Rezensionen

 

Geschichte der Juden in Heidelberg. Mit Beitr. von Andreras Czer u.a. Buchreihe der Stadt Heidelberg 6. Heidelberg: Guderjahn, 1996. ISBN 3-924973-48-2.

1988, zum 50. Jahrestag des großen Judenpogroms vom November 1938, entstand der Plan, eine "Geschichte der Heidelberger und ihrer jüdischen Mitbürger" zu erarbeiten. Acht Jahre später war das Werk vollendet, die "Geschichte der Juden in Heidelberg" liegt als Gemeinschaftswerk von neun Autoren und Autorinnen unter der Federführung des Stadtarchivars Peter Blum, vom Guderjahn-Verlag als 6. Band der Buchreihe der Stadt Heidelberg in Druck gebracht, vor.

Die Untersuchungen eröffnet Franz-Josef Ziwes mit dem Aufsatz "Die Juden im mittelalterlichen Heidelberg". Er stellt seine Abhandlung unter das Wort, daß die "mittelalterliche Geschichte der Juden ... in erster Linie als eine Geschichte der Ausgrenzung und Verfemung, der Verfolgung, des Leidens und des Martyriums zu deuten, letztendlich hieße, die aktive und für die Entwicklung der abendländischen Kultur so wichtige und unverzichtbare Rolle der Juden zu leugnen". Infolgedessen zeichnet er den wichtigen Anteil nach, den die Juden an der Entwicklung der Stadt von ihrer ersten Erwähnung 1275 bis zu ihrer Vertreibung aus Heidelberg 1390 hatten. In diese Zeit aber fallen auch die beiden Judenprogrome von 1343 und 1348/49, ersterer von Pfalzgraf Rudolf II. in seinem Neustädter Herrschaftsbereich, letzterer von der christlichen Bevölkerung, die einen Schuldigen für die Pestepedemie suchte, angezettelt. 1349 nahm Pfalzgraf Ruprecht die aus Worms oder Speyer vertriebenen Juden gar in Heidelberg auf, weniger aus humanitären, als vielmehr aus Zweckmäßigkeitsgründen, da er so an die Schuldtitel der Juden kommen konnte. Ein übliches Vorurteil aber läßt sich aus dem Aufsatz nicht belegen: Die Juden waren nicht wegen irgendwelcher Wucherzinsen bei den Christen verhaßt, sondern höchstens wegen der Gesamtsumme der ausgeliehenen Gelder willkommenes Objekt der Beutegier.

Ziwes geht anschließend ausführlich auf die Siedlungstopographie des mittelalterlichen Heidelberg ein, sofern es die Juden in der Stadt betrifft.

Das Ende dieser ersten Heidelberger Judengemeinde ist die Ausweisung - oder Vertreibung - aus der Pfalzgrafschaft durch Pfalzgraf Ruprecht II., für die Ziwes eine eindeutige Parteinahme für die Universität, deren Platzbedarf auf Grund der Spannungen mit der Bürgerschaft nicht aus Liegenschaften der christlichen Stadtbürger, sondern nur aus denen der Juden zu befriedigen war.

Nach einem kurzen Resümee über die Juden zwischen 1500 und 1648 von Franz Hundsnurscher stellt Andreas Czer unter dem Titel "Zwischen Stadtverfassung und absolutistischem Herrschaftsanspruch" die Geschichte der Judengemeinde zwischen dem Ende des 30-jährigen Krieges und dem Übergang der Kurpfalz an Baden dar. Erst mit der Rückkehr des Kurfürsten Karl Ludwig in die Pfalz 1650 begann eine Haltung, die nicht mehr von der festen Ablehnungshaltung seiner Vorgänger geprägt war. Dennoch war die Heidelberger Gemeinde - zahlenmäßig und von der Stellung innerhalb der Kurpfalz her - wesentlich von der Mannheimer Gemeinde unterschieden, insofern, als die Mannheimer Judenkonzession von 1660 ungleich freiere Bedingungen schuf als sie in Heidelberg vorhanden waren. So wurden auch 1687 in Mannheim bereits 150 jüdische Familien gezählt, in Heidelberg dagegen nur sechs. Obwohl aber auch die Mannheimer Juden stark unter der Abwehrhaltung ihrer christlichen Mitbürger standen, waren die Mannheimer Privilegien auch für die Heidelberger Juden noch um 1800 der erstrebenswerte Status schlechthin.

Czer verfolgt im folgenden die Auseinandersetzungen in Heidelberg um den Status und die Entfaltungsmöglichkeiten der hiesigen Juden, berührt den Streit um die Synagoge 1714, stellt die Ausschreitungen vom Februar 1718 dar und beschreibt schließlich ausführlich die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse in der Mitte des 18. Jahrhunderts.

Das 19. Jahrhundert ist das Jahrhundert der Emanzipation der Juden, deren Prozeß bis zur badischen Reformgesetzgebung 1862 Martin Krauss, von da bis zum Ende des Ersten Weltkriegs Susanne Döring beschreibt. Beide stellen ausführlich das Spannungsverhältnis zwischen Emanzipation und weiterhin unterschwellig vorhandenem (und manchmal ausbrechenden) Antisemitismus dar, beide beschreiben auf fundierter Quellenbasis das öffentliche, das private und das wirtschaftliche Leben in der Heidelberger Judenschaft. Susanne Döring stellt bereits in der Einleitung zu ihrem Aufsatz fest, vieles deute darauf hin, "daß die Juden des Kaiserreichs deutsche Staatsbürger wie alle anderen sein wollten und es auch waren. Bestimmte wirtschaftliche oder politische Verhaltensweisen einer Minderheit ... grenzen diese Minderheit nach außen ab, müssen aber darum nicht identitätsstiftend wirken. Zum Konflikt kam es erst, wenn solche Verhaltensweisen von einer feindlich gesinnten Umwelt als konstituierend für diese Minderheit betrachtet wurden." Das war das Problem sowohl der deutschen Juden allgemein, als auch der Heidelberger Juden im besonderen, daß sie nur zu Juden im Sinn einer Gattungsbezeichnung wurden, weil ihr Umfeld sie so sehen wollte.

Schließlich stellen Udo Wennemuth die Geschichte der Juden in der Weimarer Republik und Frank Moraw die in der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur dar - sehr gründlich, sehr engagiert und sehr offen. Gerade im letzteren Kapitel zeigt sich, daß eine Geschichte "der" Juden nur aus einer Fülle von Einzelschicksalen bestehen kann, die das eigentlich menschlich angreifende Element der Geschichte verkörpern.

Konsequent wird der Band auch beschlossen (nach einem kurzen Abriß der Heidelberger jüdischen Gemeinde nach dem Zweiten Weltkrieg von Norbert Giovannini) durch ein Kapitel über private Erinnerungen an jüdisches Leben vor der Vernichtung: "Heimweh ist nur Weh, nicht Heim" von Monika Preuss.

Der Band, der nach den umfangreichen Detailuntersuchungen der vergangenen Jahre einen wichtigen Markstein in der Stadtgeschichtsschreibung darstellt, ist mit 49 Abbildungen gut ausgestattet. Was man sich wünschte, wenn man einen Wunsch freihätte, wäre ein separater Dokumentenband, der die wichtigsten Quellentexte zur Geschichte der Heidelberger Juden vereinigt.

 

   

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