Das
umfangreiche Werk des Malers, Zeichners, Graphikers, Sängers
und Pianisten Max Slevogt, dessen hohe musikalische Bildung ihren
Niederschlag in Bühnenbildern wie Illustrationen zu Mozarts
Werk und eindrucksvollen Bildnissen des mit ihm befreundeten
Sängers Francisco d’Andrade fand, weist ihn zusammen
mit Lovis Corinth und Max Liebermann als einen der führenden
Vertreter des deutschen Impressionismus aus. Seine zunächst
noch an der niederländischen Malerei orientierten und vom
bräunlichen Galerieton der traditionellen Münchener
Schule bestimmten Gemälde hellten sich um die Jahrhundertwende
in Auseinandersetzung mit der französischen Malerei und
der inspirierenden Szene der neuen Kunstmetropole Berlin, den
dortigen Sezessionisten, zunehmend auf. Von mythologischen Themen
wandte sich der Künstler dem Porträt und verstärkt
der Landschaftsmalerei zu, in der er den französischen mit
dem deutschen Impressionismus verband.
1908 hielt sich Slevogt auf Einladung des Berliner Paares Paul
Cassirer und Tilla Durieux in Nordwijk aan Zee auf, wo das Gemälde „Dame
am Meer“ entstand. Es gehört nicht mehr zu den vom
Künstler am Vorbild Manets orientierten, um 1903 neu entwickelten
Freilichtbildnissen, bei denen er Porträt und Landschaft
thematisch verknüpfte, sondern zu seinen sechs erstmals
in Holland in heller Farbpalette gemalten und von farbigem Licht
durchfluteten Strandbildern.
Durch Zuschrift hat der Künstler das Werk dem mit ihm befreundeten
Stuttgarter Altphilologen Dr. Philipp von Fischer gewidmet. Im
Verhältnis zu seinem älteren Künstlerkollegen
Max Liebermann, der seit Beginn des 20. Jahrhunderts regelmäßig
an die holländische Küste fuhr und dort Strandbilder
mit Sommerfrischlern, mondäner Staffage, Reitern, Badenden
oder Muschelfischern malte, erscheinen die reinen Meerlandschaften
Slevogts, der zu dieser Zeit auch erste Landschaftsaquarelle
schuf, in ihrem spontanen Farbauftrag, ihrer beinahe schon gestischen
Malweise, fortschrittlicher.
Mit „Dame am Meer“ wird die vor der Natur konzentrierte
schnelle Arbeitsweise eines Impressionisten erkennbar, dessen
Landschaften mit der Sicherheit des künstlerischen Zugriffs
oft in nur wenigen Stunden entstanden. Der von der Lust am Sehen
bestimmte Dialog zwischen Figur und Raum ist direkter malerischer
Widerschein eines flüchtigen Eindrucks, doch ist die scheinbare
Beiläufigkeit der einfachen Komposition überlegt kalkuliert:
Die gegenläufig in offenem Malduktus pastos aufgetragenen
Farbflächen von Meer und Strand sind nur durch eine kleine
ans Ufer rollende Welle graphisch voneinander getrennt; ihre
Gegenstandsfarben haben sich in ein abstrahiertes farbiges Lichtereignis
aufgelöst. Dabei enthält die über feinen blauen
Farbvaleurs hell flirrende und leicht nach rechts unten fließende
graubeige Wasserfläche hohe Anteile von Gelb. Es umspielt
auch den Rücken der Spaziergängerin und erzeugt hier
den Eindruck intensiver Sonnenlichtreflexe.
Dagegen setzt sich der dunklere Sandstrand aus großzügig
breiten, nun nach links unten laufenden, ocker- bis olivfarbenen
Pinselzügen zusammen, denen die an einigen Stellen durchscheinende
Leinwandstruktur eine zusätzlich trocken körnige Wirkung
verleiht.
Markant akzentuiert wird die harmonisch ausgewogene, in leichter
Aufsicht und Diagonale angelegte Bildordnung durch die atmosphärisch
eingebundene, doch weit nach oben gesetzte weibliche Staffage.
