Silke
Seemann: Die politischen Säuberungen des Lehrkörpers der
Freiburger Universität nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs
(1945-1957). Rombach-Verlag 2002. 50,20 Euro. ISBN 3-7930-9314-X.
Auch
Freiburg tat sich schwer mit der "Entnazifizierung" nach
1945, kaum ein Problem war so umstritten; in Freiburg gab
es knapp 6000 zahlende Mitglieder der NSDAP. Die erste Phase
war gekennzeichnet durch "viele Unregelmäßigkeiten", im
Herbst 1945 ordnete die französische Besatzungsmacht ein
einheitliches Verfahren an: die "Selbstreinigung".$Wie die
Universität das Problem der "auto-epu-ration" anpackte und
"Mitläufer" trennte, hat Silke Seemann nun genauer untersucht.
Sie beschreibt die Quellenlage und den Forschungsstand:
"Die Hochschule bemühte sich in der Nachkriegszeit primär
um ein positives Geschichtsbild und verwies dazu immer wieder
auf die oppositionelle Haltung der Professoren des ,Freiburger
Kreises'". Die wissenschaftliche Aufarbeitung konzentrierte
sich auf Martin Heidegger. "Im Schatten des Falles Heidegger"
blieb die Geschichte anderer Professoren, vor allem in der
medizinischen Fakultät, ungeklärt. Silke Seemann greift
hier besonders die Rolle von Eugen Fischer mit seinen rassenhygienischen
Theorien und Thesen auf (er wurde 1927 Direktor des Berliner
Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie) oder den Fall
des Hygiene-Professors Paul Uhlenhuth (die Stadt Freiburg
machte den weltberühmten Forscher 1950 zum Ehrenbürger,
benannte eine Straße nach ihm; erst 40 Jahre später wurde
seine wissenschaftliche Arbeit neu bewertet, er als "Täter
im weißen Kittel" verurteilt; als Namensgeber für eine Straße
wurde er ersetzt durch Siegfried Thannhauser, der 1934,
obwohl ehemaliger Frontkämpfer, als Jude "freiwillig seine
Zurruhesetzung" beantragte und 1935 emigrierte).
Dieses Buch ist wissenschaftlich bestens fundiert, zeichnet
sich aus durch gute Lesbarkeit, greift viele bekannte Quellen
auf, präsentiert neue Materialien. Köstlich sind manche
Details: Der Rektor Wilhelm Süß hatte sich beim Einmarsch
der französischen Streitkräfte in den Schwarzwald geflüchtet,
ins Mathematische Forschungsinstitut nach Oberwolfach. Alarmierend
auch der Hinweis: Max Keller, der von den Franzosen eingesetzte
OB, erklärte, "die Freiburger Universität habe keine Existenzberechtigung
mehr. Für Baden genüge eine vollauf und das könne nur Heidelberg
sein . . .".
Zentrale Figuren, die die Neuentwicklung der Universität
bestimmten, waren der Ökonom Walter Eucken, der Kunsthistoriker
Joseph Sauer, und Franz Büchner, der Pathologe. Sie waren
viel gefragt in der Auseinandersetzung um "schuldig-mitschuldig-unschuldig".
Generalvikar Dr. Föhr machte sich Sorgen um die künftige
Zusammensetzung des akademischen Lehrkörpers, in der Zeitschrift
"Neues Abendland" war im März 1946 zu lesen: "Die Universität
Freiburg im Breisgau ist noch zu 80 Prozent mit nichtbadischen
Professoren besetzt. . . Der Universität dürfte erst dann
die Autonomie eingeräumt werden, wenn ein der Würde des
alemannischen Stammes entsprechendes Verhältnis zwischen
heimischen und nordischen Professoren hergestellt ist".$Silke
Seemanns Fazit: "In den vierziger und fünfziger Jahren blieb
der vielbeschworene geistige Neubeginn nach 1945 (so) nichts
anderes als ein Lippenbekenntnis ... Die politischen Säuberungen
des Lehrkörpers der Freiburger Universität waren in vielerlei
Hinsicht ein Debakel". - Ein notwendiges Buch.
Adolf
Schmid
|