Kunstwerk des Monats
April 2005
- Sammlungsblatt -

Umschlagtuch ("hinggi") Sumba, Indonesien

Die Textilsammlung Max Berk o Kurpfälzisches Museum verfügt über einen kleinen Bestand indonesischer Textilien, zu dem das vorliegende hinggi gehört. Es stammt von Sumba, einer der kleinen Sunda-lnseln östlich von Java. Indonesien ist im Textilbereich vor allem für seine Reserve-Färbetechniken bekannt, die zur Herstellung von zeremoniellen Tüchern und Kleidungsstücken angewandt werden. Sehr geläufig ist in unseren Breitengraden die Batiktechnik, deren qualitätvollste Produkte auf Java zu finden sind: Durch Auftragen von Wachs auf Vorder- und Rückseite eines Baumwollstoffes werden diejenigen Stellen reserviert, an denen beim anschließenden Färbebad keine Farbe in den Stoff eindringen soll.

Werden bei Stoffdrucken die eigentlichen Muster aufgedruckt, verhält es sich hier genau umgekehrt: Die zu erzielenden Muster werden ausgespart. Eine ebenso komplizierte und arbeitsintensive Reserve-Färbetechnik stellt die weniger bekannte Ikat-Technik dar, die vor allem auf Bau und Sumba zu höchster Blüte gelangte und dort ausschließlich von adeligen Frauen hergestellt wurde. Hierbei wird die Musterung nicht auf dem fertigen Stoff, sondern an dem handgesponnenen, zu verwebenden Baumwollgarn vorgenommen, indem entsprechend dem geplanten Muster Garnstränge mit Bast abgebunden werden, beispielsweise die Kettfäden. Beim anschließenden Färben bleiben diese umwickelten, reservierten Partien ungefärbt. Die Stränge werden getrocknet und unter Umständen noch mehrmals umwickelt und gefärbt, je nach Anzahl der Farben, wobei allein diese Färbevorgänge schon mehrere Wochen in Anspruch nehmen können. Im Anschluss werden dann die Kettfäden auf dem Webrahmen aufgespannt, und der Stoff bzw. das Tuch wird gewebt. Auch dieser Vorgang kann einige Wochen dauern. Ikats sind sehr gut an dem verschwommenen Eindruck zu erkennen, der durch die nicht ganz hermetische Umwicklung entsteht. Man unterscheidet zwischen Kettikat, Eintrag- oder Schussikat und Doppelikat. Bei den sehr seltenen Doppelikats, die in Indonesien nur in dem Dorf Tenganan Pageringsingan auf Bali hergestellt werden, müssen die reservierten Partien sowohl der Schuss- als auch der Kettfäden beim anschließenden Weben exakt zusammentreffen, weshalb deren Herstellung noch komplizierter und aufwändiger ist als .einfache' Kett- oder Schussikats.
Eine Besonderheit stellen die Schulter- und Hüfttücher, die sogenannten hinggi, dar, die von ranghohen Männern auf Sumba getragen werden. Sie bestehen immer aus zwei längs zusammengenähten Bahnen mit magischen Motiven. Die charakteristische Farbgebung Naturweiß, Rostrot und Violettschwarz wird durch die Naturfarben bestimmt, die aus Wurzel und Rinde des Morinda-Baumes und der Indigopflanze gewonnen werden. Qualitativ besonders hochrangige Stücke wie das vorliegende weisen auch partiell durch Kurkuma hervorgerufene gelbe Stellen auf. Klassische hinggis gliedern sich in sieben unterschiedlich breite Querstreifen, wobei die Gesamtkomposition in der Mitte gespiegelt ist und jeweils drei Querbahnen das breite Mittelteil flankieren. Der erste und dritte, relativ schmale Streifen (talaba) ist meist gleichgemustert und weist häufig paarweise sich gegenüberstehende Tiere auf morindarotem Grund auf, im vorliegenden Fall Papageienpaare. Ein prominentes Motiv wie hier die Hirschpaare oder Schädelbäume und anthropomorphe Figuren ziert den dunkelgrundigen, dazwischen befindlichen Streifen (hai oder tau). Den Motiven der auf der Schulter getragenen Mittelbahn (kundu duku) kommt die größte Bedeutung zu, denn sie verweisen auf den sozialen Rang des Trägers. Im vorliegenden Fall handelt es sich um das sogenannte habaku-Motiv. All diese verwendeten Motive werden seit Generationen vererbt, aber auch neue Muster finden Einlass, die dann meist Prestigecharakter besitzen. Die traditionellen Motive stammen zu einem geringeren Teil aus der einheimischen Flora und Fauna, der weitaus größere Teil verweist jedoch auf Riten, Geister- und Ahnenkult, wie der bereits erwähnte Schädelbaum: Bei der früher üblichen Kopfjagd wurden die Köpfe der getöteten Feinde auf Bäumen aufgespießt und zur Schau getragen. Eine besonders wichtige Rolle kommt den hinggis beim Totenritual zu, bei dem der Verstorbene mit all seinen Tüchern begraben wird. Je nach Status können dies bis zu 50 Tücher sein, die den Geistern den gesellschaftlichen Status des Verstorbenen anzeigen und ihm damit den Weg ins Jenseits ebnen sollen.
Qualitativ hochrangige Ikats wie das vorliegende hinggi aus Sumba oder ein ebenfalls in der Textilsammlung befindliches kain geringsing (Doppelikat) aus Tenganan Pageringsingan sind heutzutage kaum noch zu finden, denn synthetische Fasern, chemische Fasern und preiswertere Herstellungsverfahren bestimmen den touristisch orientierten Markt, so dass das Fortbestehen der Tradition der in Ikattechnik reservierten Textilien stark gefährdet ist.

Kristine Scherer

Literatur
Billeter, Erika: Außereuropäische Textilien. Sammlungskatalog 2 des Kunstgewerbemuseums der Stadt Zürich, Zürich o.J.
Khan Majlis, Brigitte: Indonesische Textilien. Wege zu Göttern und Ahnen, Köln 1984
Seiler-Baldinger, Annemarie: Systematik der textilen Techniken. Basler Beiträge zur Ethnologie, Bd. 32, Basel 1991
Völger, Gisela/Karin v. Welck (Hrsg.): Indonesian Textiles. Symposium 1985, Köln 1991
www.threadsoflife.com/sumba.html

 
Umschlagtuch ("hinggi")
Sumba, Indonesien
Frühes 20. Jahrhundert
Bild: Museum (Scherer)
 
 
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