Kunstwerk des Monats
Februar 2005
- Sammlungsblatt -

Römische 'panna' mit erotischen Szenen

Fragmente einer Schüssel aus feiner Glanztonkeramik zeigen Szenen eines erotisch-ausgelassenen Treibens. Paradox mag erscheinen, dass dieses Gefäß zuletzt als Totengabe auf einem Scheiterhaufen Platz fand. Der Fund gehört zu den Beigaben eines Grabes in der römischen Nekropole beim Kastell von Heidelberg-Neuenheim. Dort wurden zwischen 80 und 190 n. Chr. sowohl die Soldaten als auch die Bewohner der zugehörigen Zivilsiedlung (vicus) bestattet. Etwa 1400 Bestattungen des Friedhofs im 'Neuenheimer Feld' konnte der Archäologe Berndmark Heukemes vor knapp 40 Jahre bergen.

Die wissenschaftliche Auswertung dieser Ausgrabungen erfolgt derzeit im Rahmen eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projektes (vgl. u. a. Kunstwerk Juli 2004). So wurde unlängst in der Archäologischen Abteilung des Museums der Karton mit der Inventarnummer 66/283' geöffnet. Der Restaurator, Herr Karl Fricke-Pälzer, reinigte die Fragmente und setzte die anpassenden Stücke zusammen.
Die zu etwa drei viertel erhaltene Bilderschüssel besteht aus "Terra Sigillata" ('gestempelter Ton'). Mit diesem Begriff aus der modernen Forschung wird eine hart gebrannte Keramik mit rotbraun glänzendem Überzug bezeichnet, der vorwiegend bei der Herstellung von qualitätvollem römischem Tafelgeschirr verwendet wurde.
Das Gefäß war mit Hilfe einer Formschüssel hergestellt worden, deren Innenseite mit eingedrückten Bildpunzen verziert worden war und wie bei einem Backmodel den Dekor im Negativ zeigt. Dessen etwas unscharfe Konturen dokumentieren bereits eine gewisse Abnutzung der Formschüssel. In diese wurde auf der rotierenden Töpferscheibe aus weichem Ton die Bilderschüssel gedreht, die nun den Dekor erhaben auf der Außenseite der Wandung wiedergab. Darüber war eine glatte Randzone mit Rundstablippe hochgezogen. Sobald die Schüssel leicht getrocknet und geschrumpft war, konnte sie aus der Form genommen und der Standring angesetzt werden. Nach der Lufttrocknung tauchte man das Gefäß in eine Engobe aus Wasser und feinem Ton. Bei mindestens 900° wurde die Schüssel in einem Spezialofen oxydierend gebrannt und erhielt dabei ihren besonderen metallischen Glanz.
Der umlaufende Dekor wird oben durch den girlandenartigen 'Eierstab' begrenzt, der von einem Perlstab begleitet wird. Die Bildzone setzt sich aus fünf verschiedenen, sich wiederholenden Motiven zusammen. Dabei handelt es sich u. a. um zwei erotische Szenen: In der einen sitzt eine unbekleidete Frau auf einem quaderförmigen Pfeiler. Zwischen ihren Beinen steht der mit einem knielangen Mantel bekleidete Liebhaber. Die Lippen nähern sich zum KUSS, sie umschlingt seinen Hals, während er ihre gespreizten Oberschenkel anhebt. In der anderen Liebesszene präsentiert sich ein zweites Paar. Diesmal ist der Mann nackt; er hat die Rechte in die Hüfte gestemmt. Von hinten nähert er sich der gebückten, leicht bekleideten Partnerin. Davor befindet sich ein Motiv aus zwei übereinander angeordneten dreiblättrigen Zierelementen. Es folgt eine nach rechts schreitende weibliche Figur, die unter einem leichten Mantel ein langes Gewand trägt. Der Gestus der erhobenen und angewinkelten Rechten lässt an eine Flötenspielerin denken. Mit großen Schritten und erhobenen Armen geht ihr eine kleine Person in kurzem, in die Hüfte gegürtetem Gewand voran.
Den Schlüssel zur Deutung der durch wenige Motive charakterisierten Szenerie liefern Vorbilder aus der Zeit der 'großgriechischen' Kolonisation in Unteritalien und Sizilien. Im ausgehenden 5. und 4. Jahrhundert v. Chr. hatte sich dort eine Produktion hochwertiger Keramik mit einer stilistisch eigenständigen Vasenmalerei etabliert. Anknüpfend an klassisch-griechische Bildthemen gibt sie u. a. abendliche Gelage von Männergesellschaften (griech. symposia) wieder. Dabei geben Mundschenke Wein aus, während musizierende 'Gespielinnen' (Hetären) für Unterhaltung sorgen und sich oft zu den Zechern auf die Speiseliegen gesellen.
