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Bereits im 4. Jahrhundert v. Chr. berichtet Hippokrates in seiner Schrift
"Über Luft, Wasser und Orte" von den "Makrokephalen" (sinngemäß mit
"künstliche Langköpfe" zu übersetzen) am Mäotischen Meer (Asowsches
Meer), die bei ihren Neugeborenen durch Drücken mit den Händen und Anlegen
von Binden die rundliche Form des Kopfes veränderten und seine Länge
vergrößerten. Bei ihnen galten nämlich diese langköpfigen Menschen als
die "edelsten".
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Bei der künstlichen Kopfumformung, die nur im frühesten Kindesalter
am noch plastischen Schädel möglich ist, lassen sich verschiedene Techniken
und daraus resultierende Deformationstypen unterscheiden. Die bei Hippokrates
überlieferte Bandagierung führt zu flachen oder hohen, nach hinten ausgezogenen
Hirnschädeln von konischer oder zylindrischer Form und bewirkt eine
turmartige Verlängerung des Kopfes und den Eindruck einer hohen Stirn.
Die Sitte solcher Schädeldeformationen geht auf eine mongolische Gruppe
in Zentralasien zurück und wurde im 5. Jahrhundert n.Chr. von den Hunnen
nach Mitteleuropa eingeführt. Zur Zeit des Hunnenkönigs Attila, in der
1. Hälfte des 5. Jahrhunderts, breitete sich dieser Brauch im ungarisch-slowakischen
Donaugebiet unter den dortigen ostgermanischen Stämmen aus - dies wohl
ein Zeichen für die Übernahme gewisser nomadischer Sitten durch die
zu den Hunnen in politischer Abhängigkeit stehenden Germanen. Im fortgeschrittenen
5. Jahrhundert verbreitet sich die Sitte unter den mit den Hunnen verbündeten
Völkern, wobei solche Schädel bei den Thüringern, Burgundern und Alamannen
nur bei weiblichen Individuen zu finden sind. Nach Abzug der Hunnen
aus Mittel- und Osteuropa wurde der Brauch aufgegeben und nur alt gewordene
Personen mit künstlich deformiertem Schädel erlebten noch den Beginn
des 6. Jahrhunderts. Heute gilt dieser Brauch als auffälligstes Zeugnis
für die Kontakte der Germanen mit der hunnischen Welt und steht für
Leute, die aus dem Osten kamen. Dieses Schönheitsideal ist gleichzeitig
eine bewusste ethnische oder soziale Abgrenzung gegenüber anderen Gruppen.
Auch heute noch ist es ja üblich, Gruppenzugehörigkeit auch durch das
äußere Erscheinungsbild zum Ausdruck zu bringen. Die künstliche Verformung
des Schädels durch optische Verlängerung der Stirn signalisierte also
zugleich die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe.
Auch jene Franken, die im 6. Jahrhundert in Dossenheim lebten, kannten
hunnische Sitten und Gebräuche. Deutlich außerhalb des fränkischen Ortsfriedhofes
wurde dort in 1,9 m Tiefe eine nur 1,55 m große, etwa 70 Jahre alte
Frau von grazilem Körperbau beigesetzt. Auch ihr Schädel war künstlich
zu einer extremen Länge von mehr als 18 cm (gemessen von der Gegend
über der Nasenwurzel bis zum entferntesten Punkt an der Hinterfläche)
deformiert worden. So beginnt die Stirn bereits unmittelbar über den
Augenhöhlen mit den nur sehr schwachen Augenbrauenwülsten zu fliehen.
Die Stirn ist in rückwärtiger Richtung abgeflacht und abgeschrägt und
damit optisch verlängert. Ihrem hohem Alter entsprechend besitzt die
Dossenheimerin nur noch drei Zähne, alle anderen müssen ihr schon lange
vor ihrem Ableben ausgefallen sein. Ihr Gewand wurde in der Taille von
einem Lederriemen gehalten, von dem nur noch eine bronzene Gürtelschnalle
erhalten blieb. An diesem Lederriemen hingen, wiederum an schmalen Riemen
befestigt, ein kleines Eisenmesser und ein verzierter Spinnwirtel aus
Bein. Zu ihren Füßen hatten die Hinterbliebenen in einem grauen Topf
Speisen oder Getränke für die Reise ins Jenseits in den Grabschacht
gestellt. Als einzigen Schmuck trug sie eine Halskette aus gelben Glasperlen.
Die Lage abseits des Ortsfriedhofes, besonders aber die ungewöhnliche
Schädelform weisen die Verstorbene als Fremdling aus. Schon im Säuglingsalter
war ihr Schädel durch Bandagen in die Höhe gepresst worden und das normale
Wachstum nach vorn und oben damit gehemmt; so musste sich ihr Schädel
nach hinten ausbeulen. Bis in ihr zwanzigstes Lebensjahr musste sie
diese Prozedur über sich ergehen und die Stoffbinden immer wieder erneuern
lassen. Erst dann war der Prozess des Längenwachstums abgeschlossen.
Erstaunlicherweise hat eine solch beträchtliche Umgestaltung des Schädels
keine Beeinträchtigung der Intelligenz und der Lebensdauer zur Folge.
Das wachsende Gehirn passt sich den Gegebenheiten an, es kommt weder
zu einer mechanischen Schädigung noch zu einer Mangelversorgung mit
nachfolgender Schädigung. Die in Dossenheim im für damalige Verhältnisse
"biblischen Alter" von ca. 70 Jahren verstorbene Frau ist aufgrund der
Datierung ihrer Grabbeigaben einer der spätesten Belege für eine solche
Schädeldeformation. Geboren wohl im späten 5. Jahrhundert, galt sie
zu ihren Lebzeiten für ihre Mitmenschen sicher als Sonderling. So bestatteten
sie auch die Hinterbliebenen außerhalb des fränkischen Friedhofes. Sie
fand allerdings Aufnahme in einer bäuerlichen Familie, in die sie vielleicht
sogar eingeheiratet hatte. Nach ihrer Grabausstattung spielte sie jedoch
keine herausragende Rolle innerhalb der Lebensgemeinschaft. Nichts unterscheidet
sie darin von einer zeitgenössischen Fränkin. Bleibt ihre Herkunft und
ihre Lebensgeschichte für uns heute auch im Dunkeln, so ist ihr auffälliger
Schädel doch ein eindrucksvolles Indiz für die multikulturelle Gesellschaft
der Völkerwanderungszeit, in der fremdartige Menschen mit anderen Sitten
und Gebräuchen mit der jeweils einheimischen Bevölkerung in Kontakt
traten und sich mit ihr vermischten.
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Literatur:
Berndmark Heukemes,
Hermann Hoepke, Werner Kindler: Künstliche Schädelmissbildung ungewöhnlicher
Art aus einem fränkischen Grabfund des 7. Jahrhunderts bei Heidelberg.
Ruperto-Carola 19, 1956, 94ff.
Peter Schröter: Zur beabsichtigten künstlichen Kopfumformung im völkerwanderungszeitlichen
Mitteleuropa. In: Hermann Dannheimer u. Heinz Dopsch (Hrsg.), Die Bajuwaren.
Von Severin bisTassilo 488-788 (Rosenheim, Mattsee 1988) 258 ff.
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Weiblicher
deformierter Schädel, Knickwandtopf mit Rollrädchenverzierung,
Spinnwirtel aus Bein, Eisenmesser und bronzene Gürtelschnalle
gefunden: Dossenheim, Lorscher Weg/Alemannenweg (1955)
6. Jahrhundert n.Chr., Inv.-Nr.: RN-Dos 1991/6 a-f
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weiter: November 2003
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