Mai 2004
- Sammlungsblatt -

Johann Georg Primavesi (Heidelberg 1774 - 1855 Kassel)
Arkadische Landschaft

Der 1774 in Heidelberg geborene Landschaftszeichner, -maler und Radierer Johann Georg Primavesi war bis 1812 Theatermaler in Mannheim. Da sich ihm dort jedoch nicht die erhofften künstlerischen Entwicklungs-möglichkeiten boten, ging er schließlich als Hoftheatermaler nach Darmstadt. Dort schuf er zahlreiche architektonische und landschaftliche Dekorationen und Bühnenbilder. Im Frühjahr 1815 war bereits von 56 Prospekten und 139 Kulissen Primavesis die Rede, weitere von ihm übermalte Prospekte sowie zahlreiche Sofitten und Versatzstücke nicht mitgerechnet. 1815, im Entstehungsjahr des Heidelberger Aquarells, musste Primavesi, der überaus erfolgreich für den Darmstädter Hof gearbeitet hatte, um seine bis zu diesem Zeitpunkt unangefochtene Position fürchten, denn die neuen Dekorationsarbeiten sollten nun paritätisch an die Hof- und Theatermaler Primavesi und Sandhaas verteilt werden.

Im Bestreben, gegen diese Zurücksetzung anzugehen, führte er u. a. seinen regen Austausch mit Goethe an, der insbesondere durch die Folge der Rheinansichten auf Primavesi aufmerksam geworden war. "Als Goethe hier war, widmete mir derselbe den ganzen Abend, um über dieses Werk ("Der Rheinlauf") zu sprechen [...]", berichtete er selbst stolzerfüllt. Trotz guter Bezahlung geriet Primavesi in der Folgezeit zunehmend in finanzielle Bedrängnis. Weitere widrige Umstände, darunter ein Wohnungsbrand im Jahr 1817, verschärften die Situation. Erst 1822 mit seiner Ernennung zum Hofmaler in Kassel beruhigte sich seine persönliche, berufliche und finanzielle Lage. 1855 starb er hochbetagt in Kassel.
Zu Primavesis heute noch bekannten Arbeiten zählen seine "12 geätzten Ansichten Heidelbergs" und die Radierungen zum Rheinlauf, die von 1818 an in mehreren Lieferungen erschienen. Sein übriges Oeuvre ist weitgehend unbekannt. Selbst an den Hauptorten seines Wirkens in Heidelberg, Darmstadt und Kassel haben sich nur vereinzelte "Spuren" seiner Arbeit erhalten. Im Hessischen Landesmuseum in Darmstadt befinden sich einige wenige unsignierte Zeichnungen und Aquarelle Primavesis. Darüber hinaus ist eine signierte und auf 1808 datierte Gouache im Reissmuseum in Mannheim bekannt, die in einer südlichen Ideallandschaft die Ruine eines antiken Monopteros zeigt. Als signiertes und datiertes Aquarell ist die "Arkadische Landschaft" in Heidelberg somit ein Blatt mit hohem Seltenheitswert.
Im Kontext seiner Tätigkeit als Theatermaler vertiefte sich Primavesi mehr und mehr in die Möglichkeiten der Illusionistik. Ein Thema, das ihn besonders beschäftigte, war die Darstellung des Lichts. In diesem Sinne schrieb er beispielsweise an den Philosophen Schleiermacher: "Seitdem die Theatermalerei meine Hauptbeschäftigung ausmacht, war es einer meiner liebsten Gedanken, einmal [...] eine Vorstellung zu geben, wie sie kein Theater aufzuweisen hat, nämlich den Aufgang der Sonne, wie solches in der Natur gesehen wird. Ehe die Sonnenscheibe sichtbar ist, verkündet der nahe Schimmer ihr Erscheinen. Ist sie auf gehöriger Höhe, so beleuchtet sie die Gegenstände und spiegelt sich im Wasser. [...] und die ganze Gegend glänzt in ihrem goldenen Schimmer." Aber nicht nur im Bereich der Illusionskunst beschäftigte sich Primavesi intensiv mit dem Phänomen Sonne, mit Fragen der Lichtführung und atmosphärisch verklärter Stimmungen. Auch bei der Mannheimer Gouache und dem Heidelberger Aquarell handelt es sich um Darstellungen von Morgenstimmungen. Das Mannheimer Blatt ist in weiten Bereichen stark verschattet. Lediglich die auf einem Hügel gelegene Tempelruine und Berghänge in der Ferne werden von ersten Sonnenstrahlen in ein helles, klares Licht getaucht. Im Gegensatz dazu wirkt die Heidelberger Ansicht lichtdurchflutet. Bis auf leichte Verschattungen im Vordergrund ist die ganze Landschaft von einer dunstig zarten Morgenstimmung erfüllt. Der fahl glänzende Schimmer des Lichts liegt auf der spiegelnden Wasseroberfläche und taucht die Uferpartie des Sees in ein warmes Licht. Insbesondere durch die stimmungsvolle Gegenlichtsituation erfährt die ganze Szenerie eine überzeitlich wirkende atmosphärische Verklärung, wird die Natur ins Feierlich-Erhabene gesteigert.
Primavesi hält den weiten licht- und lufterfüllten Landschaftsraum in zarten gedämpften Farben fest, die den elegischen Charakter der Darstellung unterstreichen. Es ist eine südliche Landschaft, die man wohl im Bereich der italienischen Alpen ansiedeln kann. Obgleich sich Primavesis Familie in ihrem Ursprung bis nach Italien zurückverfolgen lässt, hat er selbst das Land seiner Vorfahren wohl nie gesehen. Das Sujet einer südlichen, arkadischen Landschaft mit Grab- bzw. Denkmalen war Primavesi jedoch sicher auch aus seiner Arbeit als Theatermaler vertraut. Er entwickelt den Landschaftsraum nach den klassischen Kompositionsschemata des 18. Jahrhunderts. In diesem Sinne erhebt sich am Rand eines Pfades im Vordergrund links eine minutiös bis ins Detail des üppigen Laubwerks beschriebene Trauerweide, die durch ihre
Positionierung die Tiefenwirkung der Ansicht nachhaltig steigert. Farbigkeit und Licht setzt er dem dreizonigen Bildaufbau entsprechend ein. Hinter dem leicht verschatteten Vordergrund, den dunkle grüne und graue Farbtöne dominieren, öffnet sich im Mittelgrund die lichterfüllte Seelandschaft in hellen Blau-, Grün- und Grautönen. Im Hintergrund wird der Blick des Betrachters vom zart verblauenden Bereich der Berge und des Himmels "aufgefangen".
Rätselhaft sind die zahlreichen Initialen auf den verschiedenen Monumenten, Grabsteinen und Bruchstücken, die am Rand des Pfades im Vordergrund zu sehen sind (Grabstein: "N.E.S."; Sarkophag: "H.T.I.H/E.G.I.T.B."; 3 Tafeln: "B.D.T.", "H.D.T./D.E.L", "T.S.U./F.V"). Ob Primavesi diese Grab- oder Denkmalmotive und die Schrifttafeln als Mahnung an die eigene Vergänglichkeit im Sinne der Aussage "Et in arcadia ego" einsetzte, ließ sich bisher ebenso wenig eindeutig klären wie die Frage, ob bzw. inwieweit vielleicht ein Bezug zwischen den Inschriften und Primavesis aktueller persönlicher Situation in Darmstadt hergestellt werden kann bzw. welche Bedeutung er ihnen beigemessen hat. Neben dem Sarkophag lagern am Wegesrand drei weibliche Staffagefiguren in antikisierenden Gewändern. Am gegenüberliegenden Ufer liegt in der Ferne eine Stadt bzw. eine ausgedehnte Tempelanlage, hinter der sich einige schroffe Steilfelsen erheben. In der Ferne begrenzt ein Bergmassiv den Blick. Den Rand des Sees säumen vereinzelte Palmen und Zypressen.
Mit Versatzstücken, wie der idyllischen Seelandschaft, in deren Hintergrund Hügel und Berge sichtbar werden, weist das Aquarell typische Elemente eines Arkadienbildes auf, wobei der Aspekt der pastoralen Wunschwelt im 19. Jahrhundert nur noch vereinzelt zum Tragen kommt. Die Projektion des Arkadiengedankens in den Landschaftsbereich der Alpen und Italiens hat jedoch durchaus Tradition. Auch das Motiv des Grabes im Landschaftsgarten und damit in der Natur gewann in Deutschland seit dem 18. Jahrhundert zunehmend Bedeutung. Als erstes Grab im Kontext des Arkadien-Mythos tauchte in Vergils poetischem Hirtenland das Grab des Schäfers Daphnis auf. So wurde bereits hier der Bezug zu Tod und Vergänglichkeit hergestellt. Arkadien ist in diesem Sinne nicht das Paradies jenseits des Todes, sondern der Tod ist Bestandteil des Lebens und damit der Natur.

