Kunstwerk des Monats
Februar 2006
- Sammlungsblatt -

Drei tiergestaltige Fibeln

Abwehrzauber

Drei Gewandspangen (lateinisch: fibulae) aus einer römischen Bestattung in Heidelberg-Neuenheim verdienen aus mehr als einem Grund besondere Aufmerksamkeit. Sie befinden sich in einem ungewöhnlich guten Erhaltungszustand, vertreten seltene Typen des zeitgenössischen Spektrums und erfreuen durch ihre naiv-verspielte Eleganz. Zudem ermöglichen die Stücke Aussagen zur provinzialrömischen Kunst und Kultur und schließlich liefert der Kontext der Beigaben Anhaltspunkte zur Datierung.

Alle drei Exemplare bestehen aus gegossener Bronze, waren einst mit Email verziert und nach dem Vorbild von Tieren oder Phantasiewesen gestaltet. Der springende Delphin ist mit langem Schnabel, einer kammartigen Rückenflosse und einer abgewinkelten Schwanzflosse dargestellt. Mit feinen Kerbstrich-Gravuren ist die Oberseite dekoriert, und kreisförmige Grübchen für die Augen und ein Napf in der Schwanzspitze besaßen ursprünglich Einlagen aus Email. Sehr lebensecht ist der Frosch gestaltet. In zwei Vertiefungen im Rücken befinden sich noch Reste von orangefarbenem Email. Die dritte Fibel besitzt eine flache, rhombische Bügelplatte, an deren Ecken runde Näpfe angesetzt sind. Zwei Fortsätze an den Schmalseiten der Platten erinnern an Köpfchen mit runden Augen, einer Art Schnabel und langem Hals. Durch Gravuren wird eine feine Schuppung oder Fiederung des doppelköpfigen Wesens angedeutet. Und leuchtend rote Emaileinlagen zieren die Bügelplatte und die Rundeln.
Fibeln erfüllten in erster Linie den Zweck, Kleidungsstücke nach dem Prinzip der Sicherheitsnadel zusammenzuheften. Während der späten Bronzezeit, gegen Ende des 2. Jahrtausends v. Chr., wurden die Spangen in Nordeuropa bereits als praktische Alternative zu den einfachen, starren Metallnadeln getragen.
In den folgenden Jahrhunderten bestand die Konstruktion meist aus einer Nadel, die in einer elastischen Federspirale mit zwei oder mehr Windungen endete. In der römischen Kaiserzeit waren auch Fibeln mit anderen Verschlussvorrichtungen in Gebrauch. Dazu gehört auch das Backenscharnier, bei dem sich eine Nadel auf einer Scharnierachse bewegt. Diese wird auf der Unterseite der Fibel von zwei parallel stehenden Plättchen (Backen) gehalten. Alle drei Heidelberger Exemplare sind nach diesem Prinzip konstruiert, wobei die Achsen mit den Nadeln nicht mehr vorhanden und die Scharniere beschädigt sind.
Im Verlauf der römischen Kaiserzeit, v. a. im 2. Jahrhundert n. Chr., gewinnt neben dem technischen Zweck der Fibel deren Funktion als Schmuckelement an Bedeutung. Die Freude am auffälligen Dekor und an originellen Formen erlebt einen Aufschwung. Dies führt auch zu einer Renaissance des durch Metalloxyde gefärbten Glasflusses, der heute als Email bezeichnet wird. Zunächst dekorierte man die mit kleinen Vertiefungen versehenen Bronzegegenstände mit einfarbigen, später auch mit vielfarbigen Glasschmelzen. Bereits die Kelten perfektionierten die Technik des Emaillierens, und es gilt mittlerweile als wahrscheinlich, dass eine kontinuierliche Tradition von diesen handwerklichen Ursprüngen bis in die römische Epoche führt. Von Nachteil war, dass die Emailfüllungen leicht aus den Zellen ausfielen, sich Glas und Metall nicht dauerhaft verbinden ließen. Auch wenn sich die römerzeitlichen Produktionsstätten bislang nicht genau lokalisieren lassen, so gibt es doch Indizien dafür, dass sich kleine Werkstätten im niederrheinischen und belgischen Provinzgebiet auf Dekorationen mit Emailzier spezialisiert hatten.
Die drei ‚zoomorphen‘ (tiergestaltigen) Fibeln aus Heidelberg weisen wie zufällig ein besonderes Merkmal auf: Sie besitzen insgesamt vier Augenpaare! Abbildungen von Augen haben in der Antike eine ‚apotropäische’, d. h. unheilabwehrenden Wirkung. Andere, ganz unfigürlich gestaltete Fibeltypen, die dennoch mit einem Augenpaar verziert sind, unterstreichen diese Bedeutung: Sie sollen ihren Träger schützen.
