"Welch
seltsame, sonderbare Dinge." A. Stifter
Sammeln hat in der Biographie des Menschen große Bedeutung. Mit
dem Sammeln wird ja nicht nur das Gesammelte bewahrt, sondern
auch eine Erinnerung an gelebtes Leben. Die Sammellust und Sammelleidenschaft
folgen einer Gefühlslogik mit subjektiven Ordnungsgesichtspunkten und
Bedeutungszuschreibungen. Ende des 18. Jahrhunderts entstand in
Deutschland der Typus der aufgeklärten bürgerlichen Privatsammlung, mit
am bekanntesten ist Goethes Kunst- und Naturaliensammlung. Goethe
schätzte seinerzeit den Sammler und Kunstgelehrten Sulpiz Boisserée
und dessen Sammlung sakraler deutscher und niederländischer Malerei
des 14., 15. und 16. Jahrhunderts, obwohl sie in klarer Diskrepanz
zu seiner klassizistischen Kunstanschauung stand. Sulpiz Boisserée
und sein Bruder Melchior sahen in ihrer Sammlung ein Modell christlich-nationaler
Malerei, die bildend und beispielhaft für die zeitgenössischen Künste
wirken sollte. Sulpiz, der ältere der beiden Brüder, fungierte
als Repräsentant für die Sammlung und feilte am kunsthistorischen Konzept,
der jüngere, Melchior, kümmerte sich als Händler hauptsächlich
um die Erwerbungen. Der Jurist und Philosoph Johann Bertram war
der dritte der "Gesellen" (so nannte Goethe nach seinem zweiten
Besuch der Boisseréeschen Sammlung die Kunstsammler). Bertram
war es auch, der den Besuchern im Palais Sickingen am Heidelberger Karlsplatz
- hier wurde die Sammlung bewahrt - die Bilder zeigte, die er
dort "effektvoll und bey Beleuchtung" (Goethe) zu präsentieren
wusste. Dies erinnert an die "studioli" (Studierzimmer), die zwischen
dem 15. und 17. Jahrhundert entstanden, die eine bedeutungsträchtige
Welt eng mit der persönlichen Geschichte des Sammlers verknüpfter
Dinge enthielt. Der tiefe katholische Glaube der Boisserées spiegelte
sich in den erretteten Kunstwerken und erinnert an mittelalterliche Gedenkpraktiken,
aus denen sich die Sammlerkabinette entwickelt hatten. "Das lateinische
Wort ‚res' ist nicht auf unseren Sinnen zugängliche Objekte beschränkt,
sondern umfasst auch Vorstellungen, Meinungen und Gefühle - eine
Sichtweise, die auf dem Prinzip der Angemessenheit bzw. der Wohlgeordnetheit
und passenden Zusammenstellung der Gegenstände des Denkens und
der Erinnerung beruht."(S. Stewart). Die Sammlung enthielt ungefähr
200 Werke u.a. von Lucas van Leyden, Albrecht Dürer, Johann van
Eyck, Lucas Cranach und Rogier van der Weyden. Doch zunächst
hatten die Sammler in ihrer Heimat Köln eher unter Spott und Gelächter
ihrer Kölner Mitbürger in Speichern und Kellern Jagd auf mittelalterliche
Gemälde gemacht, die wegen der Auflösung der Klöster im Zuge der
Säkularisierung (Reichsdeputationshauptschluss von 1803) nutzlos
geworden waren, und diese so vor der Zerstörung oder der Verramschung
gerettet. Dies taten die Boisserées mit instinktivem Spürsinn und
merkantilem Geschick. Sie stammten aus einer wohlhabenden Kölner
Kaufmannsfamilie und verfügten nach dem frühen Tod der Eltern
über genügend finanzielle Mittel, um ihre Sammlung aufzubauen.
