Rezensionen

 

Der Enzkreis. Jahrbuch 10. Hrsg. vom Landratsamt Enzkreis. Pforzheim und Ubstadt-Weiher 2003, 352 Seiten, mit 170 Abb.; ISBN 3-9806682-5-8, € 12,80

Mit dem vorliegenden Band erschien 2003 das 10. Jahrbuch "Der Enzkreis", das in zweijährigem Turnus herausgegeben wird und sich wiederum durch eine freundliche Aufmachung mit durchweg farbigen Abbildungen empfiehlt.

Hervorzuheben ist, dass auch in diesem Band die Themen weit über die klassischen Felder der Landesgeschichte hinausgehen. Der Bogen wird gespannt von historischen Themen bis hin zur Landschaftsgeschichte und Naturschutz, setzt aber auch einen besonderen Schwerpunkt auf das Thema soziale Fürsorge.

Dieser Band erfüllt seinen Anspruch als Chronist der Gegenwart weit über die turnusmäßig erscheinende Chronik der vergangenen beiden Jahre (2001-2003) hinaus. Hierzu zählt der Rückblick auf 30 Jahre Enzkreis durch den ehemaligen Landrat Werner Burckhart, eine Darstellung des Umbaus eines Weinbrennerhauses zum Archivgebäude der Stadt Neuenbürg (Lolita und Bernd Säubert), er enthält aber auch eine Rückschau auf die Partnerschaft zwischen dem Enzkreis und der Provinz Reggio Emilia in Norditalien oder einen Rückblick auf die Kulturtage des Landkreises 2002.

Die Redaktion hat das "Europäische Jahr der Menschen mit Behinderungen" 2003 dazu genutzt, dieses Thema zu einem besonderen Schwerpunkt ihres Jahrbuchs zu machen. Hierfür konnten Autoren gewonnen werden, die mit der Behindertenarbeit beruflich zu tun haben. Nach einem allgemeinen Artikel zur Integration von Menschen mit besonderen Bedürfnissen und Begabungen von Hans-Peter Böhringerfolgt ein Überblick über das Sonderschulwesen in Pforzheim und dem Enzkreis (Petra Gassauer). Beginnend mit den 1960er Jahren, legt der Artikel den Schwerpunkt auf die aktuelle Situation der Gustav- Heinemann-Schule in Pforzheim und der Schule am Winterrain in Ispringen. Es folgen dann die Darstellungen zweier Träger der freien Wohlfahrtspflege im Enzkreis, nämlich der "Lebenshilfe" und der Caritas, die ihre Arbeit in den letzten Jahrzehnten vorstellen. Eine bemerkenswerte Ergänzung bildet der Beitrag von Olaf Schulze über Joseph Dannhauser (1731-1803) aus Neubärental, Gemeinde Wurmberg, der ohne Vorderarme und Füße zur Welt kam, aber trotzdem schreiben und allerlei akrobatische Kunststücke vollbringen konnte. Er lebte als "der Wurmberger Bettelbube" in einer selbst gebauten Hütte mitten im Wald zwischen Wurmberg und Pforzheim. Der Autor weitet jedoch seinen Blick auf das Schicksal einiger berühmter Behinderter der Frühen Neuzeit, wie z. B. Sabina Amelthau aus Schlesien oder dem armlosen Ratsschreiber Thomas Schweicker aus Schwäbisch Hall. Sein Resümee bleibt allerdings, dass das Thema Behinderung von der Geschichtsschreibung noch weitgehend vernachlässigt wurde.

Einen besonderen Aspekt der Medizin- bzw. Sozialgeschichte behandelt Konstantin Huber in seinem sehr materialreichen Aufsatz über die "Pest und andere Seuchen im Pforzheimer Umland", und zwar in der Zeit von 1560 bis 1645. Quellengrundlage sind die Totenregister von 14 Pfarreien, die 25 Dörfer (!) umfassen, teilweise aber auch über das Kreisgebiet hinausgehen (Weissach und Flacht). Er konnte feststellen, dass in den Jahren 1560 bis 1600 etwa im 10Jahres- Abstand immer wieder Wellen von Epidemien die Dörfer erfassten. Häufig waren jedoch nur einzelne Dörfer von Seuchen betroffen, während benachbarte Siedlungen unberührt blieben. Einen gewissen Rückgang gab es in den Jahrzehnten vor dem dreißigjährigen Krieg, um dann in den Jahren 1634-36 zu einer ungeheuren Katastrophe zu kommen. Die durch Plünderungen und Hunger geschwächte Bevölkerung wurde zu einem Viertel bis zur Hälfte Opfer der Pest. Huber sieht damit - ähnlich wie von Stefan Benning für das Gebiet Metter und Zaber festgestellt - auch das Umland von Pforzheim als einen besonderen Schwerpunkt innerhalb des Herzogtums Württemberg.

