Schluss mit den Legenden

Die Heppenheimer Versammlung vom Oktober 1847 - kritisch besehen

„Die Namen Offenburg und Heppenheim standen fortan als Symbole der zunehmenden Polarisierung des demokratischen und des liberalen Lagers." So steht es nachzulesen im Katalog zur Landesausstellung „1848. Revolution der deutschen Demokraten in Baden" in Karlsruhe (S. 141). Ein bereits 1997 erschienener Band, der sich mit der Heppenheimer Versammlung im Oktober 1847 beschäftigt, ist allerdings geeignet, die Zusammenhänge um Offenburg und Heppenheim in ein etwas anderes Licht zu stellen.

Die Legende, die in der Geschichtsschreibung immer und immer wieder begegnet, dass die Heppenheimer Versammlung eine Reaktion der gemäßigten Liberalen auf das radikale Offenburger Programm sei, wird auch im Karlsruher Katalog schon relativiert: die Versammlung im Gasthaus zum „Halben Mond" in Heppenheim war immerhin „bereits zuvor geplant". Aber eine Untersuchung Roland Hoedes, die auf die Initiative der Kreisstadt Heppenheim zurückgeht, geht noch mehrere Schritte weiter.

Hoede stellt zunächst die Entwicklung des liberalen Gedankenguts in der Zeit der Reaktion dar und skizziert dann die seit 1839 regelmäßig gepflegten Treffen der liberalen Oppositionellen um Johann Adam von Itzstein auf dessen Weingut Hallgarten, an denen schon Männer wie Hecker, Blum und Bassermann teilnahmen. Presseorgan für die Liberalen wurde die in Heidelberg erscheinende „Deutsche Zeitung", die das offene Ziel verfolgte, „die ‘öffentliche Meinung für die Bedingungen nationaler Einheit und politischer Freiheit’ vorzubereiten" (offenbar Heinrich von Gagern zitiert), sich aber „wie ein Glaubensbekenntnis des Liberalismus auf der Grundlage der konstitutionellen Monarchie liest". Den linken Liberalen, wie z.B. Struve, war allerdings die Richtung der „Deutschen Zeitung" nicht radikal genug, sie setzten den in Mannheim erscheinenden „Deutschen Zuschauer" dagegen.

Daran anschließend erörtert Hoede das Programm der Offenburger Versammlung vom 12. September. Ausgehend von verschiedenen Interpretationen, unter denen die von Ernst Rudolf Huber in seiner deutschen Verfassungsgeschichte die nachhaltigste ist, untersucht er den eigentlichen Gehalt der 13 „Forderungen des Volkes" und kommt zu dem Ergebnis, dass der radikale Gehalt so gut wie allein durch die große Öffentlichkeit bedingt war. Eine grundlegende Spaltung des badischen Liberalismus vermag er hier nicht zu erkennen.

Der Unterschied zum Heppenheimer Programm liegt nach Hoede nicht in den Inhalten (die er durch eine Synoptik als nahezu übereinstimmend erweist), sondern allein in der Betrachtungsweise.

Die Teilnehmer der Heppenheimer Versammlung waren ausschließlich Landtagsabgeordnete des liberalen Lagers, die sich gewissermaßen konspirativ und auf der Grundlage persönlicher Beziehungen trafen (in Heppenheim, weil in Mannheim ein solches Treffen aufgefallen wäre) und das Programm einer kontinuierlichen und konsequenten Parlamentarisierung des deutschen Bundes und einer Liberalisierung der Verfassungen vertraten. Dass Hecker nicht anwesend war, geht nach Hoede nicht auf ideologische Differenzen zurück, sondern darauf, dass Hecker zu dieser Zeit eben kein Landtagsmandat hatte. Am Schluss der Heppenheimer Versammlung stand die Vereinbarung, sich auch künftig weiter zu treffen, um die politischen Ziele durchzusetzen, am Schluss stand auch die Veröffentlichung der Beschlüsse in der „Deutschen Zeitung". Hoede stellt fest, dass „die Reaktion ... in gewisser Weise machtlos wie das Kaninchen auf die Schlange" schaute, weil die Teilnehmer durch ihr Landtagsmandat zu populär waren als dass sie Opfer von Repressalien hätten werden können. Heppenheim ist für ihn nicht die Antwort der Gemäßigten auf Offenburg, um den Radikalen das Feld nicht kampflos zu überlassen, sondern ein lang geplanter und klug berechneter Schachzug in Richtung auf die deutsche Einheit. Die Versammlung galt in der Öffentlichkeit als ein erster Kongress zur Erfüllung der offenen nationalen deutschen Frage.

