22.8.07
Residenz, Römer, Romanik – Recherchefahrt nach
Neuenstadt/Kocher
Neuenstadt am Kocher – die Stadt wirbt mit
einer nicht mehr vorhandenen tausendjährigen Linde und mit einer
herzoglich-württembergischen Residenz, die im 17. und 18. Jahrhundert
der Stadt etwas Hofhaltungs-Glanz bot. Ein Blick in die Stadtgeschichte
allerdings zeigt die Stadt als einen Kreuzungspunkt der Landesgeschichte:
Im ausgehenden 13. Jahrhundert als Neugründung von den Herren
von Weinsberg angelegt, im 15. Jahrhundert kurze Zeit pfälzische
Landstadt, 1504 von Württemberg erobert, dann Residenz einer Nebenlinie
der Herzöge von Württemberg mit einem ländlichen, aber nichtsdestoweniger
repräsentativen Residenzschloss.
Die tausendjährige Linde steht seit 1945
wirklich nicht mehr, lebt noch in einem metallenen Umriss-Reifen
von wirklich beachtlichen Ausmaßen fort. Aber das Besondere daran
sind die Steinsäulen, die das Blätterdach tragen und die für sich
– mit Namen, Wappen und Jahreszahl versehen – ein Monument des
Neuenburger Bürgerstolzes bilden.
Für Landeskunde online also in der Tat ein
Ziel, das anzusteuern sich lohnte, um einen der noch verbliebenen
weißen Flecken auf der Baden-Württemberg-Karte zu tilgen. Dass es
just dieser Tag und diese Stunde war, ging auf eine Verabredung
mit Heike Lüttich von SWR4 Franken Radio zurück, die anbot, ein
Porträt von Landeskunde online zu machen. Im Land, ganz nah dran.
Da war Neuenstadt in der Tat das passende Ziel, denn wir lieben
die kleinen Perlen, die noch nicht überlaufenen Stätten des
Kulturerbes.
Die Residenz von Neuenstadt ist in der Tat
nicht gerade klein, sondern besteht aus einem veritablen
mehrgeschossigen Fachwerkbau mit einer malerischen
Renaissancelaube im Obergeschoss zur Ostseite hin. Gegenüber
liegt, ebenfalls ein Fachwerkbau, die Mörike-Apotheke, aus dieser
Familie stammt der Dichter Eduard Mörike, dem im nahen
Cleversulzbach ein Museum gewidmet ist. Dort liegen auch dessen
Mutter und Schillers Mutter nebeneinander auf dem Friedhof
begraben. Ob es eine einträchtige Ruhestätte ist, wird eine
künftige Recherche klären.
In die Urgründe der Neuenstadter Geschichte
führte die zweite Station, die Ausgrabung der römischen Siedlung
im Ortsteil Bürg. Von ihr berichtet der Stadtprospekt, dass auf
einem Gebiet von 20 – 30 ha bei Prospektionen bereits monumentale
Gebäude und Anlagen zum Vorschein kamen, die von ihrer Struktur
her weit von einer der üblichen zivilen Kastellsiedlungen entfernt
sind. Frau Lüttich erwies sich als gute Führerin und ersparte so
die lange Suche, öffnete auch bei der grabenden Kreisarchäologin
Frau Neth den nötigen fachlichen Kontakt. Wenn da sonst so ein
unbekannter Landeskunde-online-Mensch reingeschneit kommt, ist da
oft sonst mehr Zurückhaltung.
Ergebnis waren jedenfalls geradezu
hervorragende Bilder für die Sparte „Grundbegriffe der
Archäologie“. Und nicht nur Bilder, auch durchaus aussagekräftige
Filmchen.
Die anschließend besichtigte Stadtkirche von
Neuenstadt erwies sich mit ihren drei Emporen übereinander als
geradezu klassische protestantische Predigtkirche. Die im Prospekt
angekündigten „prächtigen Särge in der Gruft“ bleiben einem
späteren Besuch vorbehalten.
