Rezensionen

 

Ute Scherb, Ich stehe in der Sonne und fühle, wie meine Flügel wachsen. Studentinnen und Wissenschaftlerinnen an der Freiburger Universität von 1900 bis zur Gegenwart. Ulrike Helmer-Verlag, Königstein/Ts. 2002. ISBN 3-89741-117-2.

Im Frühjahr 1900 begann an den beiden badischen Universitäten Freiburg und Heidelberg eine echte Revolution: Es waren diese beiden traditionsreichen Hochschulen im "Musterländle", die als erste in Deutschland Frauen zum Studium zuließen. Im abgelaufenen 20. Jahrhundert nahmen ihre Anteile kontinuierlich zu, bis über die Hälfte der Studierenden z. B. in Freiburg. Und darunter sind prominente Namen wie Hanna Arendt, Edith Stein, Veronika Carstens, Monika Wulf-Mathies und Elly Heuß-Knapp, die in einem Brief (1905) diese Chance eines akademischen Studiums für Frauen sehr authentisch und natürlich beschrieb: "Ich stehe in der Sonne und fühle, wie meine Flügel wachsen". Ute Scherb wählte diese Aussage zum Titel ihres Buches, mit dem sie eine eklatante Forschungslücke schloss. Der Inhalt auf über 300 Seiten rechtfertigt das Unternehmen, ist voll überzeugend, schlüssig, beweiskräftig.
Die Schweiz hatte einen Vorsprung, schon 1864 immatrikulierte sich eine Studentin in Zürich, 1890 waren es immerhin zwei Studentinnen in Basel. In Deutschland kämpften vor allem zwei Frauen für eine effektive gymnasiale Grundbildung und den Durchlass zur Universität: Helene Lange und Hedwig J. Kettler. Natürlich ging dieser Einsatz parallel zum Kampf um das Wahlrecht, um die politische Partizi-pation. Und es gab viel zu tun, um weit verbreitete Ansichten wie z. B. die des geistlichen Volksschriftstellers Alban Stolz zu entkräften: "Das weibliche Geschlecht ist nicht nur dem Körper nach, sondern auch geistig schwächer als das männliche Geschlecht im allgemeinen; daher ist es nicht nur eine seltene Ausnahme, sondern gewissermaßen eine Unnatur, wenn ein Weib in Kunst oder Wissenschaft etwas Bedeutendes leistet". Stolz war Moraltheologe und Prorektor der Universität Freiburg. Das Stiftungsangebot einer reichen Witwe aus Bern - 100 000 Mark, als erster Schritt zur Einführung des Frauenstudiums -wurde noch 1883/84 abgelehnt. Aber das Problem drängte auf eine Lösung: Seit Mitte der 90er Jahre waren nämlich in der Residenzstadt Karlsruhe Mädchen auf dem Weg zur gymnasialen Abiturprüfung - und das badische Kultusministerium wollte den Abiturientinnen "mit ausgewiesener Hochschulreife" den Zugang zum Studium nicht verwehren. Also meldete sich die Karlsruherin Johanna Kappes nach ihrem Abitur in Freiburg an, mit vier weiteren Frauen begann Sie im Wintersemester 1899/1900 ihr Medizinstudium als "Hörerin", ohne immatrikuliert zu sein; erst ein Erlass des Ministers der Justiz, des Kultus und Unterrichts vom 28. Februar 1900 deckte diese Entwicklung, allerdings "zunächst nur ver-suchs- und probeweise". Hanna Kappes studierte, promovierte über das Thema "Einwirkung des Erysi-pels auf Tumoren" und erhielt 1904 ihre Approbation als Ärztin. Ebenso ihre Kommilitoninnen Elisabeth Föllinger, Maria Wilhemine Gleiß, Käthe Kehr und Margaretha Breymann: alle promoviert und approbiert und aktive Ärztinnen, die ersten "ordentlich immatrikulierten Studentinnen im deutschen Kaiserreich überhaupt".
Die Entwicklung brachte ein "unkompliziertes Miteinander", bald auch in den anderen Fakultäten, z. B. in der "Nationalökonomie", für die sich die Straßburgerin Elly Knapp, die später Theodor Heuss heiratete, begeisterte. Die Geschichte liest sich spannend, von Kapitel zu Kapitel - zur Weimarer Zeit, zum Universitätsalltag im Nationalsozialismus, zum Spagat zwischen Enttrümmern und Studieren nach 1945, zur Evolution vom "autonomen Frauenseminar" in den 70er Jahren zum Studiengang "Gender Studies" ab 2000, wo die Freiburger Universität "nach 100 Jahren endlich wieder Vorreiterin" ist. Die abschließende These von Ute Scherb: "Der ,Prozess der Emanzipation' wird an der Universität erst dann beendet sein, wenn das Geschlecht keine Rolle mehr spielt - weder als Ablehnungs- noch als Einstellungs- bzw. Akzep-tanzkriterium. Dann wird sich in der Tat jede Quote erübrigen. Der Weg dahin dürfte aber noch äußerst steinig werden". - 300 aufschlussreiche, beachtliche Textseiten zu einem spannenden Thema, dazu 67 Seiten Anmerkungen und Literaturangaben. Ein sehr verdienstvolles, empfehlenswertes Buch, in zahlreichen Details gut belegt, recherchiert in vielen Autobiographien, in Briefen und Tagebüchern und in über 200 Fragebögen.

2/2003
   

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