Werden bei
Stoffdrucken die eigentlichen Muster aufgedruckt, verhält es sich
hier genau umgekehrt: Die zu erzielenden Muster werden ausgespart.
Eine ebenso komplizierte und arbeitsintensive Reserve-Färbetechnik
stellt die weniger bekannte Ikat-Technik dar, die vor allem auf
Bau und Sumba zu höchster Blüte gelangte und dort ausschließlich
von adeligen Frauen hergestellt wurde. Hierbei wird die Musterung
nicht auf dem fertigen Stoff, sondern an dem handgesponnenen,
zu verwebenden Baumwollgarn vorgenommen, indem entsprechend dem
geplanten Muster Garnstränge mit Bast abgebunden werden, beispielsweise
die Kettfäden. Beim anschließenden Färben bleiben diese umwickelten,
reservierten Partien ungefärbt. Die Stränge werden getrocknet
und unter Umständen noch mehrmals umwickelt und gefärbt, je nach
Anzahl der Farben, wobei allein diese Färbevorgänge schon mehrere
Wochen in Anspruch nehmen können. Im Anschluss werden dann die
Kettfäden auf dem Webrahmen aufgespannt, und der Stoff bzw. das
Tuch wird gewebt. Auch dieser Vorgang kann einige Wochen dauern.
Ikats sind sehr gut an dem verschwommenen Eindruck zu erkennen,
der durch die nicht ganz hermetische Umwicklung entsteht. Man
unterscheidet zwischen Kettikat, Eintrag- oder Schussikat und
Doppelikat. Bei den sehr seltenen Doppelikats, die in Indonesien
nur in dem Dorf Tenganan Pageringsingan auf Bali hergestellt werden,
müssen die reservierten Partien sowohl der Schuss- als auch der
Kettfäden beim anschließenden Weben exakt zusammentreffen, weshalb
deren Herstellung noch komplizierter und aufwändiger ist als .einfache'
Kett- oder Schussikats.
Eine Besonderheit stellen die Schulter- und Hüfttücher, die sogenannten
hinggi, dar, die von ranghohen Männern auf Sumba getragen werden.
Sie bestehen immer aus zwei längs zusammengenähten Bahnen mit
magischen Motiven. Die charakteristische Farbgebung Naturweiß,
Rostrot und Violettschwarz wird durch die Naturfarben bestimmt,
die aus Wurzel und Rinde des Morinda-Baumes und der Indigopflanze
gewonnen werden. Qualitativ besonders hochrangige Stücke wie das
vorliegende weisen auch partiell durch Kurkuma hervorgerufene
gelbe Stellen auf. Klassische hinggis gliedern sich in sieben
unterschiedlich breite Querstreifen, wobei die Gesamtkomposition
in der Mitte gespiegelt ist und jeweils drei Querbahnen das breite
Mittelteil flankieren. Der erste und dritte, relativ schmale Streifen
(talaba) ist meist gleichgemustert und weist häufig paarweise
sich gegenüberstehende Tiere auf morindarotem Grund auf, im vorliegenden
Fall Papageienpaare. Ein prominentes Motiv wie hier die Hirschpaare
oder Schädelbäume und anthropomorphe Figuren ziert den dunkelgrundigen,
dazwischen befindlichen Streifen (hai oder tau). Den Motiven der
auf der Schulter getragenen Mittelbahn (kundu duku) kommt die
größte Bedeutung zu, denn sie verweisen auf den sozialen Rang
des Trägers. Im vorliegenden Fall handelt es sich um das sogenannte
habaku-Motiv. All diese verwendeten Motive werden seit Generationen
vererbt, aber auch neue Muster finden Einlass, die dann meist
Prestigecharakter besitzen. Die traditionellen Motive stammen
zu einem geringeren Teil aus der einheimischen Flora und Fauna,
der weitaus größere Teil verweist jedoch auf Riten, Geister- und
Ahnenkult, wie der bereits erwähnte Schädelbaum: Bei der früher
üblichen Kopfjagd wurden die Köpfe der getöteten Feinde auf Bäumen
aufgespießt und zur Schau getragen. Eine besonders wichtige Rolle
kommt den hinggis beim Totenritual zu, bei dem der Verstorbene
mit all seinen Tüchern begraben wird. Je nach Status können dies
bis zu 50 Tücher sein, die den Geistern den gesellschaftlichen
Status des Verstorbenen anzeigen und ihm damit den Weg ins Jenseits
ebnen sollen.
Qualitativ hochrangige Ikats wie das vorliegende hinggi aus Sumba
oder ein ebenfalls in der Textilsammlung befindliches kain geringsing
(Doppelikat) aus Tenganan Pageringsingan sind heutzutage kaum
noch zu finden, denn synthetische Fasern, chemische Fasern und
preiswertere Herstellungsverfahren bestimmen den touristisch orientierten
Markt, so dass das Fortbestehen der Tradition der in Ikattechnik
reservierten Textilien stark gefährdet ist.
Kristine
Scherer
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