März 2004
- Sammlungsblatt -

Friedrich Dittenberger

Die Kaiser in Heidelberg

"Merkwürdig" im ursprünglichen Sinn des Wortes war für die Einwohner Heidelbergs der Frühsommer des Jahres 1815, als die Stadt vom 24. Mai bis zum 24. Juni Mittelpunkt Europas war. Der protestantische Stadtpfarrer Friedrich Dittenberger hat die Ereignisse in seinem Buch "Die Kaiser in Heidelberg" festgehalten, das 1815 in dem renommierten Verlag Mohr und Zimmer in Heidelberg erschienen ist.

Es waren die Monate, in denen Napoleon Bonaparte sein Exil auf der Mittelmeerinsel Elba verlassen und in kürzester Zeit die Macht in Frankreich an sich gerissen hatte. Die Siegermächte von 1813/14 wurden auf dem Wiener Kongress bei den Verhandlungen über die Neuordnung Europas von diesem Ereignis überrascht, entschlossen zogen sie daraufhin einen großen Teil ihrer Armeen am Oberrhein zusammen, dem Korsen endgültig den Garaus zu machen. Heidelberg wurde ihr Hauptquartier.
Nachdem die badische Landwehr und die gesamte bayerische Armee bereits durch Heidelberg gezogen waren, folgten am 24. Mai 1815 die Österreicher unter dem kaiserlichen Feldmarschall Fürst Schwarzenberg. Der Oberbefehlshaber der verbündeten Armeen nahm Wohnung in dem "schönen freiherrlich von Zyllenhardtischen Haus", dem Hauptgebäude des heutigen Kurpfälzischen Museums an der Hauptstraße 97. Mit einem großen Fackelzug, an der Spitze Prorektor Friedrich Wilken und der akademische Senat, ehrte die Universität den Fürsten, der daraufhin eine Abordnung der Studenten zur Tafel in den großen Saal einlud.
Der österreichische Generalstab fühlte sich wohl in Heidelberg. "Manche derselben brachten, fast täglich, die wenigen freien Stunden, die ihnen in dem hiesigen Getümmel und bei so vieler Arbeit zu Theil wurden, bei einigen der bedeutendsten hiesigen Gelehrten und Kunstfreunden zu, bei unserem Voß, Thibaut, bei den Gebrüdern Boissere (sie!) und Bertram u.s.w." (S. 20)
Am 5. Juni trafen die kaiserlichen Hoheiten in Heidelberg ein. Zur Mittagszeit kam Kaiser Franz I. von Österreich. Er hatte das Angebot des badischen Großherzogs, im Mannheimer oder Schwetzinger Schloss zu wohnen, ausgeschlagen und bezog seine Unterkunft am Karlsplatz im heutigen Gebäude der Akademie der Wissenschaften. Bei dieser Gelegenheit erblickten die Heidelberger "mit inniger Rührung und Freude zum ersten mal wieder, nach der langen Abwesenheit, unseren geliebten Großherzog Carl, aus dem bekanntlich so alten teutschen Regentenstamme." (S. 36)
Abends gegen 21.00 Uhr kündigten Glockengeläut und Kanonendonner die Ankunft Zar Alexanders l. an. Der "Kaiser aller Reussen, von Millionen Herzen seines ungeheuren Reiches ,der Gesegnete' genannt" (S. 42), bewohnte das "Loosische Haus" von Stadtdirektor Winter in der Hauptstraße 120. Zeitweilig bezog er auch das Landhaus des Engländers Pikford, östlich vom Karlstor an der Schlierbacher Landstraße 3 gelegen. (S. 74) Hier im so genannten "Haus der verschwundenen Säulen" sei ihm "in weißem Gewand und mit bekränztem Haupt" Frau von Krüdener "im Garten erschienen" und habe ihm "im Tone einer Seherin" verkündet, er, Alexander, sei von der Vorsehung auserkoren, die christliche Weltordnung als die neue Staatsform der Zukunft zu begründen.
