1414 - Die Welt trifft sich in Konstanz


Landeskunde > Geschichte > Spätmittelalter > Konzil von Konstanz 1414

Das Konstanzer Konzil und die Schweiz

 

Die Schweiz von heute sähe anders aus, hätte es kein Konzil von Konstanz gegeben. Denn König Sigismund, der Initiator des größten Kongresses im mittelalterlichen Abendland, beauftragte die Eidgenossen 1415 gegen die Habsburger vorzugehen und für ihn den Aargau zu erobern. Die Vertreter von Zürich, Bern, Solothurn, Luzern, Zug, Uri, Schwyz, Unterwalden und Glarus zögerten zunächst, waren dann aber mit Begeisterung bei der Sache. Gleichzeitig wurden die „Österreicher" auch aus dem Thurgau vertrieben und somit die Grundlage für die spätere Schweizer Grenze Richtung Norden geschaffen. Apropos Thurgau: Als Vorland lieferte er die Infrastruktur für das Konzil und seine Teilnehmer. Manche von ihnen lebten sogar, andere verbrachten im Thurgau ihre freie Zeit.

Kein Wunder also, dass Ulrich Richental, der Konstanzer Konzilschronist, schon auf den ersten Seiten seiner handschriftlichen Aufzeichnungen das Thurgauer Hinterland als eine der wesentlichten Voraussetzungen für die Durchführung des großen Konzils nennt: „Papst Johannes XXIII. schickte zwei Männer nach Konstanz, die in Erfahrung bringen sollten, wie dies Land sei, ob man Herberge haben könne und ob eine Meile weit Städte und Dörfer lägen, die die Fremden beherbergen könnten. Daher befahl mir, Ulrich Richental, der Rat zu Konstanz, mit ihnen auf die Dörfer zu reiten, die an der Thur liegen. Das tat ich und ritt mit ihnen zwei Tage lang in den Thurgau. Die Boten aber meinten, es genüge schon die Hälfte [der besuchten Dörfer und Städte im Thurgau], um allen Fremden Herberge zu geben."

Diesen Faden nehmen auch die berühmten Schweizer Bilderchroniken auf. Der Luzerner Diebold Schilling spielt 1513 z.B. auf den Thurgau und seine Funktion als Brückenland während des Konzils an. Die Teilnehmer des Konzils sind auf allen Verkehrswegen und mit unterschiedlichen Fortbewegungsmitteln im Thurgau unterwegs.

Wozu eine große Kirchenversammlung?
Im Kern ging es beim Konstanzer Konzil um nichts Geringeres, als um die Einheit der Kirche, auch „causa unionis" genannt. Drei gleichzeitig amtierende Päpste stritten sich um die Führung der „Heiligen Mutter Kirche". Die Wiederherstellung eines einheitlichen Glaubens („causa fidei") stand auf dem zweiten Platz der Tagesordnung; längst hatten sich von Großbritannien aus reformatorische Thesen über Europa verbreitet. Gerade in Böhmen scharten sich um Jan Hus und Hieronymus von Prag viele Anhänger. Auch aus politischer Sicht eine unhaltbare Situation. An dritter Stelle lag der Wunsch, innerkirchliche Missstände zu beseitigen („causa reformationis"). Wichtig für die Zeitgenossen war vor allem der erste Punkt: die Einheit der Kirche. Alle übrigen anstehenden Probleme traten dagegen in den Hintergrund. Um die Einheit wiederherzustellen, einigten sich die versammelten Konzilsväter darauf, alle drei Päpste abzusetzen. Der einzig anwesende, Johannes XXIII., wollte sich dem nicht beugen und floh aus Konstanz, unterstützt durch einen mächtigen Habsburger: Herzog Friedrich IV.

Die Eidgenossen greifen ein
In dieser delikaten Situation wandte sich König Sigismund an die Eidgenossen. Sie galten schon immer als die militärische Elite des Reichs. Der Habsburger, dessen Stammlande und -burg im Aargau lagen, hatte sich auf die Seite des abgesetzten Papstes geschlagen und sich damit gegen das Konzil gestellt. Sigismund verhängte über ihn die Reichsacht. Die eidgenössischen Truppen eroberten den Aargau und vertrieben die Habsburger. Nun standen sie am Rhein und diese Position gaben sie auch nach der ersten Unterwerfung des Herzogs nicht mehr auf. Etwas anders verlief die Situation im Thurgau. Auch hier beanspruchten die Habsburger ihre Machtposition. Im Gegensatz zum Aargau waren es aber die Truppen der Reichstädte um den See, die den Thurgau befreiten. Dies alles geschah unter dem Schirm des Heiligen Römischen Reichs, zu dem die Eidgenossenschaft bis zum Westfälischen Frieden (1648) noch zählte, und zu dem sie sich auch zugehörig fühlte. Deshalb verlieh König Sigismund im Umfeld des Konzils vielen Städten auf dem Territorium der heutigen Schweiz die Reichsfreiheit (d.h. eine weitgehende Autonomie gegenüber regionalen Herrschern), z.B. Glarus, Zug, Rapperswil, Luzern, Winterthur ...

