Es waren die
Monate, in denen Napoleon Bonaparte sein Exil auf der Mittelmeerinsel
Elba verlassen und in kürzester Zeit die Macht in Frankreich an
sich gerissen hatte. Die Siegermächte von 1813/14 wurden auf dem
Wiener Kongress bei den Verhandlungen über die Neuordnung Europas
von diesem Ereignis überrascht, entschlossen zogen sie daraufhin
einen großen Teil ihrer Armeen am Oberrhein zusammen, dem Korsen
endgültig den Garaus zu machen. Heidelberg wurde ihr Hauptquartier.
Nachdem die badische Landwehr und die gesamte bayerische Armee
bereits durch Heidelberg gezogen waren, folgten am 24. Mai 1815
die Österreicher unter dem kaiserlichen Feldmarschall Fürst Schwarzenberg.
Der Oberbefehlshaber der verbündeten Armeen nahm Wohnung in dem
"schönen freiherrlich von Zyllenhardtischen Haus", dem Hauptgebäude
des heutigen Kurpfälzischen Museums an der Hauptstraße 97. Mit
einem großen Fackelzug, an der Spitze Prorektor Friedrich Wilken
und der akademische Senat, ehrte die Universität den Fürsten,
der daraufhin eine Abordnung der Studenten zur Tafel in den großen
Saal einlud. Der österreichische Generalstab fühlte sich wohl
in Heidelberg. "Manche derselben brachten, fast täglich, die wenigen
freien Stunden, die ihnen in dem hiesigen Getümmel und bei so
vieler Arbeit zu Theil wurden, bei einigen der bedeutendsten hiesigen
Gelehrten und Kunstfreunden zu, bei unserem Voß, Thibaut, bei
den Gebrüdern Boissere (sie!) und Bertram u.s.w." (S. 20) Am 5.
Juni trafen die kaiserlichen Hoheiten in Heidelberg ein. Zur Mittagszeit
kam Kaiser Franz I. von Österreich. Er hatte das Angebot des badischen
Großherzogs, im Mannheimer oder Schwetzinger Schloss zu wohnen,
ausgeschlagen und bezog seine Unterkunft am Karlsplatz im heutigen
Gebäude der Akademie der Wissenschaften. Bei dieser Gelegenheit
erblickten die Heidelberger "mit inniger Rührung und Freude zum
ersten mal wieder, nach der langen Abwesenheit, unseren geliebten
Großherzog Carl, aus dem bekanntlich so alten teutschen Regentenstamme."
(S. 36) Abends gegen 21.00 Uhr kündigten Glockengeläut und Kanonendonner
die Ankunft Zar Alexanders l. an. Der "Kaiser aller Reussen, von
Millionen Herzen seines ungeheuren Reiches ,der Gesegnete' genannt"
(S. 42), bewohnte das "Loosische Haus" von Stadtdirektor Winter
in der Hauptstraße 120. Zeitweilig bezog er auch das Landhaus
des Engländers Pikford, östlich vom Karlstor an der Schlierbacher
Landstraße 3 gelegen. (S. 74) Hier im so genannten "Haus der verschwundenen
Säulen" sei ihm "in weißem Gewand und mit bekränztem Haupt" Frau
von Krüdener "im Garten erschienen" und habe ihm "im Tone einer
Seherin" verkündet, er, Alexander, sei von der Vorsehung auserkoren,
die christliche Weltordnung als die neue Staatsform der Zukunft
zu begründen. Eine Reihe weiterer Fürsten, Diplomaten und hochrangiger
Militärs hielt sich Anfang Juni für längere oder kürzere Zeit
in Heidelberg auf, darunter der russische Thronfolger Nikolaus
l. und der spätere österreichische Kaiser Ferdinand l., König
Friedrich von Württemberg und dessen Kronprinz Wilhelm, Kronprinz
Ludwig von Bayern, der spätere König von Sachsen, Friedrich August
II., die Erzherzöge Karl und Johann, Fürst Metternich, Freiherr
vom Stein, der spätere Feldmarschall Radetzky und der bayerische
Feldmarschall Wrede, dessen Heimatstadt Heidelberg war.
Gastgeber der illustren Persönlichkeiten in Heidelberg war der
badische Großherzog Karl. Den panegyrischen Worten Friedrich Dittenbergers
ist allerdings nicht anzumerken, welch traurige Rolle der Landesherr
bei diesem Treffen spielte. Belastet durch die Ehe mit Stephanie
Beauharnais, der Adoptivtochter Napoleons, war er der letzte der
Rheinbundfürsten, der sich von Frankreich lossagte. Allein der
Umstand, dass Karl nicht nur der Schwiegersohn Napoleons, sondern
zugleich auch der Schwager des Zaren war, festigte seine unsichere
Stellung in diesen Tagen. Wiederholt machten die Monarchen der
Markgräfin Amalie, der Mutter des Großherzogs und zugleich Schwiegermutter
des Zaren, in ihrem Witwensitz im Rohrbacher Schlösschen ihre
Aufwartung und nutzten den abgelegenen Ort für ihre Beratungen.
Von
den lebhaften außenpolitischen Verhandlungen im Umkreis der Monarchen
spürte die Heidelberger Bevölkerung wenig. Ihnen bot sich vielmehr
das Bild eines zum Gottesdienst eilenden österreichischen Kaisers,
der überdies seinen Aufenthalt zu wiederholten Besuchen in der
berühmten Gemäldesammlung der Brüder Boisseree und ihres Freundes
Bertram im Palais Sickingen am Karlsplatz, heute Germanistisches
Seminar, nutzte. Am 14. Juni begab sich der Kaiser zu Pferde auf
den Königsstuhl, den man ihm zu Ehren kurzerhand in Kaiser- und
Königsstuhl umbenannte und einen entsprechenden Gedenkstein errichtete. Am
21. Juni, nachmittags um drei Uhr, brachte ein russischer Kurier
die Nachricht von der Niederlage Napoleons in der Schlacht von
Waterloo am 18. Juni 1815. In Heidelberg herrschte unbeschreiblicher
Jubel. "Akademiker und Militärs, Männer und Frauen, Jünglinge
und Mädchen eilten, trotz dem heftigen Regen auf die Straße, ...
und die Namen des großen Wellingtons und des heldenmüthigen Blüchers
tönten laut und hochgefeiert am Ufer des Neckars" (S. 138 f.) Wenige
Tage später verließen die Truppen der Alliierten die Stadt. Das
Hauptquartier wurde aufgelöst. Als die Abdankung Napoleons bekannt
wurde, zogen die Kaiser am 24. Juni 1815 westwärts, dem zweiten
Einzug in Paris entgegen. Pfarrer Dittenberger beschließt seinen
Bericht mit zwei Gedichten, die während der Anwesenheit der hohen
Monarchen in Heidelberg erschienen sind, "An den Kaiser Franz
l. von Österreich in Heidelberg" und "Der Abend des 5ten Junius
1815 in Heidelberg", aus der Feder von Helmina von Chezy. Allein
rund 70.000 Mann russischer Truppen hatten in diesen Wochen den
Weg durch Heidelberg nach Westen genommen, Friedrich Rottmann
hat in einem seiner letzten Aquarelle den "Einzug der Russen in
Heidelberg 1815", dieses denkwürdige Ereignis, im Bild festgehalten.
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