Interessant sind allerdings die von Heppenheim ausgehenden Fäden, die Hoede im Frühjahr 1848 ausmacht. Konnte die badische Regierung noch eine in Donaueschingen für den 21. September geplante Volksversammlung verbieten, gelang es dem württembergischen Kammerabgeordneten Friedrich Federer, am 17. Januar 1848 eine große Volksversammlung in Stuttgart zusammenzurufen, deren Forderungen das Heppenheimer Programm widerspiegeln.

Der in Heppenheim erhobenen Forderung nach einer Nationalvertretung beim Deutschen Bund kam der badische Kammerabgeordnete Friedrich Daniel Bassermann am 5. Februar 1848 nach, indem er den Antrag (Motion) einbrachte, die Bundesversammlung aufzuheben und eine deutsche Nationalversamlung zu bilden. Er begründete diesen Antrag am 12. Februar „bei gedrängt vollen Hause".

Der dritte Nagel wurde schließlich am 23. Februar eingeschlagen, als Karl Theodor Welcker und Karl Mathy in einer turbulenten Sitzung in der II. Kammer der badischen Landstände nicht nur wieder einmal die Aufhebung der Zensur forderten, sondern mehr oder weniger unverhüllt damit drohten, es werde „wirklich gefährlich, ... ganz unfehlbar verderblich für den Thron und die öffentliche Ruhe", wenn die Zensur nicht aufgehoben werde Am selben Tag zogen in Paris bereits die Revolutionäre auf die Straße.

Damit aber steht auch die Mannheimer Volksversammlung vom 27. Februar nicht mehr allein unter dem Eindruck der Pariser Ereignisse, sondern erscheint als logische Folge der revolutionären Aufbruchstimmung in Baden selbst.

Schließlich findet das Aktionsprogramm der „Heppenheimer" seine Erfüllung in der Zusammenkunft der 51 Liberalen in Heidelberg am 5. März, wo wieder Radikale und Gemäßigte zusammen am Plan einer deutschen Nationalversammlung arbeiteten. Erst hier soll, nach handschriftlichen Notizen Adam von Itzsteins, die Frage, ob Deutschland Monarchie oder Republik werden solle, kontrovers diskutiert worden sein. Hecker und Struve als Radikale sollen sich aber hier noch der Mehrheit gebeut und diese Entscheidung aufgeschoben haben.

Zum Schluss seiner Untersuchung fasst Hoede seine Ergebnisse in 8 Thesen zusammen. Offenburg und Heppenheim sind für ihn nicht vergleichbar, weil Offenburg eine Demonstration für die badische Landespolitik, Heppenheim aber ein Treffen für die deutsche Einheit gewesen sei. Heppenheim und Offenburg dokumentieren auch keineswegs eine tiefgreifende Spaltung der liberalen Opposition, wenn auch unzweifelhaft verschiedene Vorstellungen über Ziele und Vorgehen vorhanden waren. Erst die Erfahrungen im Vorparlament ließen die Gegensätze unversöhnlich werden, erst der Zug in die „außerparlamentarische Opposition" radikalisierte die Anhänger Heckers und Struves.

Was Heppenheim in der deutschen Parteigeschichte kennzeichnet, ist der erste Versuch, liberale Positionen in ein gesamtdeutsches politisches Aktionsprogramm einzubringen, mit dem klar formulierten Ziel, Parlamentsmandate in einer künftigen deutschen Nationalversammlung zu erringen. Damit steht Heppenheim am Beginn der liberalen Parteiorganisation in Deutschland, damit war Heppenheim auch - wie Hoede betont - der gegebene Ort, 1947 mit der Neugründung einer liberalen Partei an die liberalen Traditionen anzuknüpfen.

Hoedes Darstellung ist trotz aller Wissenschaftlichkeit lesbar geschrieben, keine Vermutung, keine Aussage bleibt unbelegt. Die wissenschaftliche Diskussion um die Vorgeschichte der Revolution von 1848 ist um ein wesentliches Werk bereichert worden.


Roland Hoede: Die Heppenheimer Versammlung vom 10. Oktober 1847. Frankfurt/M.: Kramer, 1997. ISBN 3-7829-0471-0. DM 34.-


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