Ihre patriotisch-religiösen Gefühle, die sie ihren Kunstwerken
entgegenbrachten, stieß sowohl auf harsche Kritik als auch auf
große Zustimmung. In einer kunstlosen und sinnentleerten Zeit,
so glaubten sie gemäß den Lehren ihres Freundes Friedrich Schlegel,
könnten sie durch ihre Sammlung eine neue, bessere Kultur stiften. In
Heidelberg versprach sich Sulpiz Boisserée bessere Wirkungsmöglichkeiten
als Stadt in einer "alten deutschen Kulturtradition" (S.B., Tagebücher). Dort
beteiligten sich Heidelberger Künstler wie Johann Christian Xeller,
Joseph Wintergerst oder Christian Koester an der Reinigung und Restaurierung
der Gemälde. Die Sammlung entwickelte sich zu einem kulturellen
Magnet und die einst belächelten waren zu anerkannten Sammlern und
Gastgebern geworden. Diverse gekrönte Häupter bemühten sich um
die Sammlung, für 240.000 Gulden ging sie schließlich nach München an
König Ludwig von Bayern und bildete den Grundstock der Alten Pinakothek. Auf
der Kreidelithographie von Dominik Haiz sehen wir Sulpiz Boisserée
(1783 - 1854) sozusagen als Vertreter der drei "Gesellen", konservativ- bürgerlich
gekleidet, im satinbesetzten Samtrock mit stoffbezogenen Knöpfen,
weißem Hemd und steifem Kragen, darum festgebunden das schwarz-seidige
Plastron. Der Zeichner-Lithograph Haiz gibt hier das Brustbild
eines selbstbewusst dreinblickenden Bürgers wieder, dessen privates
Sammeln identitätsstiftend, kommunikativ und bildend wirkte. Derartige
Porträts, zur Zufriedenheit des Dargestellten ausgeführt, sicherten
das Auskommen eines Künstlers wie Dominik Haiz, der in München zahlreiche
Porträtlithographien von Adligen, Wissenschaftlern und Künstlern
schuf. Dieses 1798 von Alois Senefelder erfundene Flachdruckverfahren ermöglichte
hohe Auflagen und die Vervielfältigung bildnerischer Darstellungen.
So wurde es möglich, ein Porträt an Freunde und Geschäftspartner zu
verschenken. Auch Gemälde wurden so reproduziert (auch die Sammlung
Boisserée wurde von J.N. Strixner lithographiert). Haiz zeichnete
hier in zart abgestuften Schraffuren mit Fettkreide auf eine Kalksteinplatte,
die er zuvor mit einer Gummiarabikumlösung präpariert hatte. Dadurch
wurde die nicht bezeichnete Oberfläche des Steins fettabstoßend.
Beim anschließenden Einfärben nimmt nur die Zeichnung auf dem
Stein die fetthaltige Farbe an, dann konnten beliebig viele Abzüge
gedruckt werden. Die Boisserées stehen in der Tradition der männlichen Dominanz
des Sammelns. Männer besaßen und besetzten qualifiziertere und
besser dotierte Posten. Damit waren sie in der Lage, standesgemäße Sammelobjekte
anzukaufen und sich durch sie zu repräsentieren. Das "Selbstgefühl durch
den Besitz einer Sammlung wird zum Lebensersatz" (H. Bausinger).
Private Sammler wie die Boisserées mussten eigentlich keine Rechenschaft über
ihr Sammeln abgeben, sie gingen jedoch schon konzeptionell vor
und legitimierten ihre Objekte. Diese sind mit Geschichte aufgeladen und
werden zu Forschungsgegenständen. Aus dem von außen bespöttelten
Sammelsurium entstand für Sulpiz Boisserée Ordnung, aus dem exzentrischen
Blick wurde professionelles Sammeln, die Werke passierten eine
Art von "heiliger Linie" in Richtung Museum, und waren somit der Sammel-
und Tauschbarkeit entzogen. Ob sich dort die "Unterhaltung" entzünden kann
zwischen Werk und Betrachter wie zuvor zwischen Sammler und seinem
Objekt? Jean Baudrillard formuliert es so:" In der Sammlung wird
die tägliche Prosa der Gegenstände zur Dichtung, zu einer unbewussten
und triumphalen Unterhaltung". Dazu hatte Sulpiz Boisserée als
Berater für die Alte Pinakothek in München Gelegenheit. 1835 wurde
er zum königlich bayerischen Oberbaurat und Generalkonservator
der plastischen Denkmäler ernannt. Als solchen zeigt ihn uns die
Haizsche Lithographie, bevor er nach dem Tod von J. Bertram zusammen
mit seinem Bruder seinen Lebensabend in Bonn verbringt, wo er
1854 stirbt. Angelika Dirscherl
|