Anja-Maria Roth

Johann Georg Primavesi (Heidelberg 1774 - 1855 Kassel)
Arkadische Landschaft, 1815
Feder/Tusche, Aquarell; 33,2 x 25,7 cm (Blatt)
Signiert und datiert: "G: Primavesi f: 1815:"; Inv. Nr. Z 6145
 

Literatur
Dühr, Elisabeth und Hüttel, Richard (Hrsg.): Traumland Arkadien. Ausstellungskatalog. Trier 1999. Gunzert, Walter: Der Theatermaler Primavesi. In: Festschrift für Karl Lohmeyer. Hrsg. von Karl Schwingel. Saarbrücken 1954. S. 229-241.
Lohmeyer, Karl: Heidelberger Maler der Romantik. Heidelberg 1935. S. 45-58.
Maisak, Petra: Arkadien. Genese und Typologie einer idyllischen Wunschwelt. Erschienen in: Europäische Hochschulschriften. Reihe 28 Kunstgeschichte. Bd. 17. Frankfurt a. M./Bern 1981.

 
siehe auch:  
zurück zur Übersicht

weiter:  Juni 2004


Zurück:
zur Heidelberg-Seite - zum Städte-Menü - zum Hauptmenü
Register - Impressum
ZUM
© Text und Abbildung Kurpfälzisches Museum 2004
© Gestaltung Badische Heimat 2004