Die wissenschaftliche
Auswertung dieser Ausgrabungen erfolgt derzeit im Rahmen eines
von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projektes
(vgl. u. a. Kunstwerk Juli 2004). So wurde unlängst in der Archäologischen
Abteilung des Museums der Karton mit der Inventarnummer 66/283'
geöffnet. Der Restaurator, Herr Karl Fricke-Pälzer, reinigte die
Fragmente und setzte die anpassenden Stücke zusammen.
Die zu etwa drei viertel erhaltene Bilderschüssel besteht aus
"Terra Sigillata" ('gestempelter Ton'). Mit diesem Begriff aus
der modernen Forschung wird eine hart gebrannte Keramik mit rotbraun
glänzendem Überzug bezeichnet, der vorwiegend bei der Herstellung
von qualitätvollem römischem Tafelgeschirr verwendet wurde.
Das Gefäß war mit Hilfe einer Formschüssel hergestellt worden,
deren Innenseite mit eingedrückten Bildpunzen verziert worden
war und wie bei einem Backmodel den Dekor im Negativ zeigt. Dessen
etwas unscharfe Konturen dokumentieren bereits eine gewisse Abnutzung
der Formschüssel. In diese wurde auf der rotierenden Töpferscheibe
aus weichem Ton die Bilderschüssel gedreht, die nun den Dekor
erhaben auf der Außenseite der Wandung wiedergab. Darüber war
eine glatte Randzone mit Rundstablippe hochgezogen. Sobald die
Schüssel leicht getrocknet und geschrumpft war, konnte sie aus
der Form genommen und der Standring angesetzt werden. Nach der
Lufttrocknung tauchte man das Gefäß in eine Engobe aus Wasser
und feinem Ton. Bei mindestens 900° wurde die Schüssel in einem
Spezialofen oxydierend gebrannt und erhielt dabei ihren besonderen
metallischen Glanz.
Der umlaufende Dekor wird oben durch den girlandenartigen 'Eierstab'
begrenzt, der von einem Perlstab begleitet wird. Die Bildzone
setzt sich aus fünf verschiedenen, sich wiederholenden Motiven
zusammen. Dabei handelt es sich u. a. um zwei erotische Szenen:
In der einen sitzt eine unbekleidete Frau auf einem quaderförmigen
Pfeiler. Zwischen ihren Beinen steht der mit einem knielangen
Mantel bekleidete Liebhaber. Die Lippen nähern sich zum KUSS,
sie umschlingt seinen Hals, während er ihre gespreizten Oberschenkel
anhebt. In der anderen Liebesszene präsentiert sich ein zweites
Paar. Diesmal ist der Mann nackt; er hat die Rechte in die Hüfte
gestemmt. Von hinten nähert er sich der gebückten, leicht bekleideten
Partnerin. Davor befindet sich ein Motiv aus zwei übereinander
angeordneten dreiblättrigen Zierelementen. Es folgt eine nach
rechts schreitende weibliche Figur, die unter einem leichten Mantel
ein langes Gewand trägt. Der Gestus der erhobenen und angewinkelten
Rechten lässt an eine Flötenspielerin denken. Mit großen Schritten
und erhobenen Armen geht ihr eine kleine Person in kurzem, in
die Hüfte gegürtetem Gewand voran.
Den Schlüssel zur Deutung der durch wenige Motive charakterisierten
Szenerie liefern Vorbilder aus der Zeit der 'großgriechischen'
Kolonisation in Unteritalien und Sizilien. Im ausgehenden 5. und
4. Jahrhundert v. Chr. hatte sich dort eine Produktion hochwertiger
Keramik mit einer stilistisch eigenständigen Vasenmalerei etabliert.
Anknüpfend an klassisch-griechische Bildthemen gibt sie u. a.
abendliche Gelage von Männergesellschaften (griech. symposia)
wieder. Dabei geben Mundschenke Wein aus, während musizierende
'Gespielinnen' (Hetären) für Unterhaltung sorgen und sich oft
zu den Zechern auf die Speiseliegen gesellen.