Die Fibel ist eigentlich ein ‚unrömisches’ Tracht- element, das nicht zur stadtrömischen Bekleidung gehörte. Der Bewohner Roms verwendete die Gewandspange allenfalls, um auf der rechten Schulter seinen Mantel (sagum) zu schließen. In den ursprünglich keltischen Gegenden des Reiches waren die Fibeln dagegen bei Frauen und Männern beliebt. Drei und mehr Fibeln sind typische Bestandteile der ‚provinzialrömischen’ Frauentracht. Die Trageweise ist durch wenige Porträts auf Grabsteinen überliefert. Demnach diente ein Fibelpaar dazu, ein röhrenförmiges, ähnlich dem griechischen Peplos geschnittenes Kleid auf den Schultern zu verschließen. Eine dritte Fibel fixierte dieses Gewand im Brustbereich an einem langärmligen, fein gewobenen Untergewand.
Auch die drei Exemplare aus Heidelberg dürften in dieser Funktion verwendet worden sein. Sie stammen aus einer ovalen Grabgrube (0,80 m x 0,70 m), die im Jahre 1967 während der Ausgrabungen im Gräberfeld von Heidelberg-Neuenheim freigelegt wurde. Derzeit werden die Funde im Rahmen eines Forschungsprojektes bearbeitet (s. u. a. Kunstwerke der Monate Juli 2004 und Februar 2005). Bei dem untersuchten Grab handelt es sich um eine beigabenreiche Brandbestattung aus der ersten Hälfte des 2. Jahrhunderts. Zahlreiche Gegenstände waren auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden; und nach der Deponierung der sterblichen Überreste haben die Angehörigen auch unversehrte Dinge in die Grabgrube gestellt. Während ein Trinkbecher und eine Öllampe zu den üblichen Elementen des Bestattungsritus gehören, ist ein bronzener Löffel zu den selteneren Beigaben zu zählen. Eine Schmuckperle aus Quarzkeramik, eine beinerne Haarnadel sowie ein verbrannter Handspiegel sind sichere Hinweise auf das Geschlecht der Toten. In seiner Gesamtheit lässt das Ensemble auf eine Bewohnerin des Heidelberger Vicus schließen, die sich an den römischen Lebensstil angepasst hatte und gleichzeitig an traditionellen Trachtsitten festhielt . Es könnte sein, dass die Nadeln mit Absicht abgebrochen worden sind, um die Stücke unbrauchbar und damit für Grabräuber uninteressant zu machen.
In nur ca. 5 % der Heidelberger Gräber konnten Fibeln nachgewiesen werden. In den meisten Fällen wurden sie auf dem Scheiterhaufen mitverbrannt, wie gelegentlich erhaltene Fragmente verraten. Oft dürften die Stücke allerdings bis zur Unkenntlichkeit verschmolzen sein. Die hier vorgestellten unverbrannten Exemplare sind dagegen erst nach der Beisetzung deponiert worden. Lediglich in einem weiteren von etwa 1400 Gräbern der Nekropole konnten drei und in einem anderen Beigabenensemble sogar vier Fibeln nachgewiesen werden. Von den Gewändern der Verstorbenen ist nichts erhalten geblieben - unabhängig davon, ob die Wollstoffe verbrannt oder unversehrt beigegeben worden waren. Als nichttextile Trachtbestandteile können die Fibeln immerhin einige wenige Hinweise zur Bekleidung geben.
Im Verlauf des 2. Jahrhunderts ist in den germanischen Provinzen ein allgemeiner Rückgang der Mehrfibeltracht zu verzeichnen. Sie scheint im Zuge der fortschreitenden Romanisierung ganz aus der Mode zu kommen und von stadtrömischen Trachtgewohnheiten verdrängt zu werden.

 

Text: Andreas Hensen

Literatur:
A. Böhme, Tracht- und Bestattungssitten in den germanischen Provinzen und der Belgica. ANRW II 12,3 (1985) 423 ff.
A. Böhme-Schönberger, Kleidung und Schmuck. Schriften des Limesmuseums Aalen Nr. 50 (1997).
S. Martin-Kilcher, Römische Grabfunde als Quelle zur Trachtgeschichte im zirkumalpinen Raum. In: M. Struck (Hrsg.), Römerzeitliche Gräber als Quellen zu Religion, Bevölkerungsstruktur und Sozialgeschichte (1993) 181 ff.
A. Hensen / R. Ludwig, Straße ins Jenseits. Die römischen Gräberfelder von Heidelberg. (2005).
E. Riha, Die römischen Fibeln aus Augst und Kaiseraugst. Forschungen in Augst 3 (1979).

 
Drei tiergestaltige Fibeln,
Bronze mit Email.
Erste Hälfte des 2. Jahrhunderts n. Chr.


Bild: Museum (E. Kemmet)
 
 
siehe auch:  
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