Während der für den Impressionismus typisch nahsichtige
und scheinbar zufällige Landschaftsausschnitt in überwiegend
horizontaler Pinselschrift erfasst ist, ist die Silhouette dieser
am Ufer nach vorn gebeugt und in sich versunkenen Spaziergängerin
mit Verve in konsequent senkrechten Pinselzügen gemalt.
Auch ihnen haften viele Farbspuren an, die sich im Auge des Betrachters
mischen.
Das Gesicht der Frau ist von einem kleinen gelbgrünen Sommerhut über
dem zeittypisch im Nacken hochgesteckten dunklen Haar verschattet;
zur gleichfarbenen Jacke mit bräunlich abgesetztem Kragen
und Manschetten trägt sie einen bodenlangen graugrünen
Rock und einen blauvioletten Sonnenschirm.
Max Slevogt hatte 1877 - 1884 in Würzburg frühe künstlerische
Anregungen erhalten, bevor er 1884 an die Münchener Kunstakademie
ging; 1889 war er Schüler der Académie Julian in
Paris, 1890 brach er mit der akademischen Lehre in München
und reiste gemeinsam mit seinem Künstlerfreund Robert Breyer
nach Italien, um sich nach seiner Rückkehr als selbständiger
Maler in München niederzulassen, wo er 1892 Mitglied der
neugegründeten Sezession wurde.
Hier fanden erste Ausstellungen seiner Gemälde statt, 1896
veröffentlichten die Zeitschriften „Jugend“ und „Simplicissimus“ auch
Zeichnungen und Karikaturen des Künstlers. 1898 heiratete
Slevogt seine Jugendfreundin Antonie, genannt Nini, Finkler und
besuchte mit dem befreundeten Kunsthistoriker Karl Voll eine
Rembrandt- Ausstellung in Amsterdam, die ihn beeindruckte.
Sein Triptychon „Der verlorene Sohn“ wurde 1899
ein großer Erfolg in der ersten Ausstellung der neugegründeten
Berliner Sezession, der er als ordentliches Mitglied beigetreten
war. 1900 war Slevogt im Deutschen Pavillon der Weltausstellung
mit einem Werk vertreten.
Zusammen mit Corinth siedelte er 1901 nach Berlin über,
wo seine wichtigste Schaffensperiode begann. 1902 - 1910 war
er Mitglied der Sezession, 1913 Vorstandsmitglied der Neuen Sezession.
1904 arbeitete er an Bühnenbildern und Kostümen für
Max Reinhardts Kammerspiele des Deutschen Theaters, denen weitere
Theaterarbeiten folgten. Auf einer Londonreise 1905/06 besuchte
der Maler die dortigen Museen und eine Whistler-Ausstellung.
1908 hielt er sich in Holland auf, wo ihn die Seelandschaft zu
ersten Strandbildern anregte, 1909 - 1911 war er mehrfach in
der Pfalz.
1914 unternahm Slevogt eine Ägyptenreise, auf der als Höhepunkte
impressionistischer Malerei neben Zeichnungen und Aquarellen
ein Zyklus von Ölgemälden entstand, durch deren Verkauf
er das schwiegerelterliche Landgut Neukastel erwerben konnte.
Slevogt pendelte zwischen Berlin und der Pfalz, bevor er dieser
auch in seinen Bildern thematisch immer stärker den Vorzug
gab. Nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges wurde er offizieller
Kriegsmaler in Belgien und Nordfrankreich, 1915 Mitglied der
Königlich- Sächsischen Akademie der bildenden Künste
Dresden, 1917 Leiter eines Meisterateliers an der Preußischen
Akademie der Künste in Berlin, 1922 Ehrenmitglied auch der
Münchener Akademie.
1924 entstanden seine eindrucksvollen Wandbilder für den
Musiksaal seines Landgutes Neukastel, wo der Künstler 1932
verstarb und beigesetzt wurde.
Annette Frese
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