28.9.06
Kulturgut
vor dem Ausverkauf
Minister beschwichtigen
Das Land Baden-Württemberg
strebt weiterhin den Verkauf von wesentlichen Teilen der badischen
Handschriftensammlung an, um den Ausgleich mit dem Haus Baden zu
ermöglichen. Dies erklärten Wissenschaftsminister Peter Frankenberg
und Finanzminister Gerhard Stratthaus vor der Presse in Stuttgart.
Nach Aussage von Finanzmimister Stratthaus liegt das Kernproblem
der geplanten Aktion darin, dass die seit 1919 strittigen Eigentumsverhältnisse
an den Kunstgütern des badischen Fürstenhauses nie endgültig geklärt
wurden und auch die Überführung in die Anfang der 50er Jahre geplante
Zähringerstiftung nie rechtskräftig oder nachvollziehbar vollzogen
wurde. Nach Auffassung der Landesregierung sind Teile der Kunstschätze,
die heute einen Kernbestand sowohl des Badischen Landesmuseums
als auch der Staatlichen Kunsthalle und der Karlsruher Landesbibliothek
bilden, unstreitig Besitz des Hauses Baden und könnten, ohne dass
die Landesregierung Einwände erheben könnte, von heute auf morgen
veräußert werden. Dazu gehören die Türkenbeute, die Münz- und
die Waffensammlung im Badischen Landesmuseum. Insgesamt wird der
Wert dieser Kunstschätze auf 250 - 300 Millionen € geschätzt.Diese
für das Land heikle Lage gehe u.a. darauf zurück, dass auch im
19. Jahrhundert schon keine klare Trennung zwischen Familien-
und Staatsbesitz getroffen wurde.
Die Landesregierung steht auf dem Standpunkt, dass der mit dem
Haus Baden getroffene Vergleich die beste Lösung für das Land
und einer langwierigen gerichtlichen Auseinandersetzung mit ungewissem
Ausgang eindeutig vorzuziehen sei. Demnach verzichte das Haus
Baden gegen Überlassung von Teilen des Bibliotheksbestandes im
geschätzten Wert von 70 Millionen € definitiv auf alle weiteren
Ansprüche gegenüber dem Land, was die übrigen Kunstschätze angeht.
Darin eingeschlossen sei auch der gesamte noch in Schloss Salem
befindliche Kunstbesitz. Diesen Kern für das Land zu sichern habe,
so die Minister einhellig, eindeutigen Vorrang. Nur der unter
Abwägung der Möglichkeiten geschlossene Vergleich gebe die erforderliche
Rechtssicherheit und sichere dem Land auch die ihm eindeutig nicht
gehörenden Kulturgüter.
Der zu erzielende Betrag von 70 Millionen solle in eine gemeinnützige
Stiftung eingebracht werden, die die Vorfinanzierungen des Hauses
Baden, die für die Restaurierung von Schloss und Kirche in Salem
erbracht worden waren, refinanziert und darüber hinaus in der
Lage ist, das Ensemble zu erhalten. In der Stiftungsvereinbarung
sei auch das Wohnrecht für den Markgrafen im Schloss gesichert.
Für die Auswahl der zu verkaufenden Stücke werde eine Kommission
aus Fachleuten eingerichtet, die eine Abwägung zwischen einem
erzielbaren Ertrag, der weiteren wissenschaftlichen Benutzbarkeit
der Badischen Landesbibliothek und der Sicherung der originären
Interessen an badischer Landesgeschichte vorzunehmen habe. Insgesamt
wird der zur Diskussion stehende Bestand auf 3600 Handschriften,
4000 Musikhandschriften und 1300 Inkunabeln beziffert. Frankenberg
nannte allerdings jegliche Wertangabe von Einzelstücken, auch
die ins Auge gefasste Zahl der letztlich zu verkaufenden Stücke,
höchst zweifelhaft und reine Spekulation.
Lieblingsvorstellung der Minister ist es allerdings, dass sich
zahlungskräftige Sponsoren aus Baden-Württemberg finden, die die
wichtigsten Stücke der Sammlung nicht nur im Land, sondern gleich
in der Badischen Landesbibliothek lassen.
Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" veröffentlichte mittlerweile
einen von 19 Professoren und Kunsthistorikern, darunter Wissenschaftler
der US-Eliteuniversitäten Harvard, Yale und Princeton, unterzeichneten
Offenen
Brief an die Landesregierung. Der Verkauf sei ein Akt der
Barbarei, wie er Bibliotheken sonst nur in Kriegszeiten widerfahre,
heißt es darin. "Sollen wir jetzt Karlsruhe in die Liste von Desastern
einordnen?" so die provokative Frage. Es werde "weltweit als deutliches
Signal registriert, dass in Deutschland die Vergangenheit zum
Verkauf steht - und das zu Schleuderpreisen".
Der SWR
zitiert das Gutachten des Heidelberger Professors für Verfassungsgeschichte
Reinhard Mußgnug, der dem Land rät, den Prozess gegen das Haus
Baden zu riskieren. Er bezieht sich auf das im 19. Jahrhundert
geltende "Fürstenrecht", wonach Güter, die aufgrund des Regierungsamtes
Eigentum des Großherzogs waren, nicht veräußert werden durften,
sondern in vollem Umfang dem Staat zugerechnet wurden und auf
den Nachfolger übergingen. Mit dem Ende der Monarchie sei das
Eigentum auf den neuen Souverän, das Volk von Baden, übergegangen,
argumentierte Mußgnug.
Hat sich dadurch die Lage "entschärft", wie die Landesregierung
hofft?
Auf der einen
Seite stehen die Ansprüche des Hauses Baden - ob berechtigt oder
unberechtigt, könnte nur ein Gericht in einem langwierigen Prozess
entscheiden.
Auf der anderen Seite stehen die historischen Versäumnisse im
Land Baden, wo - wohl aus einer tiefen Verbundenheit mit dem Haus
Baden heraus - nach 1918 keine radikale Klärung der Verhältnisse
stattfand, wo auch die Zusage der Zähringerstiftung in den 1950er
Jahren nicht nachhaltig hinterfragt worden war.
Da ist die Angst der Landesregierung, mit einem Prozess schlafende
Hunde zu wecken und evtl. essentielle Teile des Kulturguts zu
verlieren.
Da ist aber weiterhin ein sehr bedenkliches Element in der Argumentation
der Landesregierung. "Badische" Stücke sollen gerettet werden,
sagt sie. Badisch heißt hier, für die badische Landesgeschichte
wichtig. Nicht alles, was in den Klosterbibliotheken lag, sei
auch dort entstanden, und nicht jedes Kloster sei "badisch". Da
wird der Minister noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten haben.
Was übrig bleibt ist die tiefe Sorge um den Ausverkauf von Kulturgut.
Das sollte sich ein wohlhabendes Land wie Baden-Württemberg nicht
leisten wollen.
Die Lage hat
sich keineswegs entschärft. Wachsamkeit ist von Nöten. Kultur
und kulturelles Erbe sind unteilbar!
Unsere Pressenotiz
Unterschriftenliste zum Erhalt des badischen Kulturguts: Tragen
Sie sich ein!
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