Kunstwerk des Monats
April 2007
- Sammlungsblatt-

Dominik Haiz (Neuenstein 1810 - 1847 München)
Sulpiz Boisserée

 

"Welch seltsame, sonderbare Dinge." A. Stifter

Sammeln hat in der Biographie des Menschen große Bedeutung. Mit dem Sammeln wird ja nicht nur das Gesammelte bewahrt, sondern auch eine Erinnerung an gelebtes Leben. Die Sammellust und Sammelleidenschaft folgen einer Gefühlslogik mit subjektiven Ordnungsgesichtspunkten und Bedeutungszuschreibungen. Ende des 18. Jahrhunderts entstand in Deutschland der Typus der aufgeklärten bürgerlichen Privatsammlung, mit am bekanntesten ist Goethes Kunst- und Naturaliensammlung.

Goethe schätzte seinerzeit den Sammler und Kunstgelehrten Sulpiz Boisserée und dessen Sammlung sakraler deutscher und niederländischer Malerei des 14., 15. und 16. Jahrhunderts, obwohl sie in klarer Diskrepanz zu seiner klassizistischen Kunstanschauung stand. Sulpiz Boisserée und sein Bruder Melchior sahen in ihrer Sammlung ein Modell christlich-nationaler Malerei, die bildend und beispielhaft für die zeitgenössischen Künste wirken sollte. Sulpiz, der ältere der beiden Brüder, fungierte als Repräsentant für die Sammlung und feilte am kunsthistorischen Konzept, der jüngere, Melchior, kümmerte sich als Händler hauptsächlich um die Erwerbungen. Der Jurist und Philosoph Johann Bertram war der dritte der "Gesellen" (so nannte Goethe nach seinem zweiten Besuch der Boisseréeschen Sammlung die Kunstsammler). Bertram war es auch, der den Besuchern im Palais Sickingen am Heidelberger Karlsplatz - hier wurde die Sammlung bewahrt - die Bilder zeigte, die er dort "effektvoll und bey Beleuchtung" (Goethe) zu präsentieren wusste. Dies erinnert an die "studioli" (Studierzimmer), die zwischen dem 15. und 17. Jahrhundert entstanden, die eine bedeutungsträchtige Welt eng mit der persönlichen Geschichte des Sammlers verknüpfter Dinge enthielt. Der tiefe katholische Glaube der Boisserées spiegelte sich in den erretteten Kunstwerken und erinnert an mittelalterliche Gedenkpraktiken, aus denen sich die Sammlerkabinette entwickelt hatten. "Das lateinische Wort ‚res' ist nicht auf unseren Sinnen zugängliche Objekte beschränkt, sondern umfasst auch Vorstellungen, Meinungen und Gefühle - eine Sichtweise, die auf dem Prinzip der Angemessenheit bzw. der Wohlgeordnetheit und passenden Zusammenstellung der Gegenstände des Denkens und der Erinnerung beruht."(S. Stewart). Die Sammlung enthielt ungefähr 200 Werke u.a. von Lucas van Leyden, Albrecht Dürer, Johann van Eyck, Lucas Cranach und Rogier van der Weyden.

Doch zunächst hatten die Sammler in ihrer Heimat Köln eher unter Spott und Gelächter ihrer Kölner Mitbürger in Speichern und Kellern Jagd auf mittelalterliche Gemälde gemacht, die wegen der Auflösung der Klöster im Zuge der Säkularisierung (Reichsdeputationshauptschluss von 1803) nutzlos geworden waren, und diese so vor der Zerstörung oder der Verramschung gerettet. Dies taten die Boisserées mit instinktivem Spürsinn und merkantilem Geschick. Sie stammten aus einer wohlhabenden Kölner Kaufmannsfamilie und verfügten nach dem frühen Tod der Eltern über genügend finanzielle Mittel, um ihre Sammlung aufzubauen. Ihre patriotisch-religiösen Gefühle, die sie ihren Kunstwerken entgegenbrachten, stieß sowohl auf harsche Kritik als auch auf große Zustimmung. In einer kunstlosen und sinnentleerten Zeit, so glaubten sie gemäß den Lehren ihres Freundes Friedrich Schlegel, könnten sie durch ihre Sammlung eine neue, bessere Kultur stiften.

In Heidelberg versprach sich Sulpiz Boisserée bessere Wirkungsmöglichkeiten als Stadt in einer "alten deutschen Kulturtradition" (S.B., Tagebücher). Dort beteiligten sich Heidelberger Künstler wie Johann Christian Xeller, Joseph Wintergerst oder Christian Koester an der Reinigung und Restaurierung der Gemälde. Die Sammlung entwickelte sich zu einem kulturellen Magnet und die einst belächelten waren zu anerkannten Sammlern und Gastgebern geworden. Diverse gekrönte Häupter bemühten sich um die Sammlung, für 240.000 Gulden ging sie schließlich nach München an König Ludwig von Bayern und bildete den Grundstock der Alten Pinakothek. Auf der Kreidelithographie von Dominik Haiz sehen wir Sulpiz Boisserée (1783 - 1854) sozusagen als Vertreter der drei "Gesellen", konservativ- bürgerlich gekleidet, im satinbesetzten Samtrock mit stoffbezogenen Knöpfen, weißem Hemd und steifem Kragen, darum festgebunden das schwarz-seidige Plastron. Der Zeichner-Lithograph Haiz gibt hier das Brustbild eines selbstbewusst dreinblickenden Bürgers wieder, dessen privates Sammeln identitätsstiftend, kommunikativ und bildend wirkte.

