Rezensionen

 

Uwe Schellinger (Hrsg.): Gedächtnis aus Stein. Die Synagoge in Kippenheim 1852-2002. Heidel-berg/Ubstadt-Weier/Basel: Verlag Regionalkultur 2002, 320 S. mit 119 Abb., ISBN 3-89735-195-1, € 18,90

Es gibt mehrere Gründe, diesen Sammel band, entstanden im Auf- trage des Fördervereins der ehemaligen Synagoge mit Beiträgen von U. Baumann, R. Franken stein, R. Kreplin, Th. Mietzner, M. Müller, K. Pflug, U. Schellinger und J. Stude, auch wirklich zu erwerben: Erstens als eine in bewährter Verlagstradition herausragende Edition mit festem Einband inklusive Umfang und Preisgestaltung (wenn auch letztere mittels Förderung seitens der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg) und zweitens zur Unterstützung des Vereins. Drittens jedoch -und das macht fraglos den eigentlichen, den inhaltlichen Wert des Buches aus - ist es ein Zeugnis eines zu unseren Lebzeiten wohl kaum versiegenden Themas, nämlich des Schicksals deutscher Juden und ihrer religiösen Traditionspflege, konkret der einhundertfünfzigjährigen Geschichte der Ortenauregion bis in die jüngere Vergangenheit.

Eine Dokumentation indes nicht am Beispiel einer anonymen Minderheit der Bevölkerung, sondern lebendig durchsetzt mit wirklichen Personen nebst deren Foto-Portraits. Kurz, es begegnen einem hier Menschen und nicht nur Namen: als Opfer, als Täter und als Unbeteiligte. Als "Unbeteiligte" -? Und "lebendig" durchsetzt -? - Wer sich etwas intensiver zum Beispiel mit den Umständen der Oktober-Deportierung 1940 von sechseinhalbtausend badischen und saarpfälzischen Juden ins südwestfranzösische Lager Gurs auseinandergesetzt hat (s. den Beitrag des Rezensenten in "Badische Heimat" Nr. 1/2001, Seiten 123-134), dem stockt unwillkürlich der Schreibstift bei dieser Wortwahl im Angesicht von Bildern, da Kinder der angeordneten "Abschiebung" dieser Menschen zuschauen (S. 95) oder einem die Gedenkliste von dreißig ermordeten Jüdinnen und Juden aus dem vergleichsweise kleinen südbadischen Kippenheim präsentiert wird (S. 274/5).

Die Geschichte der 1852, zu Zeiten des Großherzogs Friedrich I. erbauten (dritten) Synagoge ist also "ohne die Geschichte jener Menschen, die sie mit Leben erfüllten", oder die sie nach dem Kriege zeitweise als Warenlager verfremdeten, überhaupt nicht denkbar. Ein Gebetsplatz und Versammlungsraum mit einer "im Rundbogenstil gehaltenen Doppelturmfassade ... aus weißem und rotem Sandstein. .. mit Dreiecksgiebel und zinnenbekrönten Turmstümpfen. .. nach Kasseler Vorbild" (ein Autor F. J. Ziewes an anderer Stelle), der die örtliche Poststraße prägend mitgestaltet hat. Sinnvollerweise beginnt daher der Inhalt mit der Baugeschichte der Kippenheimer Synagoge mit so reichhaltigem Dokumentenmaterial, dass man auch die früheren Arbeiten des Autors Jürgen Stude, zugleich Erster Vorsitzender des Fördervereins der heutigen Gedenkstätte, aber auch die der anderen Beiträger, einmal beachten sollte.

Fortgesetzt wird der Inhalt mit der 90jährigen Entwicklung der jüdischen Gemeinde nebst Gottes haus bis 1940 und ihres religiösen Lebens sowie mit dem wichtigen Kapitel zur Bedeutung von Zeitzeugen, in welchem der Herausgeber selbst ein Stück weit "oral history" wiedergibt. Einer der Ansprechpartner und Fotografierten, Jahrgang 1919 und heute in Israel lebend, Eltern in Auschwitz ermordet, vermittelt durch seinen traurigen Blick einen Eindruck, der sich dem Rezensenten bei anderen Opfern schon vorher gelegentlich bot: ein erschütterter Mensch, der nicht mal mehr zu weinen imstande ist. - Sodann folgen Beschreibungen zur Ausplünderung und Profani- sierung des Hauses zwischen 1938 und 1956 sowie zur Nutzung als Verkaufslager bis 1972, Erwerb durch die Gemeinde und schließlich zur Etablierung der Synagoge als Gedenkort von 1983-1996 mit den ein hergehenden Restaurierungsmaßnahmen. Die Erörte rung der Gründungsphase und weiteren Arbeit des Fördervereins sowie eine Betrachtung des Leiters für "Gedenkstättenarbeit" in der o. g. Landeszentrale bilden den Abschluss dieser lehrreichen Sammel edition.

Hans-Detlef Mebes

3/2004
   

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