Im Bestreben,
gegen diese Zurücksetzung anzugehen, führte er u. a. seinen regen
Austausch mit Goethe an, der insbesondere durch die Folge der
Rheinansichten auf Primavesi aufmerksam geworden war. "Als Goethe
hier war, widmete mir derselbe den ganzen Abend, um über dieses
Werk ("Der Rheinlauf") zu sprechen [...]", berichtete er selbst
stolzerfüllt. Trotz guter Bezahlung geriet Primavesi in der Folgezeit
zunehmend in finanzielle Bedrängnis. Weitere widrige Umstände,
darunter ein Wohnungsbrand im Jahr 1817, verschärften die Situation.
Erst 1822 mit seiner Ernennung zum Hofmaler in Kassel beruhigte
sich seine persönliche, berufliche und finanzielle Lage. 1855
starb er hochbetagt in Kassel.
Zu Primavesis heute noch bekannten Arbeiten zählen seine "12 geätzten
Ansichten Heidelbergs" und die Radierungen zum Rheinlauf, die
von 1818 an in mehreren Lieferungen erschienen. Sein übriges Oeuvre
ist weitgehend unbekannt. Selbst an den Hauptorten seines Wirkens
in Heidelberg, Darmstadt und Kassel haben sich nur vereinzelte
"Spuren" seiner Arbeit erhalten. Im Hessischen Landesmuseum in
Darmstadt befinden sich einige wenige unsignierte Zeichnungen
und Aquarelle Primavesis. Darüber hinaus ist eine signierte und
auf 1808 datierte Gouache im Reissmuseum in Mannheim bekannt,
die in einer südlichen Ideallandschaft die Ruine eines antiken
Monopteros zeigt. Als signiertes und datiertes Aquarell ist die
"Arkadische Landschaft" in Heidelberg somit ein Blatt mit hohem
Seltenheitswert.
Im Kontext seiner Tätigkeit als Theatermaler vertiefte sich Primavesi
mehr und mehr in die Möglichkeiten der Illusionistik. Ein Thema,
das ihn besonders beschäftigte, war die Darstellung des Lichts.
In diesem Sinne schrieb er beispielsweise an den Philosophen Schleiermacher:
"Seitdem die Theatermalerei meine Hauptbeschäftigung ausmacht,
war es einer meiner liebsten Gedanken, einmal [...] eine Vorstellung
zu geben, wie sie kein Theater aufzuweisen hat, nämlich den Aufgang
der Sonne, wie solches in der Natur gesehen wird. Ehe die Sonnenscheibe
sichtbar ist, verkündet der nahe Schimmer ihr Erscheinen. Ist
sie auf gehöriger Höhe, so beleuchtet sie die Gegenstände und
spiegelt sich im Wasser. [...] und die ganze Gegend glänzt in
ihrem goldenen Schimmer." Aber nicht nur im Bereich der Illusionskunst
beschäftigte sich Primavesi intensiv mit dem Phänomen Sonne, mit
Fragen der Lichtführung und atmosphärisch verklärter Stimmungen.
Auch bei der Mannheimer Gouache und dem Heidelberger Aquarell
handelt es sich um Darstellungen von Morgenstimmungen. Das Mannheimer
Blatt ist in weiten Bereichen stark verschattet. Lediglich die
auf einem Hügel gelegene Tempelruine und Berghänge in der Ferne
werden von ersten Sonnenstrahlen in ein helles, klares Licht getaucht.
Im Gegensatz dazu wirkt die Heidelberger Ansicht lichtdurchflutet.
Bis auf leichte Verschattungen im Vordergrund ist die ganze Landschaft
von einer dunstig zarten Morgenstimmung erfüllt. Der fahl glänzende
Schimmer des Lichts liegt auf der spiegelnden Wasseroberfläche
und taucht die Uferpartie des Sees in ein warmes Licht. Insbesondere
durch die stimmungsvolle Gegenlichtsituation erfährt die ganze
Szenerie eine überzeitlich wirkende atmosphärische Verklärung,
wird die Natur ins Feierlich-Erhabene gesteigert.
