Kurpfälzisches Museum Heidelberg:

Das Kunstwerk des Monats

März 2003

Zwei Schröpfköpfe - Attribute eines römischen Arztes
HD-Neuenheim, Bronze (2. Jh.n.Chr.)

Bei der Ausgrabung des römischen Gräberfeldes von Heidelberg-Neuenheim kam im Jahre 1964 ein Paar bronzener Schröpfköpfe ans Licht. Sie gehören zum Inventar einer Bestattung aus der ersten Hälfte des 2. Jahrhunderts n. Chr. Das Brandgrab hatte einen ovalen Grundriss mit Ausdehnungen von 1,20 auf 1,09 m und einer Tiefe von ca. 0,50 m. Den größten Teil der Grube füllten die Überreste der Verbrennung auf dem Scheiterhaufen aus.

Außer der Knochenasche des Verstorbenen waren dies vor allem Gefäßscherben aus Keramik und Glas sowie Kastenbeschläge und Nägel aus Eisen und Buntmetall. Besondere Beachtung verdient das durch Hitze verbogene Fragment einer bronzenen Sonde, die sowohl im medizinischen wie im kosmetischen Bereich als Universalgerät in Gebrauch war. Bevor die Grube zugeschüttet wurde, legten die Angehörigen einige unversehrte Gegenstände hinein: Während eine Münze (As), ein Teller, drei Krüge und zwei Öllampen (vgl. Kunstwerk des Monats September 2000) zu den im Bestattungsritus üblichen Beigaben zu zählen sind, handelt es sich bei den Schröpfköpfen um eine Rarität. In eines der beiden Exemplare hatte man ein kleines Öllämpchen gesteckt und anschließend das Gerätepaar mit den Wandscherben einer Ölam-phore abgedeckt. Trotz dieses Schutzes wurden die Bronzebecher während der Bodenlagerung bis zur Unkenntlichkeit verformt und fragmentiert. Erst als Restauratoren vor kurzem das gesamte Grabinventar reinigten und zusammensetzten, wurde die ursprüngliche Form der Stücke wieder erkennbar. Die typengleichen Schröpfköpfe sind Saugglocken, die aus dünnem, höchstens 0,5 mm starkem Bronzeblech getrieben sind. Über dem umgefalzten Rand der Mündung verlaufen drei horizontale Zierrillen. Vom zylindrischen Hals ist der nahezu halbkugelförmig gerundete Kopf von bis zu 10 cm Durchmesser scharf abgesetzt. Oben ist eine Aufhängung angelötet, durch die ein Ring gezogen worden ist.

Von Schröpf köpfen anderer Epochen unterscheidet sich der römische Typ durch seine ungewöhnliche Größe und die ausgeprägte "Pilzform". Die Zeitgenossen assoziierten ein anderes Gewächs und nannten das Instrument "cucurbitula", d. h. "kleiner Kürbis". Die Handhabung des Schröpfkopfes war recht einfach: Zunächst wurde die Mündung über eine Flamme gehalten oder gehängt. Zu diesem Zwecke könnte das Öllämpchen gedient haben, das in einem der beiden Heidelberger Exemplare steckte. War das Innere ausreichend erhitzt, so drückte man die Öffnung auf die zu behandelnde Körperpartie. Durch allmähliches Erkalten der Luft im Innern entstand ein Unterdruck, und der Becher saugte sich auf der Hautoberfläche fest. Nun lassen sich grundsätzlich zwei Anwendungsvarianten unterscheiden: War die Haut zuvor mit einem Skalpell angeritzt worden, ließ die Saugglocke Blut austreten, bis der Arzt den Vorgang unterbrach. Beim "trockenen" Schröpfen hingegen verzichtete man auf das Anritzen; durch das Vakuum wurde lediglich die Durchblutung angeregt und ein kleiner Bluterguss erzeugt.

Der römische Enzyklopädist Celsus beschrieb zu Beginn des ersten nachchristlichen Jahrhunderts in den "Büchern über die Heilkunde" beide Varianten und empfahl deren Anwendung bei einer Vielzahl unterschiedlicher Leiden, wie etwa bei Epilepsie, Lähmung, Kopfschmerz, Lungenentzündung, Durchfall, aber auch zum Säubern von Wunden, die durch den Biss giftiger Schlangen oder tollwütiger Hunde zugefügt wurden (De medi-cina libri II-V). Nicht zuletzt galt das Schröpfen als schonendere Alternative zum berüchtigten Ader-lass. Dies betraf insbesondere geschwächte Patienten, deren Zustand eine Öffnung der Blutgefäße nicht erlaubte. Der Aderlass wurde von Celsus als die grundsätzlich wirksamere Methode gerühmt; er kannte "kaum eine Krankheit, bei der man nicht zur Ader lässt" (De medicina liber II,10).

Sowohl die Praxis des Aderlasses wie die des blutigen und des trockenen Schröpfens gründen in der "Säftelehre". Hippokrates von Kos (460 bis etwa 380 v. Chr.) soll der Urheber dieser Theorie sein, die in der abendländischen Heilkunst lange Zeit eine unangefochtene Autorität besaß. Diese Doktrin sah den Ursprung der meisten Gebrechen in einem Missverhältnis zwischen den Körpersäften Blut, Schleim, Galle und schwarze Galle. Als probates Mittel zur Wiederherstellung des Säfte-Gleichgewichts galt das Entziehen von Blut oder "Luft" (beim trockenen Schröpfen) an bestimmten Körperpartien. Während des Mittelalters hantierten Bader mit Schröpfköpfen aus Ton, Metall und Glas, und noch bis ins 19. Jahrhundert war deren Anwendung geläufig. Von der modernen Medizin wird diese Methode überwiegend abgelehnt, in der alternativen Homöopathie hat sie jedoch bis heute Anhänger.

Bereits im antiken Griechenland wurde die Saugglocke auf Weihe- und Grabreliefs als Abzeichen des Arztberufes und der Heilkunst abgebildet - so wie heutzutage der Schlangenstab des Gottes Äskulap das Zeichen der Medizin und Pharmazie ist. Als sich am Ende des 3. Jahrhunderts v. Chr. die griechische Heilkunde in Italien etablierte, führten die Römer den Schröpfkopf nicht nur als medizinisches Gerät ein, sie übernahmen auch dessen Bedeutung als ärztliches Emblem.

Welche Funktion haben jedoch zwei Schröpfköpfe in einer Bestattung?

Berufsspezifische Geräte kommen im römischen Grabbrauch äußerst selten vor, wo sie aber auftauchen, weisen sie mehrheitlich in den medizinischen Bereich. In diesen "Arztgräbern" sind wiederum Schröpfköpfe auffallend häufig vertreten. Auch diese Sitte hat griechische Vorläufer wie etwa eine um 500 v. Chr. auf Rhodos angelegte Bestattung, die sechs Exemplare enthielt. Insbesondere in solchen Fällen, in denen ein oder mehrere Schröpfköpfe als einzige unverbrannte medizinische Geräte ins Grabinventar gelangten, dürften diese als "pars pro toto" für das ärztliche Instrumentarium stehen und damit im Sinn von Berufsinsignien zu interpretieren sein.

Text: Andreas Hensen

siehe auch: Sammlungsblatt
Bronze, 1. Hälfte 2. Jh. n. Chr.
Heidelberg-Neuenheim
H. ca. 12 cm, Inv.-Nr. 1964/81.i/t
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