Martin Geier nimmt die Sage über eine Gräfin, die auf der Schlosssteige von Neuenbürg spukt, zum Ausgangspunkt für verschiedene Studien über den Neuenbürger Obervogt Christoph v. Haugwitz (und dessen Herkunft südlich von Bautzen). Der Sage nach soll seine Ehefrau Marie umgehen, da ihr Ehemann das Versprechen gebrochen hatte, sie in ihrer Heimat zu bestatten - tatsächlich wurde sie in Neuenbürg und nicht in ihrer Heimat Degenfeld zu Grabe getragen. Von besonderem aktuellen Interesse ist, dass im Jahr 2000 im Zuge der Inventarisierung von Kleindenkmalen tatsächlich ein Gedenkstein aufgefunden wurde, der identisch mit dem in der Sage erwähnten Stein sein könnte.

Eine bemerkenswerte Verbindung von Natur- und Kulturgeschichte liefern einige weitere Beiträge. Ilse und Johannes Häge stellen die Geschichte des "Maulbronner Closterweinbergs" dar. Das Thema erhielt vor allem dadurch Aktualität, dass seit Ende der 1990er Jahre wieder Weinbau betrieben wurde, nachdem die Weinberge in den 1920er Jahren aufgegeben worden waren. Ebenfalls um das Thema Kulturlandschaft und ihre Geschichte geht es in einem Aufsatz von Fritz- Gerhard Link, der die historischen Ortsränder im Enzkreis untersucht. Aus den früher meist von Obstbaumgürteln geprägten Ortsrändern wurden "Einfamilienhaus- Steppen" mit Hausgärten. Thematisch direkt daran anschließend weist Gerhard Vögele auf die ökologische Bedeutung der Streuobstwiesen als gefährdete Refugien der Tier- und Pflanzenwelt hin. Obwohl aus dem Enzkreis noch keine großflächigen Untersuchungen vorliegen, lassen sich auch hier die Streuobstwiesen als vielfältige Rückzugsgebiete von bedrohten Tieren und Pflanzen nachweisen. Von Interesse ist auch der Beitrag von Heinz Haug über die Direktvermarktung landwirtschaftlicher Erzeugnisse im Enzkreis, ein Versuch der Landwirte, sich in Zeiten des fortdauernden Preisverfalls für Agrargüter zu behaupten.

Abgerundet wird der Band durch weitere Beiträge über einzelne Kreisorte wie die Reformgemeinde Engelsbrand (Carlo Burkhardt) oder Wimsheim aus Anlass der Verzeichnung des Gemeinderarchivs (Heike Sartorius), aber auch eine Hausgeschichte über das heutige Archivgebäude von Neuenbürg (Karl Mayer) sowie zwei kleinere Biografien über Jakobina Friederika Lutz (Fritz Barth), eine Wirtin, die 1796 ihre Gemeinde Calmbach vor einer Zerstörung durch französische Truppen rettete, indem sie die geforderte Brandschatzungssumme von 20 000 fl. in ihrer Schürze brachte, und über Hermann Heinrich Frey (Günther Mahal), einen in Dürrmenz 1549 geborenen Pfarrer, der als Verfasser so genannter "Teufelbücher" in Erscheinung trat, in der streng protestantisch-orthodox die "Welt voll Teufel" differenziert und nach bestimmten Lastern dargestellt wurde. Kurzum, der Band liefert wieder ein breites und ideenreiches Spektrum von Themen aus Geschichte und Vergangenheit des Enzkreises.

Nikolaus Back

4/2005
   

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