Hermann
Hesse: Bodensee. Betrachtungen, Erzählungen, Gedichte. Hrsg.
von Volker Michels, Aufnahmen von Siegfried Lauterwasser.
Jan Thorbecke Verlag Stuttgart. Siebte Auflage 2001. ISBN
3-7995-2006-6.
Hermann Hesse (1877-1962), in Calw geboren, hat acht Jahre
seines Lebens (1904-1912) am Bodensee verbracht. Es waren
wohl die ruhigsten Jahre seines Lebens - in Gaienhofen,
das damals noch nicht einmal 300 Einwohner hatte. In der
Ehe mit Frau Mia, geb. Bernoulli, wurde er der Vater von
drei Söhnen; hier in Gaienhofen erwarb er für seine Familie
sein erstes Haus - "an einem kleinen stillen Platz gegenüber
der Dorfkapelle... wir mieteten das Bauernhaus für einen
Mietzins von hundertfünzig Mark im Jahr, was uns selbst
dort und damals wohlfeil erschien. Dort begannen wir uns
im September 1904 einzurichten, anfangs mit Enttäuschungen
und Schwierigkeiten, mit langem Warten auf die ausbleibenden
Möbel und Betten, die aus Basel kommen sollten... Dann ging
es vorwärts, und unser Eifer wuchs. Wir strichen das rohe
Dachgebälk in den Stuben des oberen Stockwerks dunkelrot,
die beiden unteren Stuben, die hübschesten des Hauses, hatten
alte Wandverkleidungen von unbemaltem Tannenholz, und neben
dem gediegenen Ofen war eine sogenannt Kunst: Ein Stück
Wand war dort, oberhalb einer rohen Sitzbank, mit grünen
alten Kacheln bekleidet, die vom Herdfeuer der Küche her
erwärmt wurden... Dies also war mein erstes Haus" (1931).
Gaienhofen: Es waren durchaus prägende Jahre, wie es Hesse
selbst in seinen ALEMANNISCHEN BEKENNTNISSEN (1919) deutlich
machte:
"(Dennoch) bin ich Alemanne, und bin es stärker und bewusster
als die meisten von denen, die es der ‚Rasse' nach wirklich
und zweifellos sind. Für mich ist die Zugehörigkeit zu einem
Lebens- und Kulturkreis, der von Bern bis zum nördlichen
Schwarzwald, von Zürich und dem Bodensee bis an die Vogesen
reicht, ein erlebtes, ein erworbenes Gefühl geworden...
Schon früh erwuchs nur aus diesem Erlebnis ein Misstrauen
gegen Landesgrenzen, und eine innige, oft leidenschaftliche
Liebe zu allen menschlichen Gütern, welche ihrem Wesen nach
die Grenzen überfliegen und andere Zusammengehörigkeiten
schaffen als politische. Darüber hinaus fand ich mich mit
zunehmenden Jahren immer unentrinnbar getrieben, überall
das, was Menschen und Nationen verbindet, viel höher zu
werten, als das, was sie trennt. Im Kleinen fand und erlebte
ich das in meiner natürlichen, alemannischen Heimat...".
"Wohl hatte ich sehr oft im Leben einen starken Reisetrieb,
stets dem Süden und der Sonne nach. Heimisch gefühlt aber
habe ich mich weder in Italien noch in Bremen, weder in
Frankfurt noch in München oder Wien, sondern immer nur da,
wo Luft und Land, Sprache und Menschenart alemannisch war.
Bauernhäuser mit rot gestrichenem Fachwerk, alte Städte
mit Brücken über den hellgrünen wilden Rhein, blaue Abendberge,
Obstland und Fruchtbarkeit, und in den Lüften etwas, was
an nahe Alpen erinnert, auch wenn man sie nicht sieht, das
und noch viel anderes spricht zu mir klimatisch und vertrauensvoll,
das lebt in mir, dahin gehöre ich...".
"Das alemannische Land hat vielerlei Täler, Ecken und Winkel.
Aber jedes alemannische Tal, auch das engste, hat seine
Öffnung nach der Welt, und all diese Öffnungen und Ausgänge
zielen nach dem großen Strom, dem Rhein, in den alles alemannische
Wasser rinnt. Und durch den Rhein hängt es von alters her
mit der großen Welt zusammen...". (Und die Donaualemannen
Herr Hesse?)
Die "literarische Ausbeute" dieser acht Jahre, die Hesse
am Bodensee verbracht hat ist groß: 25 große Erzählungen
sind in dieser Zeit entstanden. Und viele kleinere Texte,
Artikel für Zeitungen und Zeitschriften. In diesem Band,
den Volker Michels schon 1977 sorgfältig bearbeitet hat,
sind viele 2kleine Schriften" zusammengetragen, in denen
uns Hermann Hesse als Augenzeuge persönlicher Erlebnisse
entgegentritt. Die Ordnung dieses Buches schafft so beinahe
das Lesevergnügen einer Autobiographie. Sehr willkommen
sind die vielen Photos, die aus Hesses Familienbesitz stammen
- aber auch die eindrucksvollen Bilder, die der Photograf
Siegfried Lauterwasser beigesteuert hat. Ein schönes ein
informatives Hesse-Buch.
Adolf
Schmid
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