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Der Riss im Himmel - Kurfürst Clemens August und seine Epoche

Im Jahr 2000 stand das Rheinland ganz im Zeichen eines kulturellen Großprojektes: Anläßlich des 300. Geburtstages des Kurfürsten und Erzbischofs Clemens August wurde die Epoche des Barock und Rokoko an zahlreichen Originalschauplätzen wieder lebendig: mit vier Ausstellungen und Veranstaltungen an Originalschauplätzen in Brühl, Bonn, Jülich, Köln und Schloß Miel.

Schloss Augustusburg in Brühl

Kristallisationspunkt dieser spektakulären Veranstaltungs- und Ausstellungsreihe war eine große Präsentation im Weltkulturerbe Schloß Augustusburg in Brühl. Mit wertvollen Exponaten wie Gemälden, Skulpturen, Porzellanen und Möbeln sowie eindrucksvollen Rauminstallationen in den barocken Stucksälen des Schlosses wurde die fast vergessene Epoche des Barock und Rokoko erfahr- und erlebbar.

Schloss Augustusburg, Brühl, ab 1725 als repräsentatives Sommerschloss des Kölner Kurfürsten errichtet. Bild: Ausstellung

Sinnliche Eindrücke dieser Zeit vermittelten auch die Veranstaltungen, die in Brühl, Bonn, Köln, Jülich und Miel stattfanden: höfisches Tanztheater mit historischen Kostümen und Perücken, außergewöhnliche Konzerte und Barockfeste in den Parkanlagen, daneben zahlreiche Präsentationen und Mitmachaktionen rund um das kurfürstliche Leben, Handwerk, Kunst und Kultur des 18 Jahrhunderts.

Die Ausstellungen und Veranstaltungen im Rahmen des Projektes "Der Riss im Himmel. Clemens August und seine Epoche" präsentierten jedoch nicht nur das Leben der Mächtigen. Auch die bürgerlichen und bäuerlichen Lebens- und Arbeitswelten wurden beleuchtet. Gesellschaftliche Spannungen und Umbrüche, die "Risse" in der Zeit zwischen Reformation und Revolution wurden spürbar.

Die Ausstellung

1. Gestalt und Epoche

Am 17. August des Jahres 1700 wurde Clemens August von Wittelsbach, der spätere Kölner Erzbischof und Kurfürst (1723-1761) in Brüssel geboren. In Personalunion verband er weite Teile des heutigen Bundeslandes Nordrhein-Westfalen als Herzog von Westfalen, als Bischof von Münster und Paderborn seit 1719, Bischof von Hildesheim seit 1724 und seit 1728 als Bischof von Osnabrück. Clemens August, der am 6. Februar 1761 auf der Feste Ehrenbreitstein starb, steht als ebenso farbenprächtige wie zwie-spältige Gestalt am Ende der frühneuzeitlichen Entwicklung unserer Region. Im Spannungs-feld zwischen Residenz und Metropole, zwischen Landesherrschaft und bürgerlicher Selbst-behauptung im Raum Bonn, Brühl und Köln, werden die Probleme der Epoche in exemplari-scher Verdichtung sichtbar.

Nach einem Jahrhundert furchtbarer Kriege waren unter Clemens August Frieden und Wohlstand zurückgekehrt. Nach dem Vorbild des Hofes von Versailles entstehen unter den Kölner Kurfürsten aus dem Hause Wittelsbach prunkvolle Schlösser und bezaubernde Gärten. Architekten und Künstler aus ganz Deutschland, Frankreich und Italien verleihen der Hofhaltung den Glanz, mit dem das Gottesgnadentum der höfischen Herrscher den Untertanen vor Augen geführt werden soll. In den Schlössern des Adels und den Häusern der reichen Bürger wird die höfische Kultur zu einem eigenständigen Lebensstil umgeformt.