Unsere Bilderschüssel steht ganz in dieser Tradition: Sie zeigt ein ausschweifendes Symposion (lat. convivium), bei dem sich männliche Gäste mit bestellten Damen vergnügen. Eine mit langem Unter- und kurzem Obergewand (chiton und himation) bekleidete Hetäre spielt die Doppelflöte (auloi), und die sechste Gestalt stellt einen Sklaven dar, der in der sog. 'Bedeutungsperspektive' verkleinert wiedergegeben ist. Das Gefäß ist ein Produkt aus der Töpferei von Blickweiler (Kr. St. Ingbert) im Saarland. Der Betrieb im Osten der Provinz Gallia Belgica war um 110 n. Chr. als Filiale mittelgallischer Töpfereien gegründet worden. Von dort konnten neue Märkte in der noch jungen Provinz Germania Su-perior- wie etwa der Kastellstandort Heidelberg - über kürzere Transportwege beliefert werden. Der Töpfer der hier vorgestellten Schüssel ist namentlich nicht bekannt, seine Tätigkeit lässt sich jedoch mit Hilfe seines Punzenrepertoires stilistisch definieren und zwischen 130 und 160 n. Chr. datieren.
Der halbkugelförmige Gefäßtyp war bereits während des ersten nachchristlichen Jahrhunderts in südgallischen Manufakturen entwickelt worden und verharrte lange im Formenrepertoire der Töpfer. In der sog. panna wurden bei der abendlichen Hauptmahlzeit (cena) feste Speisen aufgetragen. Der Preis der Schüssel betrug damals etwa 20 Asse; das war etwas mehr als der Tagessold eines Legionssoldaten. Neben ornamentalen Kompositionen, mythologischen Themen sowie Jagd- und Zirkusszenen gehörten auch derb-erotische Sujets zum Bildprogramm der Formschüsseldekorateure. Die pikanten Miniaturen ähneln den freizügigen Darstellungen auf den Fresken in Privatgemächern und Bordellen der Vesuvstädte - die allerdings den Blicken der Öffentlichkeit entzogen waren.
Das vorgestellte Objekt stammt aus einem Grab im dicht belegten Südabschnitt des Friedhofs. Außer den eingeäscherten Knochenresten enthielt die Bestattung die Scherben verbrannter Geschirrkeramik, verschmolzene Reste einer Glasflasche und Nägel von der Totenbahre und den Lederschuhen. Hinzu kommt ein kleines Ensemble unverbrannter Beigaben. Es umfasst zwei Krüge, einen Teller, ein tönernes Öllämp-chen sowie einen zwischen 141 und 161 n. Chr. geprägten Kupferas. Diese Münze bietet gemeinsam mit anderen Beigaben Anhaltspunkte für eine Datierung des Grabes zwischen 150 und 180 n. Chr..
Reliefschüsseln sind in etwa einem Drittel der Heidelberger Gräber vertreten. Fast immer waren sie mit Näpfen und Tellern aus unverzierter Terra Sigillata auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden. Mit der Verwendung des gehobenen Tafelgeschirrs wurde italischer Lebensstil dokumentiert. Andererseits wurzelt die Sitte, Scheiterhaufen mit Geschirrsätzen auszustatten, in älteren, vorrömischen Bräuchen, denen aus Sicht des Stadtrömers etwas Provinzielles anhaftete.
Die Bilderschüsseln liefern nicht nur Informationen zu Aspekten der Kulturgeschichte und des Grabbrauchs. Neben den Münzen gehören sie zu den präzisesten Datierungsmitteln und geben Aufschluss über Wirtschaft und Handel im Heidelberger vicus.

Text: Andreas Hensen

Literatur
R. Knorr/F. Sprater, Die westpfälzischen Sigillata-Töpfereien von Blickweiler und Eschweiler Hof (Speyer 1927). H. Bernhard, Terra Sigillata und Keramikhandel. In: L. Wamser (Hrsg.), Die Römer zwischen Alpen und Nordmeer. Katalog zur Landesausstellung in Rosenheim (Mainz 2000) 139-141.
A. Dierichs, Erotik in der Römischen Kunst (Mainz 1997).
A. Hensen, Die Medica von Heidelberg. Abenteuer Archäologie 4/2004, 76-79.
 
Reliefschüssel aus Terra Sigillata (Glanztonkeramik, verbrannte Fragmente) H. 8 cm. Dm. 17 cm.
Mitte des 2. Jh. n. Chr.
Römisches Gräberfeld Heidelberg-Neuenheim.
Bild: Museum (E. Kemmet)
 
 
siehe auch:  
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