Rezensionen

 

Waltraud Burtsche, Erntedank 1996-2002. Bibliophile Ausgaben der Altendorf-Kulturstiftung Freudenstadt. Mit Auszügen aus: Wolfgang Altendorf, Frauen in der Gastronomie.

Es ist eine gute Tradition, im Herbst "Erntedank" zu feiern. Vielerorts, vielstimmig, in vielfältiger Weise. Besonders stilvoll, sehr kultiviert, gar kunstsinnig geht es z. B. zu, wenn der "Badische Weinbauverband" in Freiburg, im "Colombi-Hotel", dieses Fest zelebriert, ein "önologisches Symposion", wo sich zunftgerecht, fachkundig geführte Diskussionen und Gala-Diners zu optimaler Harmonie, zu idealem Gleichgewicht entfalten: Lebenskünstler und Kenner unter sich, Feinschmecker mit extrem empfindsamer Weinzunge. Denn natürlich wird zum erstklassigen Menü immer auch erstklassiger Wein als Glanznummer serviert.
Zum weihevollen Ritual gehört freilich seit Jahren, dass die Colombi-Chefin Waltraud Burtsche die Runde in einem "alemannischen Prolog" begrüßt und festlich einstimmt, sehr variantenreich und sehr treffsicher - in Inhalt und im ererbten alemannischen Zungenschlag. So z. B. zum "Erntedank 1996", als sie das Thema "Qualität und Regionalität" ansprach, oder 1997, als sie das Problem "Sinn und Sinnlichkeit -aromenreich? Genussreich?" erörterte. 1998 lieferte Waltraud Burtsche viel Gesprächsstoff mit "klassisches Erbe - moderne Ziele, Wahren und Wandeln in Küche und Keller". Das Motto für 1999: "Gastronomie und Weinwirtschaft vor der Zeitenwende, gepflegter Stil mit klarem Profil". In selbstverständlichem Dialekt bot Waltraud Burtsche einen kulturhistorischen Exkurs in die "Geschichte des Gasthauses" und schloß mit den Versen:
.. . Wer hit und morn bestehe will,
muß unerlässlich donoch strebe,
sich von der Masse abzuhebe,
brucht Eigenständigkeit - Profil.
Wer Qualität - gepflegten Stil
zum Markenzeichen sich duet wähle,
dem were b'stimmt au Gast' nit fehle,
der het au morn -wie m'r so sait - "die Nase vorn".
Eine kräftige Predigt gegen Mac Donald und den Siegeszug der Fastfoodwelle war der Prolog 2000: "Bewusst gemacht - mehr Qualität aus Küche und Keller". Ganz aktuell und zeitgemäß war das Thema beim "Erntedank 2002". Waltraud Burtsche feierte Baden-Württemberg als "Weinland und Einland". Sie griff dabei weit zurück in die Historie: ".. . Die guete Site vu Napoleons Macheschaft": Er hat "die Länder so vereinigt, dass sie quasi flurbereinigt s'nächst Jahrhundert überstehe". Zu "Badens Mitgift" zählt sie die Schönheit, "die uf de erschte Blick betört". Und: "Nebe der Toleranz sei typisch badisch grundsätzlich liberal zu denke .. .". Ein wichtiger Aspekt: "Immer e Grenze, in der Nähe, m'r cha des au als Chance sehe, heißt's de Blick über de Horizont nüs lenke ...". Und ganz konsequent: "... es isch letzendlig doch nur all-zuegut verständlig, dass e Partnerin, die so begehrt, sich z'erscht emol e wengli ziert, uf jede Fall guet überlait, bevor zum Abschluß 'Jo' si sait...". Ihr Fazit: "Baden-Württemberg: Einland. 50 Johr hat's jetzt Bestand. Stolz cha m'r ufs Musterländli si - nu wenn einem mol d'Nostalgie befällt, no singt m'r halt vum Badnerlied die Strophe all - un scho isch wieder heil die Welt.. .".
Waltraud Burtsche, 1939 in Freiburg geboren, lebte als Kind in Oberbergen/Kaiserstuhl, auf dem Hof der Großeltern, zog später mit den Eltern nach Bühl/Baden, machte dort ihr Abitur, arbeitete ll/2 Jahre in einer New Yorker Bank. Sie studierte Französisch und Englisch in Heidelberg und Freiburg, machte das 1. Staatsexamen für das Lehramt. 1967 heiratete sie Roland Burtsche, bildete sich aus in der Gastronomie - "aus der Praxis heraus durch Zuschauen und Lesen", natürlich auch durch Spezialseminare, um auch verschiedene Verwaltungsbereiche kennen zu lernen.
Heute ist Waltraud Burtsche "die Seele im Colombi-Hotel". Sie sagt selbst: Ich bin mit diesem doch gravierenden Berufswechsel höchst zufrieden, die eigene Erfahrung war mein oberster Lehrmeister - natürlich mit einem gut abgestimmten Teamwork mit dem Ehemann, der "nebenbei" auch noch Stadtrat in Freiburg ist: "Ich kann mir keinen Beruf vorstellen, der so viel Abwechslung bringt, Raum für so viel Kreativität lässt und die Begegnung mit so viel Menschen aus den verschiedensten Kreisen ermöglicht". Frau Burtsche will das Ansehen der gastronomischen Betriebe aufbessern: "Die akademischen Berufe haben in den letzten Jahren zu sehr an Gewicht gewonnen - die gastronomischen (vielleicht mit Ausnahme des Starkochs) hingegen verfügen nach wie vor über ein schlechtes Image und erscheinen von da den jungen Leuten wenig erstrebenswert". Frau Burtsche macht sich auch Gedanken über das Gästeverhalten: "Gäste haben viele Gesichter - und in der Anonymität zeigen sie sich oft auch von der negativen Seite, besonders Mitarbeitern gegenüber .. .". Sie weiß: "Die ,Cleverness', wie sie Manager von Industriebetrieben gerne hervorkehren, ist der Idee der Gastlichkeit in jeder Beziehung kontrovers". Sie sieht es ganz realistisch: "Es gibt zum Glück erfreulich viele angenehme und auch dankbare Gäste, jedoch vermag ein einzelner ungerecht Nörgelnder die Freude über hundert zufriedene Gäste nachhaltig zu trüben". Vor den Michelin-Testern braucht das Ehepaar Burtsche wohl keine Sorgen zu haben, der Eintrag in der roten Gourmet-Bibel scheint gesichert, wohlverdient.

2/2003
   

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