Wo Steine die Herzen erweichen
Figuren aus dem Rokokogarten in Veitshöchheim
Zum 300. Geburtstag von Ferdinand Tietz (1708 - 1777)
Neue Dauerausstellung im Mainfränkischen Museum Würzburg
Der Garten in Veitshöchheim und sein Figurenprogramm
In Veitshöchheim wurde unter Fürstbischof Peter Philipp von Dernbach
1680 - 1682 ein Lusthaus für ein Wildgehege gebaut, das schon
etwa die Größe des heutigen Gartens hatte. Unter Fürstbischof
Johann Philipp von Greiffenclau wurde 1702/03 ein Garten angelegt.
Aus dieser Zeit stammt die bis heute auszumachende Gliederung
mit Großem See und Umfassungsmauer. Der Kleine See entstand unter
Fürstbischof Johann Philipp Franz von Schönborn (reg. 1719 - 1724).
Fürstbischof Carl Philipp von Greiffenclau (reg. 1749 - 1754)
ließ das Lusthaus in ein Wohnschloss wandeln. Und schließlich
war es Fürstbischof Adam Friedrich von Seinsheim (reg. 1755 -
1779), der dem Garten seine endgültige Gestalt gab mit Heckenstaffagen,
Laubengängen, Figurenschmuck und Wasserspielen.
Der Garten gliedert sich bis heute in drei Zonen: die westliche
mit groß angelegten Formen, u.a. dem Großen und dem Kleinen See,
die mittleren Zone mit Heckenrondellen, -kabinetten und Laubengängen
und die schmale östliche Zone mit Heckentheater und dicht bewachsenen
Teilen.
Die Bildwerke entführen uns in einen vielschichtigen Kosmos mit
verschiedenen Bedeutungsebenen: Der griechischen Mythologie sind
die Bildwerke der Götter, Musen, Faune, Satyre und Nymphen zuzuweisen.
Vom immer wieder kehrenden Lauf der Gestirne künden die Personifikationen
der Tages- und Jahreszeiten. Die Erde und die Planeten sind durch
die Allegorien der Erdteile bzw. durch antike Götter dargestellt.
Die Künste sind als Personifikationen, Musikanten und Schauspieler
vertreten. Auf die Jagd verweisen Jagdgöttin und Wildtiere, die
ebenso wie die Fabeltiere und Meeresbewohner am Großen See die
im Garten überall präsente Natur und ihre schöpferische Kraft
verbildlichen. Es sind heitere, beschwingte Gestalten, die den
Garten bevölkern. Gekleidet in der Mode der Zeit, holen sie das
dargestellte Arkadien in die Welt des Betrachters. Es scheint
so, als sei der Auftraggeber Fürstbischof Adam Friedrich von Seinsheim
mit dem Sonnengott Apoll auf dem Musenberg Parnass im Zentrum
des Großen Sees zu identifizieren, der dieses Paradies fördert,
lenkt und die Künste zur höchsten Blüte treibt.
Die Figuren des Gartens sind bewusst artifiziell gestaltet:
Sie stehen auf jeweils eigens für sie entworfenen Sockeln, mit
denen sie der Wirklichkeit enthoben und zur Kunstform werden.
Ursprünglich überwiegend weiß gefasst, teilweise mit vergoldeten
Details und im Heckentheater sogar bunt, erschienen sie wie lebensgroße
Porzellanfiguren. Es geht nicht um die Darstellung der Wirklichkeit,
sondern um die Schöpfung einer künstlichen oder künstlerischen
Welt.
Das zeigt auch die Formensprache von Ferdinand Tietz, wie sie
zum Beispiel bei der Dudelsackbläserin und ihrem Gegenstück, dem
Krummhornbläser exemplarisch sichtbar wird. Ursprünglich standen
beide Figuren wohl im großen Heckenrondell der Mittelzone, wo
sie seit 1866 auch archivalisch nachgewiesen sind. Beide Figuren
sind zu ihrer rechten Seite gewandt und lassen tanzend ein Bein
vor bzw. zurück schwingen. Auch die Kleidung ist in Bewegung geraten,
und die Gesichter mit den spitzen, nahezu überzeichneten Zügen
wirken wie entrückt. Beide Gestalten sind in der höfischen Mode
von der Mitte des 18. Jahrhunderts gekleidet: Der Krummhornbläser
mit Rock, Weste, Kniehose, Strümpfen und Absatzschuhen; die Dudelsackbläserin
mit Mieder, geteiltem Rock und Unterrock und Absatzschuhen. Auch
modische Trends sind festgehalten, wie zum Beispiel die zunehmende
Betonung des Untergewandes, die beim Mann durch die nur in der
Taille geknöpfte Weste mehr von dem Hemd und bei der Frau durch
die Stofffülle mehr von dem Unterrock sichtbar werden ließ. Trotzdem
sind diese modisch gekleideten Gestalten bislang als Schäferin
und Schäfer betitelt worden. Doch tatsächlich haben sich hier
Mitglieder der höfischen Gesellschaft volkstümlich kostümiert
- sie durch den Strohhut und natürlich ihr auffälliges Instrument,
den so genannten "Polnischen Bock", eine Art Dudelsack in Form
eines Ziegenbocks, er durch eine Spielmannskappe, einen umgelegten
Kragen und das große drachenförmige Krummhorn. Sie sind so ihrer
Wirklichkeit entflohen und spielen diese bacchantische Szene.
In seiner Gestaltung variiert Tietz weitgehend abstrakt belassene
Partien mit akkurat, nahezu hyperrealistisch wiedergegebenen Teilen.
Die Stoffe der Gewänder legen sich nur summarisch in stereotype
Fältchen, aber die Spitzenborten an den Säumen sind en Detail
mit Mustern und Schichten angegeben. Dieser Detailrealismus kehrt
auch in den Gesichtern wieder, mit präzis dargestellten großen
Augen, die dadurch besonders intensiv zu schauen scheinen. Diese
für Ferdinand Tietz charakteristische additive, verschiedene Realitätsebenen
zusammenführende Gestaltungsweise hat in dem Veitshöchheimer Garten
mit seinen Grenzgängen zwischen Natur, Illusion und Kunst seinen
richtigen Kontext gefunden. Kongenial müssen der Auftraggeber
Adam Friedrich von Seinsheim und "sein dicker Tietz" bei der Ausstattung
des Veitshöchheimer Gartens zusammengewirkt haben. Es entstand
in ungeheuerer Schnelligkeit von nur drei Jahren, natürlich unter
Beteiligung einer mehrköpfigen Werkstatt, ein rund 280 Figuren
umfassendes Bildprogramm, das das Können von Ferdinand Tietz auf
höchstem Niveau und in nie wieder von ihm erreichter Prägnanz
zeigt.
Mainfränkisches Museum Würzburg,
Dr. Claudia Lichte
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