Für den Rückweg – Frau Lüttich hatte sich
inzwischen verabschiedet, schließlich musste sie ja arbeiten –
stand Weinsberg auf dem Programm. Die Existenz einer römischen
Badruine war bekannt („von der B 39 ausgeschildert“), die Burg
Weibertreu ist altes landeskundliches Sagengut seit
Kindheitstagen. Ansonsten – wie üblich – immer nur von der
Autobahn aus „gesehen“ und erinnert. Ansonsten unvorbereitet.
Die römische Badruine war von der B 39 nicht
ausgeschildert. Kunststück, die B 39 führt seit einiger Zeit außen
um den Ort herum. Nach einigem Fragen schließlich Ortstermin an
einer der vielen restaurierten und rekonstruierten Ruinenstätten
aus der Römerzeit im Land.
Dann hinauf zur Burg Weibertreu. Nein, es
kamen keine erinnerten „Weiber“ mit ihren Männern auf dem Rücken
entgegen. Das ist Geschichte, Sage, über achteinhalb Jahrhunderte
her. Wie Weinsberg an die Welfen kam, die Gegner der Staufer, wird
sich in naher Zukunft klären lassen. Was aber entgegen kam,
vielmehr, was am Weg, im Weg, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit
stand, war eine spätromanische Pfarrkirche, oben am Berg
unmittelbar unterhalb der Burg, eine schmale Pforte führt durch
die Mauer zu ihr hin, denn der Staffelweg von der Stadt hoch
verschließt sich dem Auto fahrenden Zeitgenossen. Außen späte
Romanik, innen massige Stützen, nicht minder massige Pfeiler,
beide in harmonischem Wechsel, Romanik vom Feinsten. Hinter dem
Altar eine Tür. Sie öffnet sich in einen spätgotischen zweiten
Chorraum. Die Tür in einen unterirdischen Raum bleibt
verschlossen. Im ersten Altarraum eine weitere Tür, eine Tafel
verheißt ein „Pfaffenloch“, auch sie offen. Unten ein winziger
gewölbter Raum, außer dem Altar vielleicht wirklich Platz für die
Liegestatt eines Klausners. Ob hier wirklich das Turiner Grabtuch
aufbewahrt und bewacht wurde? Die kleine Tür sicher abzuschließen
hätte nach heutigen Begriffen gereicht. Ein wertvoller Beitrag für
die Sparte „Romanik im Land“ also.
Oben auf der Burg ein recht kurz angebundener
Kassenwart („Was soll ich mit Ihrem Presseausweis?“) und viel 15.
Jahrhundert, aber natürlich herzlich wenig von der 1140 belagerten
hochmittelalterlichen Anlage. Interessant eigentlich nur der
Ausblick ins Land (mit Autobahn in sicherer Entfernung) und die
hinterlassenen Inschriften eines schwäbisch-romantischen Dichter-
und Intellektuellenkreises von Daniel Schubart (1770) bis Emanuel
Geibel 1844. Heute würde die aufmüpfige Jugend sprayen. Und vom
Establishment dafür zur Rechenschaft gezogen werden.
Wetter war regnerisch angesagt. Was regnete,
waren die Eindrücke von einem Landstrich, an dem man sonst nur zu
einem anderen, als besser erachteten Ziel vorbei fährt. Die Sonne
schien von einem ab und zu sogar klaren Himmel. Unerwartet. Wie
die romanische Kirche, die natürlich in jedem Kunstführer
verzeichnet steht, letztlich subjektiv unerwartet kam. Es regnete
wenig vorher und wenig nachher.
Und was ist mit SWR4? Drei Minuten „Kultur im
Land“ im Frankenradio Heilbronn, zweieinhalb Minuten im
landesweiten Programm. Ich bewundere eine Redakteurin, die aus
einer dreiviertel Stunde Aufnahme eine Reportage von drei Minuten
zusammenschneidet.
Dafür brachte aber dieselbe Redakteurin meine
Frage, was sie zur Interviewtechnik meinen Schülern mitgeben würde
(„Drei, vier Sätze“) wirklich in drei Sätzen auf den Punkt. Für
meine Schüler. Vor der Kamera.
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