Der
2006 verstorbene dänische Designer Bjørn Wiinblad war vor allem
für seine Entwürfe für die Fa. Rosenthal bekannt. Schon während
seines Studiums der Malerei und Illustration an der Königlichen
Kunstakademie in Kopenhagen entdeckte er die Keramik als künstlerische
Ausdruckform und vertiefte seine Studien bei Lars Syberg. Mit
seiner Tätigkeit als Designer für die dänische Keramikmanufaktur
Nymølle von 1946 bis 1956 begann seine weltweite Karriere. Wiinblad
ließ sich vor allem von Musik und Theater, aber auch von Märchen
inspirieren. Seine Sammelteller mit den Märchen aus Tausendundeiner
Nacht verhalfen der Studio-line Rosenthals zu großer Bekanntheit.
Jedoch kaum jemand weiß, dass er ebenso Illustrationen zu den
Märchen der Brüder Grimm angefertigt hat. Unbekannter sind auch
Wiinblads Entwürfe für Plakate, Möbel, Textilien sowie Theater-
und Ballettinszenierungen. Seine wenigen Gobelins entstanden in
Zusammenarbeit mit portugiesischen Manufakturen, so auch der im
Besitz der Textilsammlung Max Berk befindliche Gobelin "Pelléas
und Mélisande".
Das Thema des Gobelins in der Textilsammlung Max Berk, "Pelléas
und Mélisande", behandelt den Stoff einer 1902 uraufgeführten
Oper von Claude Debussy bzw. des bereits 1892 erschienenen gleichnamigen
Schauspiels des belgischen symbolistischen Dichters Maurice Maeterlinck.
Der Stoff behandelt in untheatralischer Weise die unerfüllte Liebe
zwischen der scheuen, mit Golaud verheirateten Mélisande und Pelléas,
dem Bruder Golauds. Diese Liebe findet ein tragisches Ende, indem
Goloaud seinen Bruder Pelléas in Eifersucht tötet, und Mélisande
an den Folgen einer Frühgeburt stirbt.
Bjørn Wiinblad wählt für seine Darstellung den betörenden Augenblick,
in dem Mélisande ihr goldenes Haar kämmt und Pelléas sich darin
einhüllt. Die Ortsangabe für diese Szene ist in Schauspiel und
Oper diffus beschrieben: einerseits soll sich Mélisande aus dem
Fenster des Schlossturmes neigen - darin an Rapunzel erinnernd,
andererseits flicht Pelléas ihre Haare an die Äste eines Weidenbaumes,
um sie an sich zu binden. Bjørn Wiinblad entscheidet sich, diesen
Moment ausschließlich im Freien stattfinden zu lassen. Eingeschrieben
in einen mehrfach gegliederten Rahmen, der am unteren Bildrand
von einem geometrisch gemusterten Fond abgeschlossen wird, sitzen
sich die beiden Protagonisten in einem üppig wuchernden Garten
in nobler Haltung gegenüber. Um der Intimität des Momentes gerecht
zu werden, reduziert der dänische Designer hier seine üblicherweise
kräftige Farbpalette zu Pastelltönen. Bezüglich der Komposition
lehnt sich Wiinblad eng an die Verkündigungsszene an, die er 1975
für den Weihnachtsteller von Rosenthal entworfen hatte: Der Engel
Gabriel wird zu Mélisande, Maria zu Pelléas. Neben diesem Bezug
lassen aber auch Form- und Farbgebung des undatierten Gobelins
auf eine Entstehung in den 70er Jahren schließen.
Kristine Scherer
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