Georges Desmarées: Bildnis des Kölner Kurfürsten Clemens August von Bayern mit dem Pagen von Weichs. Im Hintergrund des Bildes Schloss Falkenlust. Um 1746, Öl auf Leinwand.
Das Porträt zeigt Clemens August mit allen Zeichen seiner geistlichen und weltlichen Herrschaft: Kurmantel und Kurhut stehen für das Kurfürstentum Köln, das auf der Brust hängende bischöfliche Pektorale, der Kragen des Priesterornats und die auf dem Tisch hinter dem Kurhut liegende Mitra versinnbildlichen sein Amt als Erzbischof von Köln. Mit seiner rechten Hand weist Clemens August auf das 1731 erbaute Schloss Falkenlust.
Brühl, Schloss Augustusburg
Bild: Rheinisches Amt für Denkmalpflege, Pulheim-Brauweiler
Katalog "Der Riss im Himmel" S. 82/84


Schloss Augustusburg, Brühl: Fama mit dem kurfürstlichen Wappen im Treppenhaus. Stuckarbeit von Giuseppe Artario. Aufnahme: Rüdiger Block, Hürth

Doch in der prächtigen Fassade des höfischen Staates und der barocken Kultur erscheinen die ersten Risse, erzeugt durch den Verlust der religiösen Einheit, die revolutionären Ideen der Aufklärung, den Aufstieg des Bürgertums, die dürftigen Lebensverhältnisse breiter Bevölkerungsschichten. Weil die Risse im sozialen Gefüge negiert, die Umwälzungen in Wissenschaft, Technik und Wirtschaft nicht zur Kenntnis genommen werden und die notwendigen gesellschaftlichen und politischen Reformen unterbleiben, beschwört das Ancien Regime sein Ende selbst herauf. Im Ansturm der französischen Revolutionstrup-pen wird die alte Ordnung hinweggefegt.

2. "Der Riss im Himmel. Clemens August und seine Epoche."

Die skizzierten Zusammenhänge erfahrbar und erlebbar zu machen, war das Ziel des Projektes „Der Riss im Himmel". Der Blick in die Vergangenheit konnte so vielleicht Perspektiven aufzeigen für den Weg in das nächste Jahrtausend. Kristallisationspunkt und zentrales Kulturereignis des Projektes war eine große gemeinsame Ausstellung des Rheinischen Landesmuseums Bonn, Landschaftsverband Rheinland, und des Kölnischen Stadtmuseums in Schloß Augustusburg in Brühl im Jahr 2000.

Schloss Poppelsdorf, ab 1718 als Lustschloss des Kölner Kurfürsten vor den Toren der Residenz in Bonn errichtet. Schloss Clemensruhe (der Name ab 1756 belegt) bildet eine geschlossene vierflügelige Anlage mit jeweils einem Pavillon an den Ecken und in der Mitte der Flügel. Zum Rhein hin war ursprünglich ein Kanal geplant, der dann als Allee verwirklicht wurde. Schloss Clemensruhe richtete sich in seinen Sichtachsen sowohl auf die Residenz aus als auch auf die dahinter gelegene Wallfahtskirche auf dem Kreuzberg.
Bild: Ausstellung

Ein modernes multimedial unterstütztes Ausstellungskonzept ließ Clemens August und seine Epoche wiedererstehen. Modelle und Inszenierungen machten Geschichte ertast- und erlebbar, dienten der sinnlichen Wahrnehmung. Ausgehend von der Gegenwart wurde der Besucher in die Vergangenheit geführt: Preußenzeit und Franzosenherrschaft passierten Revue. Im Glanz des Barock und Rokoko entfaltete sich das Schloß und wurde zur Hintergrundfolie einer Zeit, deren Wirkungen anschaulich an Objekten sichtbar wurden. Eine umfassende Auswahl hervorragender Meisterwerke aus Malerei, Skulptur und Kunstgewerbe demonstrierte Macht und Herrschaft. Ihnen standen einfache Gegenstände des Alltags (Steinzeug, Keramik, Holz) und der Wirtschaft (technische Instrumente, Maschinen) gegenüber. Jedes einzelne Exponat erzählte eine Geschichte, leitete die Besucher, ließ sie in eine ferne Welt versinken. So erlebte man den Krönungszug Karls VII. oder nahm am Maskenball des Kurfürsten teil. In goldglänzenden Speisesälen lockten fürstliche Speisetafeln. Versteckte Türen führten zu verschwiegenen Bade- und Puderräumen.

Exotische asiatische und orientalische Welten vermittelten den verfeinerten Luxus eines Fin de siècle. Doch auch die Rückseite der Pracht wurde sichtbar: in verwinkelten kleinen Dienstbotenzimmern, in der Vielzahl der Gänge, die dem An- und Abtransport des Alltäglichen dienten. Der Glanz des höfischen Zeremoniells stand bürgerlicher und bäuerlicher Realität gegenüber. Die Ausstellung spiegelte die Epoche in all ihrer Schönheit, aber auch in ihrer Zerrissenheit.

