Klaus
Eisele, Rolf Ulrich Kunze (Hrsg): Mitverschwörer – Mitgestalter.
Der 20. Juli im deutschen Südwesten. Porträts des Widerstands,
Band 7, 270 S.
Rolf Ulrich Kunze (Hrsg): Badische Theologen im Widerstand
(1933–1945). Porträts des Widerstands, Band 8, 198 S.
Angela Borgstedt (Hrsg): Badische Juristen im Widerstand(1933–1945).
Porträts des Widerstands, Band 9, 180 S.
Herausgegeben von der Forschungsstelle Widerstand gegen
den Nationalsozialismus im deutschen Südwesten, UVK Verlagsgesellschaft
mbH, Konstanz, 2004.
Der
erste Band enthält ein Kapitel „Literatur zum 20. Juli 1944:
1984–1993“ von A. Borgstedt und J. Meyer mit 38 Seiten und
ein weiteres von K. Schrecke 1994–2003 mit 55 Seiten. Ist
mit diesen Hinweisen auf eine Flut von Darstellungen, Aufsätzen,
Quellensammlungen zu einzelnen Personen, einzelnen Kreisen,
einzelnen Städten nicht fast alles gesagt? Wozu noch drei
neue Publikationen der „Forschungsstelle Widerstand“ am
Institut für Geschichte der Universität Karlsruhe?
Das
Eingangskapitel „Entwicklung in der Widerstandsforschung
seit 1994“ von R. U. Kunze gibt die Antwort. Während die
Fakten relativ früh gesammelt und erforscht worden sind,
variiert die Deutung, die Differenzierung der Hintergründe,
die Interpretation der Entwicklung einzelner Personen von
Jahrzehnt zu Jahrzehnt. Die Geschichtsschreibung vom Widerstand
ist ein Teil der Geschichte deutscher Bewußtseinsbildung
des letzten halben Jahrhunderts und ist damit weiterzuschreiben,
auch wenn nur noch wenige weiße Flecken der Quellenanalyse
oder einzelner Biographien der Bearbeitung harren. Es geht
schließlich um die schwierige Beschreibung einer prozessualen
Diktatur in ihrer Entwicklung von der Machtübernahme bis
zum Kriegsende und das Verhalten Oppositioneller in diesen
Phasen. So unterschiedlich verhielten sich manche zu einzelnen
Vorgängen, wie z. B. dem Bejahen der Außenpolitik bis 1938,
aber der scharfen Ablehnung der Rassenpolitik oder des Kampfes
gegen die Kirchen. Und so findet man unter den Verschwörern
wie den Mitwissern, unter Theologen wie unter Juristen Schicksale,
deren Entwicklung, deren Probleme, deren Stellungnahmen
den Leser immer wieder fragen lassen, wie er sich denn damals
verhalten hätte. Stoff und Stil, der die Bücher prägt, entläßt
einen nicht aus der Betroffenheit. Es sind sachliche Berichte,
die aber gerade deshalb etwas Herausforderndes haben.
Warum
aber die landschaftliche Aufgliederung, hier fokussiert
auf den deutschen Südwesten? Wenn man sich dabei auf die
lokalen Kreise beschränkt, so überwiegt die konservative
Grundstimmung, wenn es auch Kontakte zum sozialdemokratischen
Widerstand gab. Im Unterschied zu den militärischen Verschwörern,
denen – kriegsbedingt – der Kontakt zur Bevölkerung fehlte,
wurde in den zivilen Gruppen um die Zukunft nach einem Regierungssturz
gerungen. So wurden z. B. im Freiburger Kreis um die Nationalökonomen
Walter Eucken, Franz Böhm u. a. wirtschaftspolitische Programme
erörtert, in Karlsruhe um Reinhold Frank über den föderalistischen
und demokratischen Neuaufbau diskutiert unter Ablehnung
einer Militärdiktatur. Auch dem Widerstandskreis in Stuttgart,
finanziell getragen von Robert Bosch, ging es vor allem
um ein schnelles Gewinnen der Bevölkerung für eine Neuordnung
nach erfolgreichem Attentat. Die präzisen Beiträge M. Kißener,
J. Scholtyseck) profilieren die Verbindungen und Aktivitäten,
die eine breitere Basis als jene der bekannten militärischen
Aktionen erkennen lassen.
