Kunstwerk des Monats
September 2004
- Sammlungsblatt -

Hebräischer Inschriftenstein, 14. Jahrhundert

Mittelalterliches Zeugnis der Heidelberger Juden
 
"Was aber die Juden in der Kurpfalz betrifft....(ist das) Charakteristische.... die Systemlosigkeit, die wetterwendische Laune, mit der die Juden von Fürst und Volk behandelt werden. Bald werden sie vertrieben, bald wieder wohlwollend aufgenommen; an dem einen Ort sucht man sie den Bürgern möglichst gleich zu stellen, während an einem ändern Ort alle Hebel in Bewegung gesetzt werden, um ihnen ein ordentliches Gewerbe oder eine nützliche Thätigkeit unmöglich zu machen".
L. Löwenstein, Geschichte der Juden in der Kurpfalz. Beiträge zur Geschichte der Juden in Deutschland, Bd. 1 (Frankfurt/Main 1895)

Spätestens mit dem wirtschaftlichen Erstarken Heidelbergs in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts ließen sich die ersten Juden in der Stadt nieder. Besonders ihr geld- und finanzwirtschaftliches Fachwissen, gepaart mit entsprechender Kapitalkraft, ließen sie schnell zu begehrten Finanziers und Geschäftspartnern werden. So steht denn auch der älteste schriftliche Nachweis jüdischen Lebens in enger Verbindung mit der Weinwirtschaft. Am 1. Mai 1275 nämlich befreite der Edelfreie Konrad von Strahlenberg einen Weinberg bei Schriesheim, der der Witwe des Juden Moysi von Heidelberg gehörte, von allen Forderungen und Abgaben. Im Zuge der Verfolgungen während der Pestzeit wurden auch die in Heidelberg lebenden Juden im Jahre 1348 entweder vertrieben oder ermordet. Ihre Wiederansiedlung steht in engem Zusammenhang mit dem Aufstieg der Stadt zur pfalzgräflichen Residenz.
Unter ihrem Förderer Ruprecht I. entwickelte sich die Judengemeinde in den nächsten 30 Jahren zu beachtlicher Größe und Bedeutung. Mit einem Bevölkerungsanteil von 1,6 % gehörte Heidelberg nun zu den größeren Judengemeinden im Reich.
Zeugnisse frühen jüdischen Lebens sind in Heidelberg rar. So gewinnt ein Zufallsfund aus dem Jahr 1971, der sich dazu noch wenig später als einer der ältesten erhaltenen hebräischen Inschriftensteine Baden-Württembergs erweisen sollte, besondere Bedeutung. Der Stein datiert vor das Jahr 1354 und gehört damit spätestens in die erste "Blütezeit" jüdischen Lebens und jüdischer Kultur unter Ruprecht l.. Er wurde im Flur des Hauses an der Ecke der Unteren Straße 20 und der Dreikönigsstraße (ehemals Judengasse) entdeckt. Hier in unmittelbarer Nähe zur Neckarbrücke und zum Marktplatz ist auch das jüdische Wohnviertel anzunehmen. In diesem Quartier, in dem stets Juden und Christen gemeinsam lebten, standen auch Gemeindeeinrichtungen wie die Synagoge und in deren unmittelbarer Nachbarschaft die Mikwe, das rituelle Reinigungsbad.
Der hier vorzustellende Inschriftenstein war als Bodenplatte sekundär verbaut worden, doch war die Inschrift auf der Unterseite glücklicherweise geschützt und blieb so sehr gut lesbar. Allerdings ist die Steinplatte nur zu einem Viertel erhalten, die Inschrift damit nicht sehr aussagekräftig. Der hebräische Text des erhaltenen Teils lautet in Umschrift (links) und in Übersetzung (rechts):
Zeile 1: [....]! ha-zeh we-'eda ....(Zeuge sei) dieser Steinhaufen und Zeugin
Zeile 2: [....]h ascher hosabti ....dieser Gedenkstein, den ich aufgestellt habe
Zeile 3: [....]ha-jaschisch hehr ....der Alte (oder Ehrwürdige) weise Rabbi
Zeile 4: [....j]d Jisrael
(1)14. Israel

