Michael Hall,
1962 in Heidelberg geboren, nahm 2000/2001 an einem Projekt der
Kraichgauer Kunstwerkstatt und des Kurpfälzischen Museums teil.
Als einer von neun Künstlern lernte er die Sammlungen des Museums
kennen. Er fertigte sorgfältige Bleistiftzeichnungen an, einmal
vor Ort, dann aber auch zuhause oder in der Kunstwerkstatt aus
dem Gedächtnis. Diese Zeichnungen dienten als Formenrepertoire
für seinen schon zu Beginn des Projektes gefassten Entschluss,
einen lebensgroßen Seehund aus Pappmache zu modellieren und zu
bemalen. Der Seehundkörper wurde für Michael Hall zur Projektionsfläche
seiner Imaginationen. Er hat für sich das Museum als "terra incognita"
erforscht und mit seinen Wünschen und Vorstellungen besetzt, der
Seehund hilft ihm dabei. Er anverwandelt das Fremde, entfremdet
es für sich und bearbeitet es mit dem Maßstab des eigenen Sehens.
Der Tierkörper
wird von Michael Hall theatralisch, dekorativ ausstaffiert. Er
ordnet seine bevorzugten Kunstwerke in gezeichneter Form linear
auf dem Tierkörper an. Der schwere Korpus ist aus Drahtgeflecht
im Innern vorgeformt, dann mit Pappmache kaschiert und modelliert.
Dieses wurde auf das sorgfältigste geglättet und geschliffen,
nur so können die feinen Bleistiftlineaturen auf die Oberfläche
aufgezeichnet, die farbigen Tuscheflächen aufgemalt werden. Michael
Hall arbeitet in vielen Schichten mit Pinseln und lichtechten
Farbtuschen, die er in vielen Nuancen mischt. Das Figurenfries
auf dem rundlichen Tierkörper wird von Wasser, Wasserpflanzen
und Fischen eingerahmt, "schließlich fließt der Neckar am Museum
vorbei" (M. Hall).
Gerahmte Blumenstillleben,
die Schiffe aus den gemalten Meereslandschaften, Barockkommoden,
Blumensträuße und eine Menge Besucher bevölkern den Untergrund
ohne große Überschneidungen. Es gibt kaum Lücken, und Michael
Hallbietet in einem großen "all-over" sein gesamtes Formenrepertoire
auf. Die ausgewählten Motive werden repetiert, sie gehorchen eigenen
Groß-und Kleingesetzen. Die größte, weil bedeutendste Figur, ist
König David mit seiner Leier nach einer mittelalterlichen Holzfigur,
die, farbig gefasst, das bevorzugte Objekt des Künstlers war.
Er stellt dem im Museum einsam stehenden König eine etwas kleiner
gezeichnete Königin zur Seite. Imagination und die sogenannte
Realität werden ununterscheidbar.
Der Künstler
setzt sich selbst klein an die rechte Seite des Königs, er liebt
Musik und er gibt dem König deshalb ein "schönes Konzert" (M.
H.) auf dem Jugendstilflügel des Museums. Sein Spiegel wird von
Blumensträußen geschmückt. In der Reihung folgen zwei gezeichnete
gedeckte Tische. Sie verweisen auf die Porzellansammlung des Museums
und auf die Ansicht des Künstlers, dass zu festlicher Musik auch
ein gutes Essen gehört.
Michael Hall
zeigt sich hier selbst als aktiven Künstler, der auch mit großer
Bestimmtheit über seine künstlerische Vorgehensweise und seine
Arbeiten spricht. Am Seehund arbeitete er monatelang, größtenteils
im Liegen, es ist seine bisher größte Pappmacheskulptur. Andere
sind im Aufbau ähnlich, sie heißen "Tag-und-Nacht-Rundling", "Zirkussektpokal"
oder "Geschichtenkauz".
