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30.8.07

Landeskunde online auf Tour:
Pfalzgrafen von Tübingen und das Herz Württembergs

Sindelfingen und Herrenberg sind nicht grade Ziele, die überregional auf der Wunschliste des Reisenden stehen. Dieser strebt eher, hat er einmal die A 81 erreicht, nach ferneren Gefilden. Schwarzwald evtl. oder Bodensee. Ein Besuch aber lohnt sich, auch wenn man nicht unbedingt die beiden Städte als erste Perlen auf einer Pfalzgrafen-von-Tübingen-Tour auffädelt.

Sindelfingen ist alter Besitz der kirchenpolitisch sehr engagierten Grafen von Calw, die hier und gleichzeitig in Hirsau 1059 ein Kloster gründen. Gegenüber diesem kann die Sindelfinger Zelle jedoch nicht mithalten, und erst mit der Umwandlung in ein weltliches Chorherrenstift 1066 beginnt aber die Gründung hier an Bedeutung zu gewinnen und wirkt sich wohl auch auf das Dorf aus, vor dessen Toren es gegründet wurde. Die erhaltene Stiftskirche strahlt mit ihren klaren romanischen Formen die ernste Würde des 11. Jahrhunderts aus, auch wenn sie in den folgenden Jahrhunderten vielfach verändert wurde. Besonders bemerkenswert die Blendarkaden an der halbrunden Apsis, die vom Elsass her so wohlbekannt sind. Wie eine gut evangelische Kirche war sie geschlossen, und nirgends ein Hinweis darauf, dass es am Montag oder an der Tageszeit läge.

Mit dem übrigen Calwer Besitz gerät Sindelfingen in die Auseinandersetzung um das Calwer Erbe zwischen Staufern und Welfen, aus der regional die Staufer als Gewinner hervorgehen. Ort und Stift kommen dann, wohl aus staufischen Händen, an die Pfalzgrafen von Tübingen, die hier 1263 eine Stadt gründen.

Die Altstadt liegt gleich gegenüber und hat eindringlich klare Straßennamen – Lange Straße, Hintere Gasse, Kurze Gasse – und mit malerischen Fachwerkwinkeln. Ein Rundweg führt zu den wichtigsten Stätten dieses Bezirks, auch wenn er mehr über die Prozessgeschichte dieses Ortes verrät als über die Besonderheit der jeweiligen Häuser oder Ecken. Fußgängerzone und Einkaufsmeile liegen woanders, die Ruhe hier liegt wohl nicht allein am Montagmittag.

Nachdem 1351 Württemberg die Pfalzgrafen ausgekauft hatte, übertrug Graf Eberhard im Bart überträgt ein reichliches Jahrhundert später das Sindelfinger Stift auf die Tübinger Kirche, um dort die Grundlage für die Gründung der Universität zu schaffen. Sindelfingen blieb ein kleines Stift von Augustiner-Chorherren, das die Reformation nicht überlebte.

 

Fachwerk dominiert auch das einige Minuten entfernte Herrenberg. Hier hat man allerdings den Stier bei den Hörnern – oder besser: die Stadt beim Fachwerk – gepackt und einen Fachwerk-Rundgang installiert, der an den bemerkenswertesten Bauten das jeweils Besondere darstellt. Das ist in der Tat etwas anderes als der sonst übliche – und hier auch in einem kleinen Taschenformat-Prospekt angebotene – „Historische Stadtrundgang“.

Die Stadt wird überragt von der massigen Westfront der spätgotischen Stiftskirche, die von der Stadt aus über einige Treppen, schwäbisch-alemannisch „Staffeln“ genannt, zu erreichen ist. Die schönste davon trägt den Namen „Paradiesstaffel“, was von der Bezeichnung für die ehemals offene West-Vorhalle der Kirche abgeleitet wird. Immerhin hier der zweite Beleg nach dem Paradies in Maulbronn für die Benennung dieses Eingangsbereiches zur Kirche als Paradies.

Der Marktplatz unterhalb der Kirche, die „gute Stube“ Herrenbergs, rühmt sich, der schönste Platz Württembergs zu sein. Ein Prädikat, das durchaus seine Berechtigung haben mag. Was uns unvoreingenommenerweise als „Mittelalter“ vorkommt, entstammt allerdings dem Wiederaufbau nach dem Stadtbrand von 1635.

 

Tübingen ist heute, was den Altersdurchschnitt der Bevölkerung angeht, die jüngste Stadt Baden-Württembergs. Der Vergleich mit Heidelberg drängt sich auf. Wie Heidelberg ist Tübingen eine traditionsbewusste Universitätsstadt am Neckar, aber damit sind die Gemeinsamkeiten auch schon erschöpft. Keine Neckarwiesen, auf denen sich an Sommertagen die Studenten tummeln, kein Massentourismus, der die Stadt tagsüber bevölkert, kein Altstadttrubel bis in die Nacht. Die Studenten bevölkern die Mauer am Neckarufer mit Pizza aus der Schachtel und Bier aus der Flasche, aber die Mauer ist klein und überschaubar wie die Stadt. Das Bild der Altstadt ist von hohen Giebelhäusern geprägt, die – und das macht den Eindruck so völlig anders als in Heidelberg – in seltener Geschlossenheit sich sechs- und siebenstöckig über die Straße erheben und ihre Stockwerke vornübergebeugt der Straßenmitte nähern. Wo in Heidelberg das 18. und 19. Jahrhundert dominiert, herrscht hier das 16. und 17. Jahrhundert vor. Und es fällt nicht auf den ersten Blick auf: Kein Neubau verunziert das Ensemble. Wenn Neubau Wachstum und Fortschritt ist, scheint Tübingen zurückgeblieben. Das aber so zu sehen ist ein Irrtum.

