1803 verschwand
die alte Kurpfalz von der Landkarte und Markgraf Karl Friedrich
von Baden wurde neuer Landesherr und damit Eigentümer des Heidelberger
Schlosses. Angeblich hatte die Regierung in Karlsruhe bereits
einen Vertrag mit der Abbruchfirma „die schwarze Hand“ unterzeichnet
und die Heidelberger Bevölkerung nutzte das Bauwerk als Steinbruch,
während man den Schlossgarten in eine landwirtschaftliche Nutzfläche
umgestalten wollte, als am 4. Oktober 1810 der französische Emigrant
Charles de Graimberg bei einem Besuch von Karlsruhe aus von der
Schönheit der Ruine derart überwältigt wurde, dass er den Entschluss
fasste, auf dem Heidelberger Schloss Wohnung zu nehmen und sich
fortan 10243für die Rettung und den Erhalt des Heidelberger Schlosses
einzusetzen. Graimberg fertigte viele detaillierte Zeichnungen
der Schlossbauten an und vertrieb in einem eigenen Unternehmen
eine Reihe von Kupferstichwerken, die zusammen mit den Arbeiten
der im Zuge der Romantik nach Heidelberg gereisten Künstler und
Universitätsgelehrten die Schlossruine umgeben von ihrer großartigen
Naturkulisse international bekannt machten.
Als 1861
im Schlossberg Sprengungen für den Eisenbahntunnel durchgeführt
wurden, die an mehreren Stellen Risse am Schloss verursachten,
begann man sich nun auch von staatlicher Seite um den Erhalt des
Schlosses zu kümmern. In dieser Zeit konnte man in der Kölnischen
Zeitung Nr. 282 von 1868 die ersten Appelle „an die Deutschen“
lesen, „Das Heidelberger Schloss soll keine Ruine bleiben!“ Damit
war eine fast bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs dauernde Diskussion
entbrannt, die als „Heidelberger Schlossstreit“ in die Geschichte
der Denkmalpflege eingehen sollte und die, wie die Karikatur von
Olaf Gulbransson (1873-1958) in dem Satireblatt Simplicissimus
zeigt, nicht nur in der Region mit lebhaftem Interesse verfolgt
wurde. Während im Zuge des aufkeimenden Nationalismus das Heidelberger
Schloss einerseits zum Nationalheiligtum stilisiert und die angebliche
Schmach seiner Zerstörung mancherorts für einen militärischen
Rachezug gegen Frankreich instrumentalisiert wurde, gab es in
den 1880er Jahren jedoch auch bereits die ersten Stimmen, die
unter dem Motto „conserviren, nicht restauriren“ den Erhalt der
Ruine forderten.
Zur Entscheidungsfindung
bildete das badische Finanzministerium eine Baukommission, bestehend
aus Professoren der Architektur und Kunsthistorikern sowie Vertretern
der zuständigen Bau- und Finanzbehörden und Vertretern der Stadt
Heidelberg. Zugleich ordnete die Regierung eine umfassende Bauaufnahme
des gesamten Schlosses durch die beiden Architekten Julius Koch
und Fritz Seitz in einem eigens dafür eingerichteten „Schlossbaubureau“
an.
Gleichzeitig
wurde der Karlsruher Architekturprofessor Carl Schäfer (1844-1908)
beauftragt, die Fassade des Friedrichsbaus zu restaurieren und
das Innere neu auszubauen. Obwohl Schäfer sich 1883 noch entschieden
gegen eine Restaurierung von Renaissance-Bauten ausgesprochen
hatte, stellte er von 1898 bis 1903 den Friedrichsbau nach eigenen
Entwürfen im Sinne des späten Historismus wieder her. Das Urteil
der Fachwelt war geteilt. Als man ihn jedoch 1900 in einem zweiten
Bauabschnitt auch mit dem Wiederaufbau des Gläsernen Saalbaus
und des Ottheinrichsbaus beauftragte, regte sich im gesamten Deutschen
Kaiserreich ein Sturm der Entrüstung gegen eine „fortgesetzte
Verschäferung“ des Heidelberger Schlosses, wie der Kunsthistoriker
Georg Dehio seine Kritik in einer weit verbreiteten Flugschrift
aus dem Jahr 1901 „Was wird aus dem Heidelberger Schloss werden?“
formulierte. Gegen Schäfers Gestaltung der Fassadengiebel und
des Daches, die dieser nach einem 1902 von seinem Schüler Friedrich
Ebel entdeckten Wetzlarer Skizzenbuch plante, das die Zeichnung
eines Giebels vom Ottheinrichsbau enthielt, die auf das Jahr 1612
datiert war, regte sich der Protest weit über die Grenzen des
Großherzogtums Baden hinaus. Ehemalige Studenten aus Heidelberg
übermittelten dem Großherzog eine Petition mit 500 Namen und eine
Erklärung des Lehrkörpers, „der weitgehenden Restaurierung Einhalt
zu gebieten“ (S. 89). Der Dresdner Kunsthistoriker Cornelius Gurlit
mobilisierte in einer Postkartenaktion die deutsche Öffentlichkeit
gegen das Wiederaufbauvorhaben am Heidelberger Schloss. Der Heidelberger
Professor für Kunstgeschichte Henry Thode wandte sich in mehreren
Schriften vehement gegen Schäfers Wiederaufbaupläne. Und selbst
die Heidelberger Bürgerschaft reihte sich mit der am 24. Mai 1891
gegründeten Bürgervereinigung „Alt Heidelberg“ in die Phalanx
gegen eine historisierende Wiederherstellung des Ottheinrichsbaus
ein. Olaf Gulbranssons bissiger Kommentar im Simplicissimus, der
die Schäfersche Dach- und Giebelgestaltung des Ottheinrichsbaus
mit Renaissance-Reminiszenzen im Stile eines Neo-Palladianismus
als zweite Zerstörung nach dem großen Brand durch den französischen
General Mélac geißelt, bringt die in weiten Teilen der deutschen
Fachgelehrten vorherrschende Auffassung im Heidelberger Schlossstreit
auf den Punkt.
Die Diskussion
endete auf dem VI. Tag für Denkmalpflege in Bamberg mit einem
Plädoyer für die Erhaltung der Ruine, gleichsam als Denkmal ihrer
eigenen Geschichte, und dem Appell Georg Dehios, dass man sich
„jetzt begnügen möge mit denjenigen Schutzmaßregeln und Vorsichtsmaßregeln,
welche ganz sicher eine Fortdauer des Gebäudes ohne schwere Schädigungen
auf eine absehbare Zeit hin, sagen wir auf fünfzig, sagen wir
auf hundert Jahre garantieren – und dann wollen wir eine neue
Heidelberger Debatte anfangen“. In diesem Sinne setzte eine Entscheidung
des badischen Landtags im Jahr 1910, den Wiederaufbau des Ottheinrichsbau
auf unbestimmte Zeit zu verschieben und stattdessen entsprechende
Sicherungsmaßnahmen zugunsten des Ottheinrichsbaus einzuleiten,
den Schlusspunkt hinter den Heidelberger Schlossstreit.
Text:
Frieder Hepp
|