Kittelschurz und Petticoat. Die Südpfalz in den fünfziger
Jahren. Herausgegeben vom Stadtarchiv Landau,. Bearbeitet
von Christine Kohl-Langer. Schriftenreihe zur Geschichte
der Stadt Landau in der Pfalz, Band 9. 128 Seiten, 168 Fotos,
Festeinband mit Fadenheftung, Format 29 cm x 20 cm. ISBN-13
978-3-934845-28-2. EUR 24,00
Der Kittelschurz, oder hochdeutsch die Kittelschürze, ist
seit Generationen das bestimmende Kennzeichen der arbeitenden
Frauen auf dem Land. Er wurde gleichsam zu jeder Jahres-
und zu fast jeer Tageszeit getragen - neuer bei der Hausarbeit
oder beim Gang ins Dorf, älter bei der Arbeit auf dem Feld
oder im Garten. Im vorliegenden Band ist er das Symbol für
die Tradition, die sich in den 50er Jahren an den Friedensjahren
vor dem Krieg orientierte. Erst an denen vor dem 2., dann
auch gleich an denen vor dem 1. Weltkrieg.
Ihm gegenüber steht der Petticoat, das Modeteil der modernen,
Neuem und vor allem Amerikanischem aufgeschlossenen Jugend,
die aus der Beengtheit der Kriegs- und Nachkriegsjahre aufbrach
in eine modernere Zeit. An wenigen Stellen prallten Tradition
und Moderne unvermittelter aufeinander als in den ländlichen
Gebieten, in der Südpfalz sicher nicht mehr als anderswo.
Warum nun ausgerechnet Südpfalz? Bevölkerungsentwicklung,
Aufbruchstimmung, industrieller Wandel waren zwischen Germersheim
und Bad Bergzabern kaum ausgeprägter als anderswo. Hier
lebte und arbeitete aber der Bildreporter Kurt Freitag,
dessen fotografischer Nachlass über 30000 Negative umfasst
und heute im Stadtarchiv Landau verwahrt wird. Dieser Nachlass
stellt in seiner Geschlossenheit ein ganz außerordentliches
Zeugnis für Lebensgefühl und Stimmung in den ersten drei
Nachkriegsjahrzehnten dar.
Kurt Freitag, Jahrgang 1922, gebürtiger Schlesier war 1947
in die Südpfalz gekommen und veröffentlichte im Februar
1950 bereits als Autodidakt sein erstes Zeitungsfoto. Hintergrund
seiner schnellen "Karriere" war der Aufbau einer eigenen
Südpfalz-Redaktion der Ludwigshafener tageszeitung "Die
Rheinpfalz" unter dem verantwortlichen Redakteur Hans Ostermeier
und die damit verbundene Professionalisierung der Bildberichterstattung.
32 Jahre lang, bis zu seinem Tod 1982, fotografierte Freitag
alles, was ihm an journalistischen, aber auch provaten Anlässen
vor die Linse kam.
Aus der hinterlassenen beachtlichen Sammlung hat Christine
Kohl-Langer sorgfältig eine Auswahl zusammengestellt aud
auf 114 Bildseiten ein Porträt der Stimmung in den 50er
Jahren gezeichnet. Was beim Durchblättern auffällt, ist
der fast völlige Verzicht auf "offizielle" Aufnahmen. Keine
Politik, keine Honoratioren, die auch heute noch das Tagesgeschäft
des Bildjournalisten sind. Selbst das Kapitel "Politik in
der Provinz" zeigt mehr Bilder, die die Stimmung der Jahre
nachempfinden lassen. Weitere Kapitel thematisieren den
Aufbruch in die neue Lebensqualität ("Neue Häuser, breite
Straßen und schnelle Autos"), Alltagswelten ("Arbeitswelten",
"Kindheit und Jugend", "Wochenende") und schließlich - notwendigerweise
- den "Sport am Sonntag".
Alles in allem ein Band, der eindrucksvoll das Spannungsverhältnis
zwischen Tradition und Wandel nachzeichnet, auch wenn die
Kittelschürze weit häufiger abgebildet wird als der Petticoat.
In dieser Aussage kann er weit über die Südpfalz hinaus
wirksam sein. Ob nun "Kreiselschlagen und Vespa" oder "Vesper
und Cocktail" - das Alte wird mehr und mehr Erinnerung,
das Neue aber hat niemals mehr dieselbe Bindungskraft wie
das Traditionelle. Wer trägt heute schon noch Petticoat?
Christoph Bühler
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