Eine Reihe weiterer Fürsten, Diplomaten und hochrangiger Militärs hielt sich Anfang Juni für längere oder kürzere Zeit in Heidelberg auf, darunter der russische Thronfolger Nikolaus l. und der spätere österreichische Kaiser Ferdinand l., König Friedrich von Württemberg und dessen Kronprinz Wilhelm, Kronprinz Ludwig von Bayern, der spätere König von Sachsen, Friedrich August II., die Erzherzöge Karl und Johann, Fürst Metternich, Freiherr vom Stein, der spätere Feldmarschall Radetzky und der bayerische Feldmarschall Wrede, dessen Heimatstadt Heidelberg war.
Gastgeber der illustren Persönlichkeiten in Heidelberg war der badische Großherzog Karl. Den panegyrischen Worten Friedrich Dittenbergers ist allerdings nicht anzumerken, welch traurige Rolle der Landesherr bei diesem Treffen spielte. Belastet durch die Ehe mit Stephanie Beauharnais, der Adoptivtochter Napoleons, war er der letzte der Rheinbundfürsten, der sich von Frankreich lossagte. Allein der Umstand, dass Karl nicht nur der Schwiegersohn Napoleons, sondern zugleich auch der Schwager des Zaren war, festigte seine unsichere Stellung in diesen Tagen. Wiederholt machten die Monarchen der Markgräfin Amalie, der Mutter des Großherzogs und zugleich Schwiegermutter des Zaren, in ihrem Witwensitz im Rohrbacher Schlösschen ihre Aufwartung und nutzten den abgelegenen Ort für ihre Beratungen.
Von den lebhaften außenpolitischen Verhandlungen im Umkreis der Monarchen spürte die Heidelberger Bevölkerung wenig. Ihnen bot sich vielmehr das Bild eines zum Gottesdienst eilenden österreichischen Kaisers, der überdies seinen Aufenthalt zu wiederholten Besuchen in der berühmten Gemäldesammlung der Brüder Boisseree und ihres Freundes Bertram im Palais Sickingen am Karlsplatz, heute Germanistisches Seminar, nutzte. Am 14. Juni begab sich der Kaiser zu Pferde auf den Königsstuhl, den man ihm zu Ehren kurzerhand in Kaiser- und Königsstuhl umbenannte und einen entsprechenden Gedenkstein errichtete.
Am 21. Juni, nachmittags um drei Uhr, brachte ein russischer Kurier die Nachricht von der Niederlage Napoleons in der Schlacht von Waterloo am 18. Juni 1815. In Heidelberg herrschte unbeschreiblicher Jubel. "Akademiker und Militärs, Männer und Frauen, Jünglinge und Mädchen eilten, trotz dem heftigen Regen auf die Straße, ... und die Namen des großen Wellingtons und des heldenmüthigen Blüchers tönten laut und hochgefeiert am Ufer des Neckars" (S. 138 f.)
Wenige Tage später verließen die Truppen der Alliierten die Stadt. Das Hauptquartier wurde aufgelöst. Als die Abdankung Napoleons bekannt wurde, zogen die Kaiser am 24. Juni 1815 westwärts, dem zweiten Einzug in Paris entgegen.
Pfarrer Dittenberger beschließt seinen Bericht mit zwei Gedichten, die während der Anwesenheit der hohen Monarchen in Heidelberg erschienen sind, "An den Kaiser Franz l. von Österreich in Heidelberg" und "Der Abend des 5ten Junius 1815 in Heidelberg", aus der Feder von Helmina von Chezy. Allein rund 70.000 Mann russischer Truppen hatten in diesen Wochen den Weg durch Heidelberg nach Westen genommen, Friedrich Rottmann hat in einem seiner letzten Aquarelle den "Einzug der Russen in Heidelberg 1815", dieses denkwürdige Ereignis, im Bild festgehalten.

Text: Frieder Hepp

Friedrich Dittenberger: Die Kaiser in Heidelberg
Heidelberg bei Mohr und Zimmer. 1815
Inv. Nr. SG 233
 

Literatur
Armin Kohnle u.a. (Hg.) So geht hervor ein' neue Zeit.
Die Kurpfalz im Übergang an Baden 1803.

siehe auch:  
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