Diese Kabinette hatten entweder ein eigenes Fußgestell oder wurden
auf Tische abgestellt. In den Sammlungen unseres Hauses besitzen
wir ein Lackkabinett aus dem Ende des 17. Jahrhunderts (im Münzkabinett
) und ein marquetiertes Kabinett aus dem zweiten Drittel des 18.
Jahrhunderts (Bibliothek des Palais Morass).
Zu Beginn des 18. Jahrhunderts verbanden sich in Deutschland die
Kommode, das Schreibpult und das Kabinett zu dem aufrecht stehenden
"Secretaire ätrois corps". Ein solches aufwendiges Möbel können
wir als Arbeit des pfälzischen Meisters Bernhard Engisch aus dem
Jahre 1738 in der Bibliothek des Palais präsentieren. Diese Form
behält das bürgerliche Schreibmöbel während des gesamten 18. Jahrhunderts
bei, wie wir es an einem Exemplar des Roentgenschü-lers Johann
Michael Rummer aus dem letzten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts sehen
können (Solitaireraum).
Im 19. Jahrhundert wandelt sich der Schreibschrank zum "Secretaire
ä abattant", dem geraden Kastenmöbel mit herunterklappbarer Schreibfläche.
In Frankreich wurde etwa gegen 1730 ein veränderter Typus des
Schreibmöbels entwickelt. Der Kabinettaufsatz wurde vom Schreibschrank
genommen und die Kommode verlor eine Schublade. Damit löste sie
sich von der Schwere des Vorgängermöbels. Die Zone der Lambris
( halbhohe Holztäfelung der Räume) wurde kaum noch überragt, die
geschnitzten oder bemalten Wandtäfelungen in ihrer Wirkung nicht
beeinträchtigt. Diese Möbelform folgte dem allgemeinen Trend zu
kleinen und zierlichen Möbeln, passend zu den neuerlich bevorzugten
"petits appartements".
Im späten Louis XV. geschah ein weiterer Schritt zur Rückentwicklung
und Division der einzelnen Möbelteile. Tisch und Pult verschmolzen
zum Pultsekretär. Nach dessen schräger Schreibklappe, die wie
der Rücken eines Esels gebogen ist, heißen die Secretaires "ä
dos d'äne". Durch besonders zierliche und geschweifte Beine wurde
ein Höchstmaß an Eleganz erreicht.
In dieser Zeit wurden die Schlösser des Kurfürsten Carl Theodor
fast ausschließlich mit französischen Möbeln ausgestattet. Französischer
Einfluss war auch in den Werkstätten der Mannheimer Hoftischler
spürbar. Dies hatte zur Folge, dass die Möbel des Hofebenisten
Jacob Kieser kaum noch von den französischen Originalen zu unterscheiden
waren.
Heidelberg war in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine
bedeutungslose Stadt. Der Hof residierte in Mannheim, ab 1779
in München, die Universität wurde kaum noch von Studenten besucht,
da die Professoren eine engstirnige, bigotte und wissenschaftsfeindliche
Haltung im strengen Sinn der Rekatholisierung des Landes eingenommen
hatten. Das Handwerk war völlig auf den bürgerlichen Abnehmerkreis
eingestellt, neuartige Ornamentik und modische Accessoires wurden
abgelehnt.
Es ist völlig undenkbar, dass in diesem Umfeld ein solch hochmodernes
Möbel Pariser Form entstehen konnte. Der Auftraggeber war der
einflussreiche Graf Oberndorff, Statthalter des Kurfürsten und
als solcher dem Mannheimer Kulturkreis verpflichtet.
Der Hersteller des Möbels verfügte jedoch nicht über eine direkte
Anschauung, sondern ausschließlich über Kupferstichvorlagen eines
französischen Vorbildes. So kommt es, dass das Oberteil zu massig
für die zierlichen Beine geriet und die Schweifungen und Bauchungen
zu stark aus der heimischen Tradition entwickelt wurden.
Was die Marqueterie (Einlegearbeit) betrifft, so werden hier verschiedene
Vorlagen wirksam. Am altertümlichsten ist die Arbeit auf den Schultern
und der Deckplatte des Pultes. Hier werden die seit der Zeit der
Regence (1715-1723) beliebten C- und S-Linien zu Rahmungen verbunden,
deren Mittelfeld das beliebte Gittermotiv ausfüllt. Die beiden
gebauchten und geschweiften Seiten übernehmen das Pfauenfedermotiv,
das von Johann August Nahl stammt und am vorzüglichsten bei der
in Schloss Wilhelmsthal bei Kassel um 1750/60 ausgeführten Kommode
ausgebildet ist. Die Kenntnis Nahl'scher Entwürfe könnte über
die Zweibrücker Schwester der Kurfürstin in die Pfalz gelangt
sein, da diese Nebenlinie ein Palais in Straßburg besaß und Nahl
im benachbarten Palais Rohan bedeutende Werke hinterlassen hat.
Die fortschrittlichsten Dekorationsformen finden wir auf der Schreibklappe
und dem rückseitigen Marqueteriefeld. Die perspektivisch wirkenden
Würfel und das Fischgrätmuster sind hochmodische Neuheiten aus
den Pariser Ateliers der führenden Ebenisten. Dort werden sie
allerdings ausschließlich für die geradlinien Möbel im reinen
Louis XVI.-Stil angewendet.
Zusammmenfassend lässt sich sagen, dass es sich bei unserem Möbel
um einen französisch inspirierten deutschen Sekretär im Übergangsstil
vom Louis XV. zum Louis XVI. handelt, der auf Grund seiner ambivalenten
Haltung Transition (lat:transire= hinübergehen) genannt wird.
Carl Ludwig Fuchs
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