Im "Museumsseehund"
bearbeitet er seine Erfahrungen aus dem Museum, er reagiert aber
auch auf ureigenste Weise auf Kunstwerke anderer Künstler, d.h.
sein Werk antwortet anderen. Michael Hall, der seit 1987 in der
Kraichgauer Kunstwerkstatt arbeitet und an zahlreichen Ausstellungen
im In- und Ausland teilnimmt, zeigt im Seehund die Intensität,
Stimmigkeit und Unverwechselbarkeit seines persönlichen Stils:
Seine Art, Musik zu machen, wie er selbst sagt.
Seit Beginn
der zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts ist die Kunst von
Menschen, die wegen ihrer Behinderung am Rande des gesellschaftlichen
Lebens stehen, immer mehr von einer interessierten Öffentlichkeit
wahrgenommen worden. Die Sammlung Prinzhorn nimmt hier einen besonderen
Platz ein. Das Buch des Heidelberger Psychiaters Hans Prinzhorn
"Über die Bildnerei der Geisteskranken" (1922) zeigte eine Kunst,
der Ursprünglichkeit wichtiger war als die akademischen Finessen
des traditionellen Kunstbetriebs. Künstler wie Paul Klee, Max
Ernst, Andre Breton, Jean Dubuffet usw. wurden in ihren eigenen
künstlerischen Prozessen von dieser "Art Brut" (Dubuffet) beeinflusst.
Mit Prinz-horns Buch wird eine besondere Art der Weltsicht gewürdigt,
die inzwischen weitgehend anerkannt ist. Das künstlerische Arbeiten
mit Behinderten, also Menschen mit geistiger, besser intellektueller
Behinderung wird seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts in
Mal- und Kunstwerkstätten angeregt und betreut. Nicht alles, was
hier entsteht, ist "Kunst". Es gilt: Nicht die Behinderung als
solche ist Ursache und Ursprung künstlerischer Leistung, denn
auch hier sind die Begabungen ganz unterschiedlich. Es zeigt sich
jedoch, dass intellektuelle Behinderung nicht notwendig die "bildnerische
Intelligenz" (M. Kläger) beeinträchtigt, diese zeichnet viele
dieser Arbeiten im hohem Maße aus. Sie brauchen deshalb auch den
Vergleich mit anderen biographischen Kontexten nicht zu scheuen.
Entscheidend ist jene schwer messbare und definierbare Intensität,
die von "echter Kunst" ausgeht, sich jedoch nicht unbedingt auf
Anhieb, sondern oft erst durch intensives Betrachten und Vergleichen
des Betrachters mit anderen Arbeiten erschließt.
Die "Kraichgauer
Kunstwerkstatt" ist eine Arbeitsgruppe der Kraichgauer Werkstätten
für Behinderte GmbH in Sinsheim. Neben Produktionswerkstätten
wie Schreinerei und Montage arbeitet die Kunstwerkstatt. Dort
gibt es keine therapeutischen Zielsetzungen, die neun Mitglieder
arbeiten selbständig und authentisch an den eigenen Projekten.
Hilfestellung, falls nötig, kann beim künstlerischen Leiter der
Werkstatt eingeholt werden
Seit dem Frühjahr
2000 besuchte die Werkstattgruppe die Sammlungen des Kurpfälzischen
Museums Heidelberg. In der Kunstwerkstatt entstand, angeregt durch
die Kunstwerke und die Museumsatmosphäre, eine große Zahl von
Zeichnungen und farbigen Bildern, die den immensen Färb- und Formenreichtum
und die gestalterischen Fähigkeiten der Künstler widerspiegeln.
Eine Auswahl
der Arbeiten wurde in der Ausstellung "Hinter den Augen funkelt
der Bilderwald" im Kurpfälzischen Museum gezeigt, das die Arbeit
von Michael Hall für seine Skulpturensammlung ankaufte. Mit diesem
Gehege für sein "Kunstgetier" (M.H.) zeigte sich der Künstler
Michael Hall sehr zufrieden.
Text:
Angelika Dirscherl
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