes
und weithin bekanntes Erziehungsinstitut mit Internat gegründet
hatten.
1843 ernannte Großherzog Leopold den verdienten Politiker
und Schulmann Albert Ludwig Grimm zum Hofrat, nachdem dieser
ihm ein Jahr zuvor ein Werk gewidmet hatte mit dem etwas umständlichen
Titel »Die malerischen und romantischen Stellen der Bergstraße,
des Odenwaldes und der Neckar-Gegenden in ihrer Vorzeit und Gegenwart«.
Das war nun eine wesentlich erweiterte und aktualisierte Fassung
der zwanzig Jahre früher erschienenen »Erinnerungsblätter«.
Grimm beschreibt darin die Sehenswürdigkeiten jeden Ortes
und sehr ausführlich deren Geschichte und flicht immer wieder
Sagen und Legenden ein, manche in Gedichtform. Das Buch war der
erste größere Reiseführer für den Odenwald
und sein Umland.
Nach seiner Versetzung in den Ruhestand zog Albert Ludwig Grimm
1854 nach Baden-Baden. Dort gab er wieder Märchenbücher
heraus und betätigte sich in der evangelischen Kirchengemeinde.
Am 1. Dezember 1872 verstarb er im Alter von 86 Jahren.
Der Autor der vorliegenden Biographie Gerhard Schwinge hat manche
bislang nicht berücksichtigte Quelle ausgewertet, vermeidet
aber allzu langatmige Ausführungen, was der Lektüre
dieser Lebensbeschreibung zugute kommt. Schwinge legt viel Wert
auf die Darstellung familiärer und freundschaftlicher Beziehungen,
während frühere Biographen einmal mehr die politischen,
ein anderes Mal mehr die literarischen Aspekte hervorhoben. Schwinge
gibt seinem Werk eine allgemeine Zeittafel, eine tabellarische
Lebensgeschichte von Albert Ludwig Grimm und eine mehrseitige »Chronik« bei.
Das umfassende Quellen- und Literaturverzeichnis und ein Perso
nenregister vervollständigen diese Biographie. Einzelne
Werke Grimms sind auch in neuerer Zeit als Faksimiledrücke
wieder herausgekommen.
Bemerkenswert erscheint, dass die russische Germanistin Elena
Klokova vor etwa 25 Jahren die Märchen von Albert Ludwig
Grimm entdeckt und sie neu ins Russische übersetzt hat.
Schwinge weist in seinem Vorwort daraufhin, dass Elena Klokova
den Anstoß zu seiner Arbeit gegeben hat. Bei der eingangs
erwähnten Buchvorstellung in Weinheim sprach Frau Klokova über
ihre Entdeckung von Albert Ludwig Grimm und ihr Märchenübersetzungsprojekt.
Gerhard Schwinge würdigt mit seinem Buch eine im Baden
des 19. Jahrhunderts vielfältig wirkende Persönlichkeit,
die verdient, dass man sich ihrer erinnert.
Dr. Heinz Schmitt
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