22.3.16
Ausstellung in Zwangsarbeiterbaracke eröffnet
(hdgbw) In der deutschlandweit einzigen
Zwangsarbeiterbaracke in einem Freilichtmuseum wurde am Sonntag
in Schwäbisch Hall-Wackershofen eine Ausstellung
des Hauses der Geschichte Baden-Württemberg eröffnet:
Sie zeigt die bewegenden Schicksale der ausländischen Arbeitskräfte,
die dort einquartiert waren, und das Verhältnis der einheimischen
Bevölkerung zu ihnen. Der Wiederaufbau der Baracke, die einst
in Schwäbisch Hall-Hessental stand, und die Einrichtung der
Ausstellung kosteten rund 150.000 Euro. Ermöglicht wurde das
Projekt vor allem durch die Förderung der Baden-Württemberg
Stiftung sowie des Freundeskreises des Hauses der Geschichte, der
Wüstenrot-Stiftung und durch die Würth KG.
„Wir wünschen uns, dass mit unserer Ausstellung die
Erinnerung an dieses Kapitel deutscher Geschichte wachgehalten
wird“, sagte Prof. Dr. Thomas Schnabel, der Leiter des Hauses
der Geschichte. „Es zeigt, wie groß selbst in einer Diktatur
die Möglichkeiten Einzelner sind, ausgegrenzte Menschen entweder
anständig zu behandeln oder zu schikanieren.“ Christoph
Dahl, der Geschäftsführer der Baden-Württemberg
Stiftung, blickte aus heutiger Perspektive auf die Ausstellung: „Es
wird nicht nur zur Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus
aufgerufen. Der Ansatz der Ausstellung, die gemeinsame Geschichte
von Einheimischen und Fremden zu erzählen, ist aktueller denn
je. Die Baden-Württemberg Stiftung fördert das innovative
Projekt sehr gerne, da es in Deutschland einmalig ist.“
„Mit dem Gebäude der einstigen Fassfabrik Kurz vermitteln
wir nicht nur ein Stück Schwäbisch Haller Geschichte“,
betonte die Ausstellungsleiterin des Hauses der Geschichte, Prof.
Dr. Paula Lutum-Lenger. „Es ist die Aufgabe der Ausstellung,
prinzipielle Fragen zu stellen: Wie reagierte die Bevölkerung
auf die Fremden? Wie ging man unter diesen extremen Bedingungen
miteinander um? Gab es Unterschiede zwischen den Nationalitäten
der Barackenbewohner?“
Die Ausstellung erklärt, dass der Status der Zwangsarbeiter
sehr ungleich war. Je „arischer“ sie waren, umso besser
wurden sie behandelt. „Auf fliehende Russen ist sofort zu
schießen, mit der festen Absicht, zu treffen“, lautete
eine Anordnung der Gestapo Stuttgart. Französinnen und Franzosen
dagegen standen in dieser Rangordnung weit oben. Ein Teil der 69
Porträtfotos von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern in
der Ausstellung macht die Unterschiede augenfällig. Wie verschieden
die Einheimischen mit den Zwangsarbeitern umgingen, wird in der
Museumsbaracke ebenfalls deutlich. Die einen halfen, steckten den
Ausgebeuteten Essen zu, obwohl es verboten war. Andere diffamierten
und misshandelten sie.
Die Geschichte der Zwangsarbeiter, die eingeengt in der schmutzigen
und stickigen Baracke bei oft extremen Temperaturen ihr Dasein
fristeten, steht im Mittelpunkt der Ausstellung. Sie informiert
aber auch über die massenhafte Produktion des Gebäudetyps,
der ein zentrales Mittel der menschenverachtenden Effizienz der
Nationalsozialisten beim Einsatz von Zwangsarbeitern war. Und sie
beschäftigt sich mit der Fassfabrik und der Nutzung der Baracke
nach dem Zweiten Weltkrieg als Unterkunft für Heimatvertriebene
und Gastarbeiter.
Die RAD-Baracke steht unmittelbar neben dem Eingang des Hohenloher
Freilandmuseums. „Sie entspricht so gar nicht den gängigen
Vorstellungen von Gebäuden, die im Freilandmuseum ihren Platz
finden“, sagte Museumsleiter Michael Happe. „Die Baracke
aus Hessental soll dazu beitragen, dass die Geschichte der Menschen
nicht vergessen wird, denen in der jüngeren Vergangenheit
großes Unrecht widerfahren ist.“
Die RAD-Baracke Typ RL IV/3
Baracken wurden in der Zeit des Nationalsozialismus als Unterkünfte
für den Reichsarbeitsdienst hunderttausendfach produziert.
Im Zweiten Weltkrieg wurden sie auch für das Militär
genutzt sowie in Arbeits-, Kriegsgefangenen- und Konzentrationslagern.
Die Baracke auf dem Gelände der Fassfabrik Kurz in Schwäbisch
Hall-Hessental hatte das Haus der Geschichte mit Hilfe des Hohenloher
Freilandmuseums im Jahr 2000 vor dem Abriss bewahrt und eingelagert.
2012/13 ist sie auf dem Gelände des Freilandmuseums in Wackershofen
wieder aufgebaut worden.
Zwangsarbeit
Während des Zweiten Weltkriegs lebten rund 13 Millionen Ausländer
in Deutschland, davon 2100 in der Stadt Schwäbisch Hall. Zeitweise
stand an jedem vierten Arbeitsplatz ein Zwangsarbeiter. Ohne sie
konnten Industrie und Landwirtschaft kaum am Laufen gehalten werden.
In der Fassfabrik Kurz arbeiteten rund 350 Ausländer. 125
davon waren französische Kriegsgefangene, die übrigen
Zivilisten kamen vor allem aus Russland, der Ukraine und Polen.
Sie waren zwischen 15 und 60 Jahre alt. Mehr als die Hälfte
der Zivilisten waren Frauen. Das Haus der Geschichte gibt in der
Baracke mit Fotos dem Schicksal von 69 Menschen ein Gesicht. Die
Namen von weiteren 193 Personen, die bei Schwäbisch Haller
Firmen arbeiten mussten, wurden recherchiert.
Die Fassfabrik Kurz
Die Hessentaler Fassfabrik wurde 1890 gegründet und florierte
vor allem in den Weltkriegen, weil Metall knapp und dadurch Holzprodukte
gefragt waren. Der Ingenieur Karl Kurz übernahm das Unternehmen
1925 und machte es zu einem der wichtigsten Industriebetriebe der
Region Schwäbisch Hall. Kurz trat nie in die NSDAP ein und
wurde einmal wegen regimekritischer Äußerungen inhaftiert.
Dennoch bemühte er sich aktiv um Zwangsarbeiter, über
deren Behandlung in der Fabrik es widersprüchliche Aussagen
gibt. Nach dem Krieg wuchs die Fassfabrik weiter. Der Umstieg von
Holz auf Kunststoffe gelang. Doch wegen zu hoher Investitionskosten
musste die Fassfabrik 1998 Konkurs anmelden.
|