Primavesi hält den weiten licht- und lufterfüllten Landschaftsraum
in zarten gedämpften Farben fest, die den elegischen Charakter
der Darstellung unterstreichen. Es ist eine südliche Landschaft,
die man wohl im Bereich der italienischen Alpen ansiedeln kann.
Obgleich sich Primavesis Familie in ihrem Ursprung bis nach Italien
zurückverfolgen lässt, hat er selbst das Land seiner Vorfahren
wohl nie gesehen. Das Sujet einer südlichen, arkadischen Landschaft
mit Grab- bzw. Denkmalen war Primavesi jedoch sicher auch aus
seiner Arbeit als Theatermaler vertraut. Er entwickelt den Landschaftsraum
nach den klassischen Kompositionsschemata des 18. Jahrhunderts.
In diesem Sinne erhebt sich am Rand eines Pfades im Vordergrund
links eine minutiös bis ins Detail des üppigen Laubwerks beschriebene
Trauerweide, die durch ihre
Positionierung die Tiefenwirkung der Ansicht nachhaltig steigert.
Farbigkeit und Licht setzt er dem dreizonigen Bildaufbau entsprechend
ein. Hinter dem leicht verschatteten Vordergrund, den dunkle grüne
und graue Farbtöne dominieren, öffnet sich im Mittelgrund die
lichterfüllte Seelandschaft in hellen Blau-, Grün- und Grautönen.
Im Hintergrund wird der Blick des Betrachters vom zart verblauenden
Bereich der Berge und des Himmels "aufgefangen".
Rätselhaft sind die zahlreichen Initialen auf den verschiedenen
Monumenten, Grabsteinen und Bruchstücken, die am Rand des Pfades
im Vordergrund zu sehen sind (Grabstein: "N.E.S."; Sarkophag:
"H.T.I.H/E.G.I.T.B."; 3 Tafeln: "B.D.T.", "H.D.T./D.E.L", "T.S.U./F.V").
Ob Primavesi diese Grab- oder Denkmalmotive und die Schrifttafeln
als Mahnung an die eigene Vergänglichkeit im Sinne der Aussage
"Et in arcadia ego" einsetzte, ließ sich bisher ebenso wenig eindeutig
klären wie die Frage, ob bzw. inwieweit vielleicht ein Bezug zwischen
den Inschriften und Primavesis aktueller persönlicher Situation
in Darmstadt hergestellt werden kann bzw. welche Bedeutung er
ihnen beigemessen hat. Neben dem Sarkophag lagern am Wegesrand
drei weibliche Staffagefiguren in antikisierenden Gewändern. Am
gegenüberliegenden Ufer liegt in der Ferne eine Stadt bzw. eine
ausgedehnte Tempelanlage, hinter der sich einige schroffe Steilfelsen
erheben. In der Ferne begrenzt ein Bergmassiv den Blick. Den Rand
des Sees säumen vereinzelte Palmen und Zypressen.
Mit Versatzstücken, wie der idyllischen Seelandschaft, in deren
Hintergrund Hügel und Berge sichtbar werden, weist das Aquarell
typische Elemente eines Arkadienbildes auf, wobei der Aspekt der
pastoralen Wunschwelt im 19. Jahrhundert nur noch vereinzelt zum
Tragen kommt. Die Projektion des Arkadiengedankens in den Landschaftsbereich
der Alpen und Italiens hat jedoch durchaus Tradition. Auch das
Motiv des Grabes im Landschaftsgarten und damit in der Natur gewann
in Deutschland seit dem 18. Jahrhundert zunehmend Bedeutung. Als
erstes Grab im Kontext des Arkadien-Mythos tauchte in Vergils
poetischem Hirtenland das Grab des Schäfers Daphnis auf. So wurde
bereits hier der Bezug zu Tod und Vergänglichkeit hergestellt.
Arkadien ist in diesem Sinne nicht das Paradies jenseits des Todes,
sondern der Tod ist Bestandteil des Lebens und damit der Natur.
Anja-Maria
Roth
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