Hinter dem
irreführenden Notnamen .Meister von Frankfurt' verbirgt sich ein
bis heute nicht eindeutig fassbarer Künstler, der, 1460 geboren,
möglicherweise im südlichen Brabant nahe Brüssel ausgebildet wurde
und an der Wende des 15./16. Jahrhunderts in Antwerpen arbeitete,
wo er bis mindestens 1518 nachweisbar ist. Hier stand er der ältesten
und größten Malwerkstatt vor, die durch Vereinheitlichung z.B.
von Stoffmustern und durch Effizienz in Komposition und Stil auf
Massenproduktion ausgerichtet war. Benannt ist er nach seinen
zwischen 1500 -1506 datierten Hauptwerken, dem Annenaltar der
Frankfurter Dominikanerkirche (Historisches Museum) und dem Kreuzigungsretabel
des Stifters Claus Humbracht aus der Frankfurter Barfüßerkirche
(Städelsches Kunstinstitut). Seine stilistisch eher konservativen
Werke zeigen Nähe zu Robert Campin, dem Meister von Flemalle und
Rogier van der Weyden und sind stark von Hugo van der Goes beeinflusst,
bei dem er möglicherweise in die Lehre ging.
In seinem überkommenen Werk ist das Anna selbdritt-Thema ein zentrales
Motiv. Von den mehr als acht um 1509 entstandenen Varianten kommt
die Heidelberger Fassung der Mitteltafel des Triptychons im Suermondt-Ludwig-Museum
in Aachen am nächsten.
Im Gemälde mit seiner bezeichnenden Mischung aus Realismus und
spätmittelalterlichem Bedeutungsrepertoire sitzen die Hl. Anna
und die Hl. Maria gleichgeordnet auf einer Bank und widmen sich
dem zwischen ihnen platzier-ten göttlichen Kind: Die Großmutter
umfängt es beschützend mit der Rechten und bietet ihm mit der
Linken ein Blumenkörbchen dar. Bekleidet ist sie mit einem pelzverbrämten
Gewand aus Brokatstoff, Gesicht und Kopf werden von einer weißen
Haube eingefasst. Ihr roter Mantel breitet sich in kunstvollen
Falten vordem Betrachter aus. Ihre Tochter trägt dagegen das lange
goldene Haar offen und nur mit einem leichten Schleiertuch bedeckt,
das schlichte dunkle Kleid ist durch eine schmale Goldborte am
Dekollete geschmückt, Ränder und Saum des traditionell blauen
Mantels sind mit Goldfäden bestickt. Auf ihrem Schoß liegt offen
ein illuminiertes Gebetbuch. Das Kind steht nackt in der Haltung
des Christus von Michelangelos sog. Brügger Madonna (Onze-Lieve-Vrouwekerk)
zwischen beiden Frauen und hält in seinen Händen den ihm durch
seine Mutter gereichten Apfel. Der Gartenausschnitt ist zum Hintergrund
in eine mit aufwendigen Stadtarchitekturen geschmückte Überschau-
oder Weltenlandschaft ausgeweitet. Nahe an den Betrachter gerückt
steht im Vordergrund ein hölzerner Wangentisch, auf dem eine Schale
mit Früchten, ein daran angelehntes Messer und einzelne rote Früchte
liegen. Ganz im Sinne spätmittelalterlicher Tradition erblüht
am vorderen Bildrand des Gartens ein Teppich aus Blumen und Pflanzen.
Die Familienszene wird am Himmel überhöht und in einen trini-tarischen
Zusammenhang gestellt: Über dem menschgewordenen Gottessohn erscheinen
in einer Aureole die Taube des Hl. Geistes und Gottvater, der
hinter aufgerissenen Wolken segnend in dem mittels Goldfolie als
ort- und zeitlos charakterisierten Himmelsraum thront.
Durch die von den Kanzeln verbreitete Bibelexegese waren solche
verweis- und symbolträchtigen Altardarstellungen für den zeitgenössischen
Betrachter deutbar. So war der Mariengarten als ,Hortus conclusus'
(Hohelied Salomon) gängiges Symbol für die keusche Schwangerschaft
Mariens, für ihre Jungfräulichkeit steht auch das offen getragene
Haar. Die Tugenden der Demut und Reinheit sind im blauen Mantel
versinnbildlicht, die detailgenaue Wiedergabe ihres Stundenbuches
verweist auf Frömmigkeit und Weisheit. Mit dem Apfel, den sie
ihrem göttlichen Sohn reicht, spielt sie auf den ersten Sündenfall
an und gibt sich als neue Eva zu erkennen, während Christus die
Rolle des neuen Adam zugewiesen wird und so die Überwindung der
Erbschuld augenfällig macht. Die Schrittstellung des Kindes ist
mit der Passion in Verbindung zu bringen, auf die sich der kindliche
Erlöser zu bewegt, dessen Hals deshalb ein Rosenkranz mit Kreuz
schmückt. Seine Nacktheit ist Hinweis auf den Tod und die spätere
Kreuzabnahme. Auch die gesamte Figurenkomposition des Bildes in
einer Kreuzform weisen auf sein bevorstehendes Martyrium voraus.
Gottvater deutet mit der Weltkugel und der unter ihm ausgebreiteten
Weltenlandschaft auf den allumfassenden Heilsanspruch des Christentums.
Zu Beginn der frühen Neuzeit entwickelten sich aus der religiösen
Malerei vielfältige profane Bildthemen, zu denen auch das Stillleben
rechnet. Bezogen auf die Realien der Tafel des Frankfurter Meisters
differenzierten sich z.B. Bücher-, Blumen- und Früchtestilleben
aus: Auf dem Tisch verweisen die mit Weintrauben gefüllte Schale
und das daran gelehnte Messer wie die blutroten Früchte Kirsche
und Apfel wiederum auf die Passion Christi. Auch der anspielungsreiche
Pflanzenteppich zu Füßen der heiligen Gestalten enthält Metaphern,
die auf das Gesamtsujet bezogen werden konnten. Formal stilisiert
kann man in der Heidelberger Werkstattfassung Veilchen, Breitwegerich,
Erdbeere und Akelei ausmachen.
Allein durch ihren speziellen Pflanzenwuchs konnte beispielsweise
die Erdbeere den frommen Leser im ,Liber naturae', dem Buch der
Natur d.h. der Schöpfung, in der sich nach christlichem Verständnis
Gott dem Menschen auf vielfältige Weise offenbart, auf die Heilsgeschichte
verweisen: So war ihr Wuchs nahe am Erdboden als Bild für die
christliche Tugend der Demut lesbar, ihr dreigeteiltes Blatt stand
für die Hl. Dreifaltigkeit, ihre weiße Blüte für die Unschuld
Mariens, ihre rote Frucht gemahnte an die Passion Christi.
Annette Frese
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