Unsere Bilderschüssel steht ganz in dieser Tradition: Sie zeigt
ein ausschweifendes Symposion (lat. convivium), bei dem sich männliche
Gäste mit bestellten Damen vergnügen. Eine mit langem Unter- und
kurzem Obergewand (chiton und himation) bekleidete Hetäre spielt
die Doppelflöte (auloi), und die sechste Gestalt stellt einen
Sklaven dar, der in der sog. 'Bedeutungsperspektive' verkleinert
wiedergegeben ist. Das Gefäß ist ein Produkt aus der Töpferei
von Blickweiler (Kr. St. Ingbert) im Saarland. Der Betrieb im
Osten der Provinz Gallia Belgica war um 110 n. Chr. als Filiale
mittelgallischer Töpfereien gegründet worden. Von dort konnten
neue Märkte in der noch jungen Provinz Germania Su-perior- wie
etwa der Kastellstandort Heidelberg - über kürzere Transportwege
beliefert werden. Der Töpfer der hier vorgestellten Schüssel ist
namentlich nicht bekannt, seine Tätigkeit lässt sich jedoch mit
Hilfe seines Punzenrepertoires stilistisch definieren und zwischen
130 und 160 n. Chr. datieren.
Der halbkugelförmige Gefäßtyp war bereits während des ersten nachchristlichen
Jahrhunderts in südgallischen Manufakturen entwickelt worden und
verharrte lange im Formenrepertoire der Töpfer. In der sog. panna
wurden bei der abendlichen Hauptmahlzeit (cena) feste Speisen
aufgetragen. Der Preis der Schüssel betrug damals etwa 20 Asse;
das war etwas mehr als der Tagessold eines Legionssoldaten. Neben
ornamentalen Kompositionen, mythologischen Themen sowie Jagd-
und Zirkusszenen gehörten auch derb-erotische Sujets zum Bildprogramm
der Formschüsseldekorateure. Die pikanten Miniaturen ähneln den
freizügigen Darstellungen auf den Fresken in Privatgemächern und
Bordellen der Vesuvstädte - die allerdings den Blicken der Öffentlichkeit
entzogen waren.
Das vorgestellte Objekt stammt aus einem Grab im dicht belegten
Südabschnitt des Friedhofs. Außer den eingeäscherten Knochenresten
enthielt die Bestattung die Scherben verbrannter Geschirrkeramik,
verschmolzene Reste einer Glasflasche und Nägel von der Totenbahre
und den Lederschuhen. Hinzu kommt ein kleines Ensemble unverbrannter
Beigaben. Es umfasst zwei Krüge, einen Teller, ein tönernes Öllämp-chen
sowie einen zwischen 141 und 161 n. Chr. geprägten Kupferas. Diese
Münze bietet gemeinsam mit anderen Beigaben Anhaltspunkte für
eine Datierung des Grabes zwischen 150 und 180 n. Chr..
Reliefschüsseln sind in etwa einem Drittel der Heidelberger Gräber
vertreten. Fast immer waren sie mit Näpfen und Tellern aus unverzierter
Terra Sigillata auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden. Mit der
Verwendung des gehobenen Tafelgeschirrs wurde italischer Lebensstil
dokumentiert. Andererseits wurzelt die Sitte, Scheiterhaufen mit
Geschirrsätzen auszustatten, in älteren, vorrömischen Bräuchen,
denen aus Sicht des Stadtrömers etwas Provinzielles anhaftete.
Die Bilderschüsseln liefern nicht nur Informationen zu Aspekten
der Kulturgeschichte und des Grabbrauchs. Neben den Münzen gehören
sie zu den präzisesten Datierungsmitteln und geben Aufschluss
über Wirtschaft und Handel im Heidelberger vicus.
Text:
Andreas Hensen
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