Spätestens
mit dem wirtschaftlichen Erstarken Heidelbergs in der zweiten
Hälfte des 13. Jahrhunderts ließen sich die ersten Juden in der
Stadt nieder. Besonders ihr geld- und finanzwirtschaftliches Fachwissen,
gepaart mit entsprechender Kapitalkraft, ließen sie schnell zu
begehrten Finanziers und Geschäftspartnern werden. So steht denn
auch der älteste schriftliche Nachweis jüdischen Lebens in enger
Verbindung mit der Weinwirtschaft. Am 1. Mai 1275 nämlich befreite
der Edelfreie Konrad von Strahlenberg einen Weinberg bei Schriesheim,
der der Witwe des Juden Moysi von Heidelberg gehörte, von allen
Forderungen und Abgaben. Im Zuge der Verfolgungen während der
Pestzeit wurden auch die in Heidelberg lebenden Juden im Jahre
1348 entweder vertrieben oder ermordet. Ihre Wiederansiedlung
steht in engem Zusammenhang mit dem Aufstieg der Stadt zur pfalzgräflichen
Residenz.
Unter ihrem Förderer Ruprecht I. entwickelte sich die Judengemeinde
in den nächsten 30 Jahren zu beachtlicher Größe und Bedeutung.
Mit einem Bevölkerungsanteil von 1,6 % gehörte Heidelberg nun
zu den größeren Judengemeinden im Reich.
Zeugnisse frühen jüdischen Lebens sind in Heidelberg rar. So gewinnt
ein Zufallsfund aus dem Jahr 1971, der sich dazu noch wenig später
als einer der ältesten erhaltenen hebräischen Inschriftensteine
Baden-Württembergs erweisen sollte, besondere Bedeutung. Der Stein
datiert vor das Jahr 1354 und gehört damit spätestens in die erste
"Blütezeit" jüdischen Lebens und jüdischer Kultur unter Ruprecht
l.. Er wurde im Flur des Hauses an der Ecke der Unteren Straße
20 und der Dreikönigsstraße (ehemals Judengasse) entdeckt. Hier
in unmittelbarer Nähe zur Neckarbrücke und zum Marktplatz ist
auch das jüdische Wohnviertel anzunehmen. In diesem Quartier,
in dem stets Juden und Christen gemeinsam lebten, standen auch
Gemeindeeinrichtungen wie die Synagoge und in deren unmittelbarer
Nachbarschaft die Mikwe, das rituelle Reinigungsbad.
Der hier vorzustellende Inschriftenstein war als Bodenplatte sekundär
verbaut worden, doch war die Inschrift auf der Unterseite glücklicherweise
geschützt und blieb so sehr gut lesbar. Allerdings ist die Steinplatte
nur zu einem Viertel erhalten, die Inschrift damit nicht sehr
aussagekräftig. Der hebräische Text des erhaltenen Teils lautet
in Umschrift (links) und in Übersetzung (rechts):
Zeile
1: |
[....]!
ha-zeh we-'eda |
....(Zeuge
sei) dieser Steinhaufen und Zeugin |
Zeile
2: |
[....]h
ascher hosabti |
....dieser
Gedenkstein, den ich aufgestellt habe |
Zeile
3: |
[....]ha-jaschisch
hehr |
....der
Alte (oder Ehrwürdige) weise Rabbi |
Zeile
4: |
[....j]d
Jisrael
|
(1)14.
Israel |
Der vorhandene
Text besagt, dass ein bestimmter weiser Rabbi, (Sohn eines weisen
Rabbi?) Israel in hohem Alter ("ha-jaschisch") diesen Gedenkstein/Grabstein
errichten ließ. Die Zahlbuchstaben "j" und "d" in der letzten
Zeile sind wohl zur Jahreszahl 114 des 6. Jahrtausends nach Erschaffung
der Welt zu ergänzen und datieren die Inschrift vor das Jahr 1354
nach unserer Zeitrechnung. Ob das Denkmal einst in der nahegelegenen
Synagoge aufgestellt war oder auf dem 1344 erstmals erwähnten
jüdischen Friedhof der Stadt im Areal Plöck/Sand-gasse/Klingentor
stand, bleibt angesichts des fragmentierten Erhaltungszustandes
unklar.
Das Ende der ersten nachweisbaren Heidelberger Judengemeinde war
jäh, zählten doch die Heidelberger und die übrigen Juden in der
Pfalzgrafschaft zu den ersten Opfern einer territorialen Judenvertreibung
in Deutschland. Die Ausweisung - oder Vertreibung - aus der gesamten
Pfalzgrafschaft befahl Pfalzgraf Ruprecht II., "der Harte", Neffe
und Nachfolger des besonnenen und zielstrebigen Ruprecht l.. Ruprecht
II. beschlagnahmte alles zurückgelassene Eigentum der reichen
jüdischen Gemeinde - also vor allem ihre Häuser und die Synagoge
- und schenkte diese der vier Jahre zuvor gegründeten Universität.
Die Liegenschaften wurden für den akademischen Unterricht, als
Kollegien, Bursen und Wohnungen für Professoren genutzt, deren
Platzbedarf damit befriedigt war. Ähnlich erging es dem Judenfriedhof,
zu dem ein Haus mit Hof und Garten gehörte; auch er ging in das
Eigentum der Universität über.
Darüber hinaus ließ Ruprecht die jüdischen Grabsteine und Steininschriften
"vierteln" und verkaufte diese als Baumaterial. Mit der Vierteilung
aller steinernen Schriftzeugnisse sollten auch alle in der Inschrift
genannten Personen im übertragenen Sinne gevierteilt werden -
die schimpflichste Art der Hinrichtung im Mittelalter. Somit wird
der zunächst unscheinbar wirkende
Fund zum erschütternden Zeugnis der rigorosen Judenverfolgung
in Heidelberg und der Pfalz im 14. Jahrhundert.
Text:
Renate Ludwig
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