Den thematischen Kontrapunkt in der Ausstellung bildete das Leben in der freien Reichsstadt Köln. Die Metropole im Erzbistum hatte die politische Herrschaft des Erzbischofs zwar weitgehend abgeschüttelt, blieb aber geistiges und geistliches Zentrum der Region. Politische, soziale, wirtschaftliche und geistige Verhältnisse in der Region wurden hier aus reichsstädtischer Sicht mit Blick auf die Kunst der Epoche aus anderer Perspektive gesehen. So ergänzten sich beide Ausstellungen und ermöglichten erstmals Einblick in umfassende Fragestellungen dieser Epoche unserer Kulturregion.

Simon Troger (?): Bettlerin. Mitte 18. Jahrhundert, Elfenbein und Holz, 24 cm hoch. Auf Grund der Kostbarkeit in den Materialien sind derartige Figuren als Prunkgeschenke anzusehen
Schloss Favorite bei Rastatt. Bild: A. Bachinger, Karlsruhe. Katalog "Der Riss im Himmel" S. 82/84

"Die Ästhetik des Krieges?" hieß der provokante Titel der Ausstellung, die in den Gemäuern der alten Festung Zitadelle Jülich präsentiert wurde. Pulverkammern und Kanonenhof, Geschützplattformen und Wälle: Die authentische Militärarchitektur wurde hier eindrucksvoll in Szene gesetzt. Die Welt des adeligen Offiziers wurde der des einfachen Soldaten gegenübergestellt. Der Krieg galt im 18. Jahrhundert als hohe Kunst, die studiert, gelehrt und ausgeübt wurde wie andere Künste auch. Dies konnte in Jülich in besonders anschaulicher Form gezeigt werden. Denn die geometrischen Formen der Kriegskunst spiegelten sich nicht nur in Schlachtplänen sondern auch im Festungsbau wider.

Die Ausstellung „Bonn - Residenz der Kölner Kurfürsten" des Stadtmuseums Bonn präsentierte zusätzliche Aspekte des Themas aus der Sicht der Residenzstadt. Die Ausstellung richtete den Blick des Besuchers auf die auch im Stadtbild manifestierte Vergangenheit der Stadt, deren zentrale Bauten und Anlagen heute ebenso nachwirken wie die kontinuierliche Pflege der Hofkapelle, aus der Bonns berühmtester Sohn, Ludwig van Beethoven hervorging. Historische Gemälde und Stiche wurden dabei ebenso präsentiert wie ein zeitgenössisches Instrumenten-Ensemble. Neben der Würdigung der barocken Stadtanlage stand auch das städtische Erwerbs- und Zunftleben im Mittelpunkt.

Eine Ausstellung zeitgenössischer Aquarell-Fotografien in der Orangerie des Schlosses Augustusburg beleuchtete das Rokoko aus der Perspektive der Gegenwart. Die Kölner Fotografin Mechthild Op Gen Oorth warf Schlaglichter auf die „Fassade" des 18. Jahrhunderts. Ihre mit transparenten Seiden verhangenen Schwarzweiß-Fotografien lassen das Lebensgefühl der Epoche erahnen, bewahren aber das Geheimnis des Schlosses.

Das Lustschloß Miel, eines der schönsten architektonischen Zeugnisse des Rheinlandes im 18. Jahrhundert, präsentierte die private Seite des Hofes. Es beherbergt eine der vollständigsten originalen Raumausstattungen dieser Zeit. Duftige Wandgemälde nach Antoine Watteau und eine Vielfalt kostbarer Möbel demonstrieren eine adelige Wohnkultur auf der Höhe des europäischen Rokoko. Der eigens für das Personal errichtete Schloßflügel spiegelt den aufgeklärten Denker, einen faszinierenden Menschen und einen der mächtigsten Männer in der Mitte des 18. Jahrhunderts: Graf Caspar Anton von Belderbusch, Deutschordensritter und Minister am Hof der Wittelsbacher Erzbischöfe.

Bild in der Navigationsleiste: G. Desmarees: Kurfürst-Erzbischof Clemens August von Köln. Rheinisches Landesmuseum Bonn. Foto: Brigade Piron/Wikimedia Commons

im Detail:  
siehe auch: Die Ästhetik des Krieges ? - Ausstellung im Museum Zitadelle Jülich
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