Derartige Porträts, zur Zufriedenheit des Dargestellten ausgeführt, sicherten das Auskommen eines Künstlers wie Dominik Haiz, der in München zahlreiche Porträtlithographien von Adligen, Wissenschaftlern und Künstlern schuf. Dieses 1798 von Alois Senefelder erfundene Flachdruckverfahren ermöglichte hohe Auflagen und die Vervielfältigung bildnerischer Darstellungen. So wurde es möglich, ein Porträt an Freunde und Geschäftspartner zu verschenken. Auch Gemälde wurden so reproduziert (auch die Sammlung Boisserée wurde von J.N. Strixner lithographiert). Haiz zeichnete hier in zart abgestuften Schraffuren mit Fettkreide auf eine Kalksteinplatte, die er zuvor mit einer Gummiarabikumlösung präpariert hatte. Dadurch wurde die nicht bezeichnete Oberfläche des Steins fettabstoßend. Beim anschließenden Einfärben nimmt nur die Zeichnung auf dem Stein die fetthaltige Farbe an, dann konnten beliebig viele Abzüge gedruckt werden.

Die Boisserées stehen in der Tradition der männlichen Dominanz des Sammelns. Männer besaßen und besetzten qualifiziertere und besser dotierte Posten. Damit waren sie in der Lage, standesgemäße Sammelobjekte anzukaufen und sich durch sie zu repräsentieren. Das "Selbstgefühl durch den Besitz einer Sammlung wird zum Lebensersatz" (H. Bausinger). Private Sammler wie die Boisserées mussten eigentlich keine Rechenschaft über ihr Sammeln abgeben, sie gingen jedoch schon konzeptionell vor und legitimierten ihre Objekte. Diese sind mit Geschichte aufgeladen und werden zu Forschungsgegenständen. Aus dem von außen bespöttelten Sammelsurium entstand für Sulpiz Boisserée Ordnung, aus dem exzentrischen Blick wurde professionelles Sammeln, die Werke passierten eine Art von "heiliger Linie" in Richtung Museum, und waren somit der Sammel- und Tauschbarkeit entzogen.

Ob sich dort die "Unterhaltung" entzünden kann zwischen Werk und Betrachter wie zuvor zwischen Sammler und seinem Objekt? Jean Baudrillard formuliert es so:" In der Sammlung wird die tägliche Prosa der Gegenstände zur Dichtung, zu einer unbewussten und triumphalen Unterhaltung". Dazu hatte Sulpiz Boisserée als Berater für die Alte Pinakothek in München Gelegenheit. 1835 wurde er zum königlich bayerischen Oberbaurat und Generalkonservator der plastischen Denkmäler ernannt. Als solchen zeigt ihn uns die Haizsche Lithographie, bevor er nach dem Tod von J. Bertram zusammen mit seinem Bruder seinen Lebensabend in Bonn verbringt, wo er 1854 stirbt.

Angelika Dirscherl

 

Literatur

Georg Poensgen: Die Begegnung Goethes mit der Sammlung Boisserée in Heidelberg, Heidelberg 1949
Sulpiz Boisserée: Tagebücher I, Hrsg. H.Weitz, Darmstadt 1978
Johann Nepomuk Strixner, Gemälde der Sammlung S. und M. Boisserée und J. Bertram, Ausstellungskatalog Neuss und Heidelberg 1980/1981
Susanne Himmelheber (Hrsg.): Musik in Heidelberg, Ausstellungskatalog Heidelberg 1985
Krysztof Pomian: Der Ursprung des Museum. Vom Sammeln. Berlin 1988
Adalbert Stifter: Die Mappe meines Urgroßvaters. Leipzig 1917, S. 100
Susan Stewart: Wunderkammer. Ein Danach als ein Zuvor, in: Deep Storage, Arsenale der Erinnerung, hg. von Ingrid Schaffner und Matthias Winzen, München 1997
Justin Stagl: Homo Collector. Zur Anthropologie und Soziologie des Sammelns, in : Sammler -Bibliophile - Exzentriker, hg. von Aleida Assmann, Monika Gomille, Gabriele Rippl, Tübingen 1998
Hermann Bausinger: Die bunten Facetten des Sammelns, in: Modelle, Form, Spiel, hg. von Götz Adriani, Tübingen 2000
Petra Maisak: Im Bildersaal. Goethe und die Sammlung Boisserée in Heidelberg. Spuren 35, Deutsche Schillergesellschaft, Hg. von H. Ott und F. Pfäfflin, Marbach a.N. 2000
Uwe Heckmann: Die Sammlung Boisserée. Konzeption und Rezeptionsgeschichte einer romantischen Kunstsammlung zwischen 1804 und 1824, Paderborn 2003

 

 

Dominik Haiz (Neuenstein 1810 - 1847 München)
Sulpiz Boisserée
Kreidelithographie, 1845
30,2 x 24,2 cm, Inv.Nr. S 9130 / 1
Foto: Museum

 
 
siehe auch:

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