K. Eisele
führt in einem eigenen Beitrag all jene Personen auf, die
während des II. Weltkriegs vom Südwesten aus mit Carl Goerdeler
und Jakob Kaiser in direktem oder mittelbaren Kontakt standen.
Der
Band 9, ebenfalls von R. U. Kunze herausgegeben, vereinigt
Porträts von katholischen und evangelischen Geistlichen:
Egon Thomas Güß, Karl Dürr, Heinz Kappes, Stephan Blattmann,
Albert Bucher und Oskar Deppich, allesamt unterschiedliche
Charaktere, aber einig in der Ablehnung der nationalsozialistischenWeltanschauung.
Kunze leitet mit einem Überblick zur Geschichte der katholischen
und der evangelischen Kirche in Baden 1933–1945 ein, um
den regionalen Hintergrund verständlich zu machen. In beiden
Kirchen gab es 1933 zunächst Anpassungen, die schon 1934
zu Distanzierungen, ja bald zu Gegenpositionen zum NS-Regime
führten. Im Spiegel der Lebensläufe weniger beachteter Kirchenvertreter
wird anders als bei den bekannten Persönlichkeiten wie Heinrich
Maas oder Conrad Gröber die alltägliche seelsorgerische
Tätigkeit unter einer Diktatur deutlich. Diese Biographien
stellen keinen programmatischen Beitrag dar, wollen aber
die Mentalitätsgeschichte erhellen. Der Beitrag von Peter
Steinbach „Der protestantisch motivierte Widerstand gegen
den Nationalsozialismus – Bonhoeffer, Poelchau, Moltke,
Weißler“ faßt die Kernprobleme christlich motivierten Widerstehens
überkonfessionell zusammen – eine mitreißende Rede, 2003
in der Karlsruher Marktkirche vorgetragen, die die Forschungsergebnisse
für den Leser emotional noch einmal nachvollziehbar macht.
Wie
variantenreich die Positionen von NS-Gegner waren, wird
besonders im Band 9 „Badische Juristen im Widerstand (1933–1945)“
deutlich. Zwar erlebt „die Justiz im Nationalsozialismus“
eine Konjunktur, wie die Herausgeberin A. Borgstedt schreibt,
und seit 2003 liegt Michael Kißeners grundlegende Habilitationsschrift
über badische Richter 1919–1952 vor. Über Juristen im Widerstand
ist aber die Literatur schmaler. Die Unterschiedlichkeit
in der Motivation wird von den Autoren A. Michel, N. Zerrath,
C. Hohmeister und der Herausgeberin deutlich hervorgehoben.
Richter, Staatsanwälte und Notare werden in den verschiedenen
Wirkungsbereichen für oppositionelles Handeln vorgestellt.
Da verkehrte man, obwohl Parteigenosse, im Kreis der Oppositionellen,
ja verbarg erfolgreich Juden vor ihrer Verhaftung, und gab
sich am Anfang doch angepasst. Da wird deutlich, dass formale
Kriterien nicht zur Beurteilung von Schicksalen führen können,
die ja in der oft gescholtenen Entnazifizierung auch differenziert
beurteilt wurden. Viele der hier porträtierten Juristen
gelangten nach 1945 in führende Positionen.
Solche
differenzierte Analysen von Lebensläufen belegen die Notwendigkeit,
in diesem Abschnitt deutscher Geschichte weiter zu forschen,
und die zeitliche Distanz kann eher das Profil schärfen,
wenn wie hier Sachlichkeit den Ductus bestimmt. Die ausführlichen
Anmerkungsapparate mit vielen Quellenhinweisen, die ausgiebigen
Literaturangaben werden als Grundlage für weitere Publikationen
einer Erinnerungskultur dienen, die uns noch lange prägen
wird.
Leonhard
Müller
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