Schwerpunktthema

Industrie und Technik

Die Elektrizität als Motor der Industrialisierung

N&N 2/96

Man hätte den Vortrag, den Thomas Herzig, Mitarbeiter im Landesmuseum für Technik und Arbeit in Mannheim, hielt, auch mit „Gute Seiten, schlechte Seiten" überschreiben können, denn die Einführung des elektrischen Stroms als Energieträger brachte nicht nur Fortschritte, sondern auch Nachteile. Diese Nachteile lagen vor allem darin, daß der Lebensrythmus des Menschen, vor allem in der Arbeitswelt, sich drastisch veränderte: die Nacht konnte auf einfache und billige Weise zum Tag gemacht werden, besonders in der Fabrikarbeit, wo die Nachtschicht eingeführt wurde.

Aber der Reihe nach:

Thomas Herzig zeichnete ein interessantes Bild der Epoche, in der der elektrische Strom noch etwas Neues und Bahnbrechendes war. Elektrizität schien Welten öffnen zu können und wurde mit einer tanzend-schwebenden Jungfrau verglichen (so ein Bild im Vortrag), die sich über ihre bodenständigen Kolleginnen der Rüböl-, der Petroleum und der Gaslampe sowie des Kerzenlichts erhob.

Das elektrische Zeitalter in der Region begann mit Hugo Stotz und seiner „Elektricitäts-Gesellschaft m.b.H." in den Mannheimer Quadraten, wo der Firmengründer Strom mit einem Gasmotor erzeugte. Lange Zeit war die Elektrizität auf die Beleuchtung beschränkt, angewandt vor allem von Restaurants und Kaufhäusern, um ihre Modernität zu demonstrieren.


Landesmuseum für Technik und Arbeit
aus der Ausstellung im Badischen Landesmuseum Karlsruhe

Einen Durchbruch brachte die Internationale elektrotechnische Ausstellung in Frankfurt 1891, zu der mittels der neuen Drehstromtechnik ein Wasserkaftwerk in Lauffen am Neckar über eine Überlandleitung den Strom lieferte. Das Trio aus Erzeugung, Übertragung und Anwendung des Stroms war komplett, der elektrische Strom hatte die Grenze überwunden, die seine Vorgänger entscheidend behinderte: er mußte nicht mehr da verbraucht werden, wo er produziert wurde.

In Heidelberg begann das elektrische Zeitalter 1899 mit dem Bau des Kraftwerks in der Alten Eppelheimer Straße - technisch konservativ angelegt, weil noch auf Gleichstrom beschränkt, während die Entwicklung inzwischen schon zum Drehstrom hin ging -, etwa gleichzeitig wie in Mannheim, wo das Kraftwerk im Industriehafen von Brown, Boveri & Cie gebaut wurde. Auch Wiesloch zog um dieselbe Zeit nach, hatte allerdings den Nachteil zu verkraften, daß die Bau- und Betriebsfirma, Lamers in Frankfurt, eine Spannung von 160 Volt anlegte, um sich den gesamten Bereich der Lieferungen monopolistisch zu sichern. Allen drei Bauten gemeinsam war die Ausstattung als „Kathedrale der Technik", gebaut in romanischen Formen, ausgestattet mit edlem Marmor, wie ein Kirchenschiff orientiert auf den Altar der Schalttafel.

Für die Pionierzeit der Elektrizität galt keineswegs das Prinzip, daß das Angebot der Nachfrage folge. Walther Rathenau, Sohn des AEG-Gründers Emil Rathenau und späterer deutscher Außenminister, formulierte 1907, daß die Elektrizitätswirtschaft nicht auf den Bedarf reagieren dürfe, sondern Bedarf wecken müsse.

Weitere Marksteine in der Elektrifizierung waren die Gründung der Pfalzwerke 1912 mit einem durch Dampfturbinen getriebenen Kraftwerk in Homburg und der Einrichtung eines ersten Verbundnetzes, das den zeitweiligen Ausfall eines Werks verkraften konnte, sowie der Erste Weltkrieg. Hier war Deutschland vom Ölimport abgeschnitten und mußte die daraus gewonnene Energie durch die staatlich geförderte Elektrifizierung ersetzen.

Immer noch aber war der Strom zu teuer, um einem einfachen Arbeiterhaushalt zu erlauben, die Petroleumbelechtung durch elektrisches Licht zu ersetzen. Der Fortschritt setzte ein, indem Arbeitsplätze in Fabriken und Betrieben individuell beleuchtet werden konnten und indem vor allem die oft lebensgefährlichen Transmissionsriemen, die die Antriebsenergie für die Maschinen mechanisch übertrugen, durch kleine stationäre Elektromotoren abgelöst wurden.

Die 20er Jahre brachten einerseits die Errichtung des Großkraftwerkes Mannheim-Neckarau, das (noch heute) mittels Dampfturbinen Kohle in elektrische Energie umwandelt, andererseits den Bau des Murg-Schwarzenbach-Kraftwerks als Pumpspeicherwerk, das schnell erforderliche Spitzenlasten ausgleichen konnte.

Thomas Herzig zeichnete insgesamt ein interessantes Bild von der zweiten Pionierzeit der Industrialisierung zwischen 1890 und 1930, brachte sowohl informative historische Aufnahmen als auch modern aufgearbeitete Statistiken und verwies zum Schluß auf die Risiken der Kraftwerks-Anlagen, was den CO2-Ausstoß bei der Verbrennung fossiler Energieträger angeht.

mehr dazu:

Landesmuseum für Technik und Arbeit, Mannheim


Weitere Informationen:

Thomas Herzig: „Weiße Kohle". Zu den Anfängen des „elektrischen Zeitalters" in Südwestdeutschland (Historisches Stichwort. Eine Reihe des Landesmuseums für Technik und Arbeit in Mannheim, Museumspädagogischer Dienst) Mannheim, 1994 [Unterrichtsbegleitende Materialien, Einführung, Quellentexte, Bilder; mit Literaturverzeichnis]

StromBASISWISSEN. Informationen zur energiewirtschaftlichen und energiepolitischen Diskussion Nr. 104. Frankfurt: IZE (Informationszentrale der Elektrizitätswirtschaft e.V., Postfach 70 05 61, 60555 Frankfurt/Main) - kostenlos

Energie - Der Begriff, Die Ressourcen, Der Bedarf. Unterrichtsmaterialien zum Thema Energie, Sekundarstufe I. Hg. v. Arbeitskreis Schulinformation Energie. DM 4,80

Wärmekraftwerke. Unterrichtsmaterialien zum Thema Energie, Sekundarstufe I. Hg. v. Arbeitskreis Schulinformation Energie. DM 4,80

Seidel, Jürgen: Unterrichtshilfen für die Erkundung eines Kohlekraftwerks. Sachinformationen und methodische Hinweise. 6. Auflage 1995. Hg. v. Arbeitskreis Schulinformation Energie. DM 2.- (?)

Die Adresse: Arbeitskreis Schulinformation Energie. Am Hauptbahnhof 12. 60329 Frankfurt/ Main


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