Bereits 2006 waren bei Erdarbeiten im Neubaugebiet des
Gewanns „Muckenloch“ mehrere Gräber eines
frühmittelalterlichen Bestattungsplatzes aufgedeckt
worden. Bei den umgehend anberaumten archäologischen
Untersuchungen ließen sich im Friedhofsareal viele
weitere Bestattungen freilegen und dokumentieren. In den
insgesamt 218 Beisetzungen erhielten sich zahlreiche Fundstücke,
welche eine exakte Datierung des Gräberfeldes vom
beginnenden 6. bis in das 8. Jahrhundert ermöglichten.
Während des frühen 6. Jahrhunderts wurden die
Toten üblicherweise in Baumsärgen gebettet und
in langen schmalen Grabgruben beigesetzt. Im Verlauf des
Jahrhunderts änderten sich jedoch allmählich
die Bestattungssitten. Die Verstorbenen wurden nun zunehmend
in hölzernen Kammergräbern niedergelegt. Im 7.
Jahrhundert machte sich in Hessigheim ein besonderes Abgrenzungsbedürfnis
der Oberschicht bemerkbar. Mitglieder wohlhabender und
einflussreicher Familien fanden unter hohen, mit Kreisgräben
umfriedeten Grabhügeln die letzte Ruhe.
Gemäß den frühmittelalterlichen Bestattungsriten
wurden die Frauen mit metallenem Kleidungszubehör,
verschiedenartigen Schmuckstücken und vielfältigen
Amuletten beigesetzt. Den Männern legte man hingegen
prunkvolle Gürtelgarnituren und aufwändige Waffenensembles
in das Grab. In zahlreichen Bestattungen wurden zudem wertvolle
Beigaben, wie beispielsweise verschiedenartige Behältnisse,
Gerätschaften oder auch Mobiliar deponiert. Zu den
kostbarsten Funden gehören solche, die nachweislich
nicht von ortsansässigen Handwerkern gefertigt, sondern
aus dem Mittelmeerraum oder aus Oberitalien eingehandelt
wurden. Diese luxuriösen Importgüter blieben
zweifelsohne der wohlhabenden Oberschicht vorbehalten.
Kostbare Schmuckgehänge
Im 7. Jahrhundert verschlossen wohlhabende Damen ihre
Mäntel und Umhänge üblicherweise mit einer
großen Scheibenfibel. Eine besonders aufwändig
verzierte Scheibenfibel konnte in Grab 11, der Bestattung
einer reichen Frau nachgewiesen werden. Die im Halsbereich
positionierte Fibel fungierte nicht als Gewandverschluss,
sondern bildete den oberen Abschluss eines am Oberkörper
herabhängenden Schmuckgehänges. Dieses setzte
sich aus zahlreichen, an Lederriemchen befestigten Metallen
zusammen. Offenbar waren viele dieser Metallapplikationen
zuvor in anderer Funktion gebraucht worden, bevor sie an
dem Gehänge der Dame Platz fanden. Denkbar ist, dass
das Schmuckgehänge nicht nur einen zierenden Charakter
besaß, sondern zugleich als Schutz vor Unheil diente.
Luxus aus dem Süden
Besonders hervorzuheben ist das in das 6. Jahrhundert
zu datierende Grab 75. Die in einer großen Grabkammer
niedergelegte Dame war mit einem eisernen Klappstuhl beigesetzt
worden. Vergleichbar konstruierte metallene Klappstühle
ließen sich bislang in nur wenigen frühmittelalterlichen
Bestattungen nördlich der Alpen nachweisen. Grabfunde
belegen, dass im alamannisch-fränkischen Siedlungsgebiet
wohl überwiegend hölzerne Klappstühle in
Gebrauch waren.
Viele der bislang bekannten, auf römische Traditionen
zurück zu führenden Klappstühle mit metallenen
Gestellen stammen aus dem Mittelmeerraum. Schon in der
römischen Kaiserzeit waren diese exklusiven Sitzmöbel
der einflussreichen Oberschicht vorbehalten. Vielleicht
diente der im Hessigheim erhaltene Stuhl der im Grab bestatteten
Dame zu Lebzeiten als repräsentatives Möbel bei
feierlichen Anlässen.
Das Reliquienkästchen
In dem antik beraubten Holzkammergrab einer einst überdurchschnittlich
reich ausgestatteten Dame konnten noch Relikte kostbarer
Gewandaccessoires und wertvoller Beigaben freigelegt werden.
Um den Hals trug die Frau einen aus runden, fein verzierten
Goldanhängern gearbeiteten Collier. Ursprünglich
waren wohl verschiedenste Gefäßbeigaben, von
denen ein hölzerner Eimer mit Eisenringen und bronzenen
Attaschen und ein Glasbecher erhalten blieben, mit in das
Grab gelegt worden. Ganz besondere Aufmerksamkeit verdient
jedoch vor allem das seitlich der Toten deponierte, von
den Grabräubern unangetastete, Holzkästchen,
welches vollflächig mit reich verzierten Beinplättchen
beschlagen war.
Im Inneren des Kästchens befand sich lediglich ein
nadelartiger Eisengegenstand. Es ist jedoch nicht auszuschließen,
dass ursprünglich weitere Dinge, eventuell aus einem
inzwischen vollständig vergangenen, organischem Material
in dem hölzernen Behältnis bewahrt wurden. Das
kostbare Kästchen aus Grab 120 ist mit großer
Wahrscheinlichkeit als christliches Reliquiar anzusprechen.
Ein vergleichbar gearbeitetes, wohl aus Italien stammendes
Behältnis ist noch heute in der St. Petersburger Eremitage
zu bewundern. Ein weiteres vergleichbares Kästchen
war Inhalt eines romanischen Reliquiars aus der Provinz
Turin.
Eine rätselhafte Doppelbestattung
Der in einer großen Holzkammer bestattete, wohl
im Alter von 40 Jahren verstorbene Mann besaß eine
vollständige Waffenausstattung. Diese bestand aus
Langschwert (Spatha), Hiebschwert (Sax), Lanze, Schild
sowie Pfeil und Bogen. Unmittelbar neben den Schwertern
lagen Reste aufwändiger Gürtelgarnituren. Offensichtlich
waren diese zum Zeitpunkt der Beisetzung nicht am Körper
des Mannes befestigt, sondern um die Waffen geschlungen
worden. Zu den Füßen des Toten befand sich eine
Anhäufung verbrannter Knochen. Die anthropologischen
Untersuchungen konnten belegen, dass es sich hierbei um
die sterblichen Überreste eines zweiten, eingeäscherten
Leichnams, nämlich eines etwa 30 Jahre alten Mannes
handelte. Aus dem Leichenbrand konnte ein pyramidenförmiger
Knopf aus Bein geborgen werden, der ursprünglich zu
einer Schwertaufhängung gehörte.
Wertvolles Vogelfibelpaar
In dem Grab eines ungewöhnlich reich ausgestatteten
Mädchens konnten ein wertvolles Vogelfibelpaar freigelegt
werden. Die im Brustbereich der Toten platzierten, mit
kostbaren Almandineinlagen verzierten Fundstücke besaßen
die Form von Adlern. Vermutlich hielten die Fibeln einst
ein Kleidungsstück zusammen. Denkbar ist jedoch auch,
dass diese als Zierde am Gewand des Mädchens befestigt
wurden. Die qualitativ hochwertige Grabausstattung zeichneten
die Tote als Angehörige der Oberschicht aus.
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