Der vorhandene Text besagt, dass ein bestimmter weiser Rabbi, (Sohn eines weisen Rabbi?) Israel in hohem Alter ("ha-jaschisch") diesen Gedenkstein/Grabstein errichten ließ. Die Zahlbuchstaben "j" und "d" in der letzten Zeile sind wohl zur Jahreszahl 114 des 6. Jahrtausends nach Erschaffung der Welt zu ergänzen und datieren die Inschrift vor das Jahr 1354 nach unserer Zeitrechnung. Ob das Denkmal einst in der nahegelegenen Synagoge aufgestellt war oder auf dem 1344 erstmals erwähnten jüdischen Friedhof der Stadt im Areal Plöck/Sand-gasse/Klingentor stand, bleibt angesichts des fragmentierten Erhaltungszustandes unklar.
Das Ende der ersten nachweisbaren Heidelberger Judengemeinde war jäh, zählten doch die Heidelberger und die übrigen Juden in der Pfalzgrafschaft zu den ersten Opfern einer territorialen Judenvertreibung in Deutschland. Die Ausweisung - oder Vertreibung - aus der gesamten Pfalzgrafschaft befahl Pfalzgraf Ruprecht II., "der Harte", Neffe und Nachfolger des besonnenen und zielstrebigen Ruprecht l.. Ruprecht II. beschlagnahmte alles zurückgelassene Eigentum der reichen jüdischen Gemeinde - also vor allem ihre Häuser und die Synagoge - und schenkte diese der vier Jahre zuvor gegründeten Universität. Die Liegenschaften wurden für den akademischen Unterricht, als Kollegien, Bursen und Wohnungen für Professoren genutzt, deren Platzbedarf damit befriedigt war. Ähnlich erging es dem Judenfriedhof, zu dem ein Haus mit Hof und Garten gehörte; auch er ging in das Eigentum der Universität über.
Darüber hinaus ließ Ruprecht die jüdischen Grabsteine und Steininschriften "vierteln" und verkaufte diese als Baumaterial. Mit der Vierteilung aller steinernen Schriftzeugnisse sollten auch alle in der Inschrift genannten Personen im übertragenen Sinne gevierteilt werden - die schimpflichste Art der Hinrichtung im Mittelalter. Somit wird der zunächst unscheinbar wirkende
Fund zum erschütternden Zeugnis der rigorosen Judenverfolgung in Heidelberg und der Pfalz im 14. Jahrhundert.

Text: Renate Ludwig

Hebräischer Inschriftenstein, Sandstein, vor 1354, gefunden in Heidelberg, Untere Straße (1971)
Inv. Nr. HD-Alt 1988/90

 
Literatur:
Karl Georg Kühn: Der jüdische Inschriftenstein aus Heidelberg. Heidelberger Jahrbücher 15, 1971,107-110
Ernst Roth: Die Blutbeschuldigung in Trient vor 500 Jahren. Zugleich: Die Genealogie einer Sofer Familie aus Heidelberg. "Udim" Zeitschrift der Rabbinerkonferenz in der Bundesrepublik Deutschland 6,1975/76, 79-86 bes. 84-85
Franz-Josef Ziwes: Die Juden im mittelalterlichen Heidelberg. In: Geschichte der Juden in Heidelberg. Buchreihe der Stadt Heidelberg 6 (Heidelberg 1996) 15-41
Der Griff nach der Krone. Die Pfalzgrafschaft bei Rhein im Mittelalter. Schätze aus unseren Schlössern / Staatliche Schlösser und Gärten Baden-Württemberg 4 (Regensburg 2000) S. 292 Abb. 157
 
siehe auch:  
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