In
der Nacht vom 1. auf den 2. März 1908 brannte das Heidelberger
Rathaus. Dies war einer der spektakulärsten Brände in der jüngeren
Stadtgeschichte, zugleich die erste große Herausforderung für
die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts neu strukturierte
und technisch modernisierte Heidelberger Feuerwehr. Am Rosenmontag,
kurz nach ein Uhr morgens, während sich die fastnachtsbegeisterten
Heidelberger noch in den Ballsälen vergnügten, brüllte ein als
Bajazzo kostümierter Narr aus voller Kehle auf dem Marktplatz
"Feurio". Hohe Flammen schlugen aus dem Dachstuhl des Rathauses,
um dessen Um- bzw. Erweiterungsbau man sich im Heidelberger Bürgerausschuss
schon seit mehr als zehn Jahren heftig gestritten hatte. Jetzt
drohte das Feuer, das aus nie geklärten Gründen im Dachgeschoss
des Rathauses ausgebrochen war, eine Entscheidung zu erzwingen.
Alles ging so schnell, dass bereits sämtliche Telefondrähte im
Rathaus geschmolzen waren, so dass Polizei- und Feuerwache telefonisch
vom nahe gelegenen Hotel Prinz Carl alarmiert werden mussten.
Ein böiger Ostwind entfachte einen heftigen Flammenregen, der
sich westwärts ergoss und über der Heiliggeistkirche niederfiel.
Als endlich die alarmierte Feuerwehr auf dem Marktplatz eintraf,
stand nicht nur das Rathaus in hellen Flammen, sondern die Funken
zündelten bereits auf dem Dach des Chores und der Turmkuppel der
Heiliggeistkirche. Vorbei an den aufgeschreckt herbeigelaufenen
Bürgern, die teilweise noch in Fastnachtsverkleidung das flammende
Inferno von der Hauptstraße bestaunten und so durch ihre Neugierde
die Löscharbeiten noch zusätzlich behinderten, brachten die Feuerwehrmänner
ihre Wasserspritzen in Stellung, mit denen sie unablässig Löschwasser
in die oberen Geschosse des Rathauses spritzten. Aber auch auf
der Heiliggeistkirche mussten Feuerwehrmänner eingesetzt werden,
um die durch Funkenflug entstandenen Brände zu löschen. Hier war
es der Dachdeckermeister Fetzer und sein Kamerad Müller, die tapfer
und entschlossen das Dach der Heiliggeistkirche erklommen, sich
in schwindelnder Höhe einer auf die Schultern des anderen stellte
und das Feuer mit der Axt vom Holzwerk herabhieben.
Inzwischen
war im Rathaus der brennende Dachstuhl zusammengebrochen und auch
der seitliche Anbau stürzte zusammen. Über Leitern gelang es schließlich
den Feuerwehrmännern, in das schwer beschädigte obere Stockwerk
vorzudringen und durch den gezielten Einsatz von Löschwasser das
Feuer nach und nach zu ersticken. Auf diese Weise konnte wenigstens
der Saalbau mit dem Rathaussaal vor den Flammen gerettet werden.
Der Hauptbau selber hatte jedoch durch die Flammen, aber auch
durch das zum Löschen eingesetzte Wasser erheblichen Schaden genommen.
Das Kurpfälzische Museum besitzt mehrere Gemälde des großen Rathausbrandes
von 1908. Das anspruchsvollste hat Guido Schmitt, Spross der bekannten
Heidelberger Malerfamilie, gleich nach dem Brand ausgeführt. Es
zeigt den Dachstuhl des Rathauses in hellen Flammen und die Wasserstrahlen,
die aus den Schläuchen der Löschmannschaften in das brennende
Obergeschoss hinaufsteigen. Bedrohlich ergießt sich der sprühende
Funkenflug in Richtung Heiliggeistkirche, deren angeschnittene
Architektur den linken Bildrand als Repoussoir begrenzt. Die gegenüber
am rechten Bildrand erkennbare Straßenuhr zeigt 2.40 Uhr. Im Vordergrund
erklärt ein kostümierter Clown, möglicherweise derjenige, der
das Feuer als erster bemerkt hat, den Umstehenden mit ausladender
Geste die Situation. Hinter ihm macht sich aus der dunklen Menschenmenge
ein uniformierter Polizist bemerkbar. Der ausgestreckte Zeige?nger
seiner rechten Hand zeigt ihn entschlossen, den Clown und die
anderen Schaulustigen, welche die Löscharbeiten behindern, zurückzudrängen.
Tatsächlich hatten die Ordnungskräfte alle Hände voll zu tun,
die Menge der Neugierigen zu entfernen, teilweise musste zur besseren
Durchführung der Absperrung sogar das Seitengewehr aufgepflanzt
werden.
Nicht zuletzt durch seine kontrastierende Lichtführung
bringt Guido Schmitt die nächtliche Dramatik des Rathausbrandes
eindrucksvoll zur Geltung. Dies ganz im Gegensatz zu einer Bilderserie,
die der Heidelberger "Schnellmaler" Adolf Hacker bereits bei Tagesanbruch
angefertigt und zum Kauf ausgestellt hatte. ("Heiliggeistkirche
mit Volksmenge in der Nacht des Rathausbrandes, der wackeren Feuerwehr
gewidmet für ihre ruhmvolle Tätigkeit", Inv. Nr. G 2318; "Rathausbrand
1908", Inv. Nr. G 2171, "Rathaus vor dem Brand", Inv. Nr. G 2172).
Es wurde gemunkelt, Hacker habe die Bilder schon fertig gehabt,
als noch die Flammen aus dem Rathaus schlugen, und so verdächtigte
man ihn deshalb der Brandstiftung. Tatsächlich erhielt Hacker
Wochen später eine Vorladung zur Polizei. Der unschuldige Maler
soll allerdings sehr erleichtert gewesen sein, als ihn der verhörende
Polizeibeamte auf das Datum der Vorladung aufmerksam machte. Es
war der 1. April.
Frieder Hepp
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