Tabula
rasa oder kontinuierliche
Entwicklung im deutschen Südwesten?
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Die
Diskussion um den Übergang von der Antike zum Mittelalter
war lange Zeit geprägt von Vorstellungen einer Feindschaft
zwischen Römern und Germanen, wobei je nach Standpunkt dir
Römer zivilisiert oder dekadent und die Germanen barbarisch
oder "natürlich" waren. Der Fall des Limes um 260 n. Chr.
und die Rücknahme der römischen Verteidigunglinie gegenüber
den eindringenden Alamannen an den Rhein galt dabei als magische
Grenze, an der die hochentwickelte römische Kultur am Oberrhein
in Schutt und Asche sank. Erst mit dem Beginn der Reihengräberzeit,
also der fränkischen Besiedlung am Beginn des 6. Jahrhunderts,
betrat die historische Forschung wieder sicheren Boden. Auf die
"Allgemeine Geschichte" besehen aber stritt sich die Forschung
sehr lange und sehr intensiv, ob diese Übergangszeit eher
eine Zeit der Kontinuität (wie es Alfons Dopsch 1918/20 formuliert
hatte) oder eine Zeit des Bruches war - stritt sich auch darüber,
wo denn nun die Grenze zwischen Antike und Mittelalter zu ziehen
sei, ob nicht etwa erst die Araber im 7. Jahrhundert mit der "Teilung
der Mittelmeerwelt" in einen europäischen und einen islamischen
Teil der römischen Einheit ein Ende bereitet hätten
(so Henri Pirenne 1936).
Für
das Land am Oberrhein liegen zwei grundlegende Untersuchungen
- Aufsatzsammlungen - vor, die die neuesten Ergebnisse der Archäologie
und anderer "Hilfswissenschaften" in diesen Zusammenhang einbetten.
Sie zeigen ein enorm differenziertes Bild, das die herkömmliche
Vorstellung vom "Limessturm" in ganz entscheidenden Teilen zurechtrückt.
Die Alamannen waren demnach keineswegs die wilden Barbaren, die
am Oberrhein alles Römische kurz und klein schlugen und,
wie die archäologische Forschung mangels Funden lange Zeit
annahm, im Land umherstreiften, ohne sich auf Dauer niederzulassen
und Siedlungen zu gründen. Der Limes"fall" um 260 ist weniger
das Ergebnis einer alemannischen Eroberung, sondern eines inner-römischen
Bürgerkriegs, in dem eine der beiden Parteien die Alamannen
als Hilfstruppen zu Hilfe rief und wohl auch Siedlungsland in
Aussicht stellte. Markierungspunkt von Seiten der römischen
Geschichte ist hier die Gefangennahme und Tötung Kaiser Valerians
260 durch die Perser und die danach ausbrechenden Wirren um das
Sonderkaisertum in Gallien.
Die Alamannen streiften nun keineswegs die folgenden anderthalb
Jahrhunderte ziellos im ehemaligen Dekumatland umher. Sie ließen
sich in den römischen Siedlungen, vor allem in den römischen
Gutshöfen nieder (auch die römische villa rustica in
Großsachen zeigt alemannische Einbauten), bebauten die römischen
Äcker, handelten mit römischen Waren, bezahlten mit
römischem Geld und fühlten sich wohl alles in allem
als römische Föderaten, auch wenn sie sich in der Wirklichkeit
kaum um den Nachbarn jenseits des Rheins kümmerten. Mit der
Stabilisierung der römischen Macht um 370 begann Rom auch
wieder, rechts des Rheins Fuß zu fassen. Das ist die Zeit
der spätrömischen Kastelle von Alzey und Altrip, der
Burgi von Ladenburg, Neckarau und vom Zullestein und der Brückenköpfe
am Hochrhein. Diese Burgi dürften kaum in einem absolut feindlichen
Umfeld errichtet worden, sondern auf die offene oder stillschweigende
Duldung der Alamannen gestoßen sein.
Mit dem Einbruch der Burgunder um 410 ändert sich das Bild,
die Römer geraten wieder in Bedrängnis und zerstören
ihr eigenes Kastell Alzey, um dem Eindringling keine festen Plätze
zu überantworten. Alzey wird allerdings in der nach-burgundischen
Zeit um 436 wieder von den Römern befestigt.
In dieser Zeit ziehen sich die Alamannen aus den traditionellen
römischen Siedlungen zurück, die römische Basis
ihrer Kultur "trocknet" mehr und mehr aus, sie beginnen wieder
mit einer eher "traditionellen" alemannisch-germanischen Siedlungsweise.
Zu ihnen gehört der Zähringer Burgberg bei Freiburg,
der um 400 als Siedlungszentrum ausgebaut wird. Auf solchen Höhenburgen
konzentrieren sich auch Handwerk und Gewerbe.
Erst die fränkische Eroberung nach der für die Alamannen
verlorenen Schlacht bei Tolbiacum (Zülpich) 497 bringt dann
den endgültigen Umschwung in Richtung auf die heute noch
vorherrschende Siedlungsweise an den heute noch benutzten Siedlungsplätzen,
zusammen mit einer von fränkischen Staat organisierten und
für unseren Raum wohl vom Wormser Bistum getragenen Missionierung.
Das ist die Zeit der Reihengräberfelder, die zusammen mit
der Schicht der "-heim"-Orte den ältesten Horizont der fränkischen
Besiedlung markiert.
Die Frage stellt sich nur, was geschah mit der ansässigen
gallo-römischen Bevölkerung, mit den Neckarsueben, die
zum Zeitpunkt der alemannischen Landnahme bereits 2 Jahrhunderte
in der römischen Welt lebten und wohl bereits die römische
Kultur angenommen hatten. Bisher war man davon ausgegangen, diese
Bevölkerung sei "weggezogen", habe das Land verlassen - nur
wohin? Vor allem der sprachgeschichtlichen Forschung ist es zu
verdanken, daß diese romanisierte Bevölkerung nachgewiesen
werden kann - um Mainz, um Altrip und Ladenburg, deren Namen die
germanische Lautverschiebung p>pf nicht mitmachen, in der Vorbergzone
des Schwarzwaldes, wo sich die Welschen- und Walchen-Namen häufen,
und schließlich in den Tälern des Schwarzwaldes selbst,
wo Flurnamen romanischen Ursprungs romanische Sprachtraditionen
bis hinein in die karolingische Zeit verdeutlichen. Dann wird
man aber erneut darüber diskutieren müssen, ob nicht
Wallstadt und Walldorf doch Siedlungen dieser "Welschen" waren.
Den beiden vorgestellten Bänden ist diese Fragestellung,
vor allem die nach den Alamannen im 3. bis 5. Jahrhundert, gemeinsam.
Der Freiburger Band richtet naturgemäß sein Augenmerk
mehr auf den Breisgau, der andere, der Karlsruher, mehr auf den
nördlichen Oberrhein. Der Freiburger Band spannt darüber
hinaus den Bogen ins Hochmittelalter, geht auf den früh-
und hochmittelalterlichen Landesausbau ein, auf die Burgen des
Breisgaus, auf Episkopat und Adel, auf die Grundlagen und Zentren
der Königsherrschaft bis in die ottonische Zeit und schließlich
auf hochmittelalterliche Probleme um Erzbergbau und Montanarchäologie
und um die Frühgeschichte der Freiburger Stadtgründung.
Der Karlsruher Band thematisiert die interdisziplinäre Zusammenschau,
sowohl in der Einführung von Franz Staab als auch im abschließenden
Kapitel von Friedrich Prinz über die interkulturelle Synthese
im Frankenreich.
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