Frühes Reiseland Schweiz
Viele der kirchlichen und weltlichen Konzilsteilnehmer reisten aus Süden, Osten und Westen nach Konstanz, d.h. sie kamen über Chur, St. Gallen, Bern, Zürich, Solothurn, Basel oder Schaffhausen und nutzten diese Wege auch während des Konzils oder bei ihrer Abreise, überall meist freundlich und - je nach Stand - auch mit großen Festlichkeiten begrüßt. So z.B. König Sigismund bei seiner Anreise 1414 in Bern oder Papst Martin V. während seiner Rückreise nach Rom im Jahr 1418. Bei den Reisenden handelte es sich aber nicht nur um Angehörige der Christenheit oder der Oberschicht. „Multikulti", würde man heute sagen, bewegte sich auf den Straßen, Flüssen oder Seen der Schweiz. Konstanz und der Thurgau waren dabei Ziel und Zwischenstation. Es ging zu wie im sprichwörtlichen Taubenschlag. Gerade Sigismund, der erwählte römische König, kann hier als Beispiel dienen. Er reiste 1414 von Asti aus via Bern und Basel nach Aachen, um sich krönen zu lassen. Anschließend bewegte er sich kreuz und quer in und um Konstanz, nahm an diplomatischen Missionen teil oder nutzte die Verkehrswege via Schaffhausen nach Frankreich und Spanien. Ähnlich Johannes XXIII., der später abgesetzte Papst. Über Tirol und das Rheintal kam er an den See. 1415 floh er aus Konstanz durch die heutige Schweiz. Nach seiner Verhaftung in der Nähe von Basel wurde er ins trutzige Schloss von Gottlieben (TG) verbracht. In die gleiche Festung übrigens, in der auch der später hingerichtete böhmische Reformator Jan Hus schmachtete.

Gastgeber Europas
Nicht nur aus der Konzilschronik von Ulrich Richental lässt sich die Wichtigkeit der heutigen Schweiz für das Konzil ersehen. Poggio Bracciolini, einer der bedeutendsten Vertreter des Frühhumanismus, schreibt in einem Brief, dass ihn die Gicht in seinen Händen dazu getrieben habe, von Konstanz aus die Bäder von Baden zu besuchen. Er schildert seine Reise und seinen Aufenthalt dort. Diesen nutzte er auch „zur Durchsuchung der nachbarlichen Klöster nach alten Handschriften" und wurde dabei fündig.
Aber auch Dinge des täglichen Lebens, wie Nahrungsmittel, Baumaterialien oder Gebrauchsgüter gelangten von Süden aus nach Konstanz. Sie wurden vielfach in den heutigen Kantonen St. Gallen, Zürich, Chur, Thurgau, Bern, Aargau usw. produziert bzw. umgeschlagen. Was für ein Prestige, aber auch was für ein lukratives Geschäft winkte hier! Schon früh gab es Preisabsprachen mit den Konstanzern; nicht nur für Grundnahrungsmittel, sondern auch für Unterkünfte oder Dienstleitungen aller Art. Die Klöster, Schlösser, Landsitze und Gärten des Thurgaus dienten zur Unterkunft, aber auch als Beratungsorte oder einfach zur Entspannung. Kreuzlingen, Münsterlingen, Tobel, das schon erwähnte Gottlieben sind nur einige Namen, die hier genannt werden. Abschließend sei noch einmal Ulrich Richental zitiert. In seiner Chronik erinnert er sich: „Inzwischen [1415] dauerte das Konzilium in Ruhe und Eintracht weiter, und die Fremden waren so sicher, dass sie auf eine Meile weit um Konstanz in die Städte und durch die Wälder und wohin sie sonst gehen wollten, spazieren gehen konnten [... . Es gab]Wirte, die allerlei Wein schänkten, wie man es wünschte. Bei ihnen fand man auch gebratene Hühner und was man sonst begehrte, auch hübsche Frauen. Die geistlichen Herren gingen spazieren, in welchem Garten sie auch immer wollten, und niemand wehrte es ihnen."

Fazit: Ohne die Infrastruktur und Gastfreundschaft der heutigen Schweiz hätte das „Große Abendländische Konzil" - wie es auch gerne genannt wird - nicht stattfinden können. Mit einem Augenzwinkern könnte man sogar sagen, das Konstanzer Konzil fand in der Schweiz statt. Denn die Reichsstadt Konstanz zählte gerade im 15. Jahrhundert zu den bevorzugten Versammlungsorten der werdenden Eidgenossenschaft, das Konstanzer Bistum nicht zu vergessen, das weite Teile der heutigen Schweiz umfasste. Trotz seiner Auflösung 1821/27 sind dessen Spuren in der Schweiz noch vielfach gegenwärtig.

Text: Dominik Gügel (M.A.)/ Konzilsjubiläum Konstanz - pr2

     

im Detail:

weiter:

siehe auch:

 

zurück:

Startseite | Geschichte | Service | Aktuelles | zur ZUM | © Badische Heimat/Landeskunde online 2014