Wie Heidelberg hat Tübingen ein Schloss über der Stadt, sogar ein pfalzgräfliches, zumindest in den Ursprüngen. Von der Gründung der Tübinger Pfalzgrafen ist allerdings oberirdisch nach den seit 1507 unternommenen umfangreichen Neubauten des Württemberger Herzogs Ulrich nicht mehr viel zu sehen. Unzerstört ist das Schloss auf unsere Tage gekommen, wird dem gemäß auch nicht von  All-inclusive-Bus-Karawanen angesteuert, sondern beherbergt Universitätsinstitute. Touristen bevölkern vor allem die Aussichtskanzeln und Bastionen und genießen den Blick hinunter ins Neckartal. Das Schloss selbst glänzt mit prächtigen Renaissanceportalen, hält sich aber, was seine Bauten betrifft, schwäbisch sparsam bedeckt.

In  der Stadt die spätgotische Stiftskirche, breit gegen den vorgelagerten Kirchplatz hingestreckt und mit diesem über eine ebenso breite Freitreppenanlage verbunden. Der Reclam-Führer verspricht hier spätgotische Grabskulptur vom Feinsten. In der Tat liegen im Chor der Kirche, da wo sonst hinter einem Lettner sich spätgotische Altarkunst, vielleicht umgeben von eime Chorgestühl des 17. Jahrhunderts verbirgt, 14 württembergische Herzöge der Tübinger Linie und ihre Ehefrauen aufgebahrt, alle in Grabfiguren verewigt, die vom Ruhm und der Größe des Hauses Württemberg zeugen. Eine Übersicht, die zum Kauf angeboten wird, berichtet, dass die Grafen und Herzöge vormals in der „eigentlichen“ Grablege, der Kartause Güterstein, lagen, nach der Reformation jedoch, die wohl auch das Ende der Kartause bedeutete, von Herzog Christoph 1554 hierher überführt wurden.

Die Grablege ist beeindruckend, in ihrer Kompaktheit auch seltsam anmutend. Es sind „nur“ fünf zwischen 1419 und 1559 regierende Grafen und Herzöge, und dennoch hat man den Eindruck, die gesamt württembergische Geschichte versammelt sich hier. Oberirdisch, nicht in einer Gruft versteckt. Freilich – die Stuttgarter Stiftskirche hat „mehr“, aber die Toten sind dort nicht so aufgereiht.

Den Hölderlinturm unten am Neckar sollte man vormittags sehen, vielleicht auch, weil er gegen das Licht der Abendsonne romantischer wirkt als Hölderlin sich seinerzeit darin gefühlt hat.

 

Württemberg pur ist auch die auf hohem Felsen gelegene Burg Lichtenstein. Ihre mittelalterliche Geschichte von Eroberung, Neubau und Verfall ist die vieler anderer Burgen. Dann aber kommt ein Dichter, Wilhelm Hauff, und siedelt in ihr die literarische Fiktion von gut württembergischer Treue gegenüber dem angestammten und zu Unrecht verfolgten Herzog an. So geschehen angeblich im Jahre 1519. Natürlich umrahmt mit einer Liebesgeschichte zwischen einem jungen Ritter und einer bildhübschen und anmutigen Maid. Graf Wilhelm von Württemberg liest diesen Roman und ist so begeistert davon, dass er ab 1840 dieses Schloss neu bauen lässt. Romantik vom Feinsten. Mit Zugbrücke, Rittersaal, Schankstube und Söller. Nicht allein das – in keinem anderen Bauwerk wird Württemberg so thematisiert wie hier. Wappen allüberall, ganze Räume im einheitlichen Wappendekor gehalten, hier die württembergischen Hirschstangen, dort die Mömpelgarder Fische, Porträts und Ahnenverehrung an den Wänden.

Historismus galt früher als kitschige Nachahmung des Alten, heute weiß man den Stil als eigenständiges Kunstwerk zu schätzen. Lichtenstein steht damit in einer Reihe mit Bauten wie Hohenschwangau oder der Hohkönigsburg.

Schade, dass dieser wichtige Aspekt des 19. Jahrhunderts bei den Führungen vor lauter Sach-Information fast kaum erwähnt wird. Das an Sommertagen zahlreich anreisende Publikum wird durch die ersten beiden Stockwerke geschleust und mit Anekdoten gefüttert. Aber das Publikum liebt das und ists zufrieden. Nur Sonderführungen bleiben die oberen Stockwerke vorbehalten, aber es ist gerade ihre Intimität, die den Zauber der Burg ausmacht. Den Zauber, dass alles so geblieben ist, wie es der Erbauer in seinen romantischen Illusionen wollte.

Lichtenstein als das Neuschwanstein Württembergs? Nein. Das hieße, die Bestimmung Lichtensteins zu verkennen. Neuschwanstein ist das steingewordene Monument einer königlichen Illusion, eine gebaute Opernbühne. Lichtenstein dagegen ist „nur“ der Hintergrund für einen Roman, kein Rückzugsgebiet vor der als fremd empfundenen Moderne des 19. Jahrhundert. Lichtenstein ist außerdem vollendet, gerade wegen seiner Überschaubarkeit. Das wiederum hat die Burg mit Tübingen gemeinsam.

Und man könnte sagen, nur wer die Grablege in Tübingen und Schloss Lichtenstein gesehen hat, kann verstehen - oder auch nur ahnen - was das Spezifische am württembergischen Selbstverständnis ist. Oder sollte man besser sagen, am württembergischen Selbstgefühl?

 


 
In Surfin' Süden:
Tübingen
Lichtenstein
 

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