Seit der klassischen Antike sind unsere Sehweisen und Gestaltungsprinzipien
von Lehrbüchern und Traktaten der Architekturtheorie geprägt.
Als gedruckte Medien zur Vermittlung antiker Kunstnormen
und ästhetischer Prinzipien beeinflussen diese Bücher bis
heute unsere visuelle Wahrnehmung und sind ein bedeutender
Teil des europäischen Kulturguts.
Architekturtraktate
der Neuzeit bilden eine eigenständige, europaweit relativ
homogene Gattung, welche die fortwährende Auseinandersetzung
mit Vitruvs Lehrbuch "De Architectura" (um 30 v.Chr.) widerspiegelt.
Vitruv (um 85-20 v. Chr.) wurde mit der für die Renaissance
typischen Rückbesinnung auf die Antike zu einer der Grundlagen
des neuzeitlichen architektonischen Diskurses, der in unterschiedlichen
Interpretationen bis heute andauert. Die Anfänge des sog.
Vitruvianismus wurden dabei durch die Neubearbeitung Vitruvs
durch den Florentiner Humanisten Leon Battista Alberti ermöglicht.
Keine Abhandlung über Malerei oder Skulptur hat im 15./16. Jh.
in Italien annähernd diese Auflagenstärke erreicht und ist
in ihrer Bedeutung den Traktaten von Sebastiano Serlio,
Giacomo Barozzi da Vignola, Andrea Palladio oder Vincenzo
Scamozzi gleichzustellen. Die barocken Architekten wie Guarino
Guarini, Andrea Pozzo oder Johann Bernhard Fischer von Erlach
ließen sich durch die wiederentdeckte Baukunst der Antike
zu Höchstleistungen anspornen.
Architekturlehrbücher zeigen oft großformatige Abbildungen,
die das Studium der Architektur und die Lehre im Handwerk
entscheidend beeinflusst haben. Mit der Gründung der Académie
Royale d'Architecture 1671 in Paris wurde eine verbindliche
Architekturlehre entwickelt, die fortan ganz Europa beeinflusste
und eine Debatte über eine zeitgemäße Neuinterpretation
der antiken Baumeister entzündete. Claude Perrault und François
Blondel waren die Protagonisten, die mit ihren Nachfolgern
Jean-Louis de Cordemoy und Marc-Antoine Laugier sowie den
Revolutionsarchitekten und Jean Nicolas Durand zur Loslösung
vom Vitruvianismus beitrugen. In Deutschland haben Gottfried
Semper, Karl Friedrich Schinkel und Friedrich Weinbrenner
entscheidend zu einer veränderten Formensprache für neue
Bauaufgaben beigetragen.
In
der Württembergischen Landesbibliothek werden ausgewählte
Traktate und Lehrbücher als Vorlagewerke und deren dreidimensionale
Umsetzung in Architekturmodelle gezeigt.
Die Ausstellung entwickelte sich in einem mehrjährigen Projekt
von Heidelberger Studierenden der Kunstgeschichte, betreut
von Frau Dr. Elke Seibert, Institut für Europäische Kunstgeschichte
(IEK), und Architekturstudenten der Universität Stuttgart,
betreut von Prof. Dr. Erwin Herzberger, Institut für Darstellen
und Gestalten (IDG). Die Modelle sind entstanden aus der
Zusammenarbeit von Studentengruppen aus beiden Studienbereichen
und zeigen Interpretationen und Rekonstruktionen aus Abbildungen
der Traktate. Neben der räumlichen Visualisierung wurde
angestrebt, die gestalterische Idee des Entwurfs ins Modell
zu übersetzen. Ergänzt und vertieft wird dieser didaktische
Ansatz durch Modellfotografien aus der Fotowerkstatt des
IDG.
Kuratoren der Ausstellung und Lehrveranstaltungen:
Dr. Elke Seibert, Kunsthistorikerin (Basel / Heidelberg)
Prof. Dr.-Ing. Erwin Herzberger, Institut für Darstellen
und Gestalten (IDG), Fakultät Architektur und Stadtplanung,
Universität Stuttgart mit Martin Hechinger, Modellbauwerkstatt
am IDG, Jochen Heyer und Boris Miklautsch, Fotowerkstatt
am IDG
Beteiligte Studierende
Heidelberg: Verena Fabrizi, Vanessa Funk, Aylin Genc, Christine
Follmann, Sirit Gossel, Gesine Henze, Johanna Kreis, Sabine
Neumann, Thomas Steinruck, Katharina Weiler
Stuttgart: Michael Bader, Verena Czech, Thomas Hobst, Sylvia
Klews
Technische Leitung:
Dr. Vera Trost, Württembergische Landesbibliothek Stuttgart
20. Februar bis 19. April 2008
Württembergische Landesbibliothek Stuttgart
Konrad-Adenauer-Straße 8. 70173 Stuttgart
Telefon: 0711 / 212-4424
E-Mail: direktion@wlb-stuttgart.de
www.wlb-stuttgart.de
Öffnungszeiten:
Montag bis Freitag 8 - 20 Uhr
Samstag 9 - 13 Uhr
An Sonn- und Feiertagen sowie am Samstag, dem 22. März geschlossen
2009 wird die Ausstellung in der SkulpturHalle Basel (Antikenmuseum)
gezeigt.
Foto unten: Modell der Villa Almerico Capro /La Rotonda
(A. Palladio, 1566, Vicenza). Foto Hans-Joachim Heyer +
Boris Miklautsch
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