Reichenau-Literatur

Dörthe Jakobs:
Sankt Georg in Reichenau-Oberzell. Der Bau und seine Ausstattung.
Bestand - Veränderungen - Restaurierungsgeschichte.


St. Georg auf der Insel Reichenau (Landkreis Konstanz) ist ein Kulturdenkmal von besonderer, nationaler Bedeutung, und nun auch Bestandteil des Weltkulturerbes, mit einem einzig-artigen, in einem frühmittelalterlichen Baubestand erhaltenen Wandmalereizyklus mit Wunderszenen aus dem Leben Christi.

Die Kirche in der Reichenauer Siedlung Oberzell kann heute als eine Gründung des Abtes Hatto angesehen werden, der 888 - 913 das Kloster auf der Bodenseeinsel leitete und 891 darüber hinaus den Mainzer Bi-schofsstuhl bestieg. Hatto gehörte zu den bedeutendsten Kirchenfürsten im ostfränkischen Reich. Die historischen Hintergründe zum Weihedatum von St. Georg (18. November) lassen auf seine wohl kalkulierte Festigung politischer Konstellationen zwischen dem Erzbistum Mainz und dem Reichskloster Reichenau schließen.

Dendrochronologische Datierungen und die Bewertung der Ergebnisse zur Bauanalyse im Zusammenhang der Quellen lassen den sicheren Schluss zu, dass Hatto die im Jahr 896 in Rom erhaltene Georgsreliquie vermutlich noch im gleichen Jahr - spätestens jedoch 899 in seiner neu erbauten Kirche niedergelegt hat. Die bisher umstrittene Krypta von St. Georg ist nach neueren Erkenntnissen nicht aus dem Baugeschehen dieser ersten Bauperiode auszuklammern, sondern muss als gleichzeitig mit dem heute noch weitgehend erhaltenen frühmittelalterlichen Baubestand angesehen werden.

Das dreibändige Werk beschreibt und dokumentiert im Detail eine von 1982 - 1990 dauernde und vom Landes-denkmalamt Baden-Württemberg geleitete Restaurierung, die alle Raumteile der Kirche und die Wandmalereien verschiedener Entstehungszei-ten einbezog und umfangreiche und in ihrer Methodik damals wegweisende Untersuchungen ermöglichte. Die Verzahnung der Ergebnisse aus unterschiedlichsten Forschungsbereichen bis hin zu naturwissenschaftlichen Analysen bietet erstmals einen ganzheitlichen Blick auf die über 1100-jährige Geschichte der Kirche mit ihrer Ausstattung. Auf der Grundlage dieser Untersuchungsergebnisse zur Bau- und Ausstattungsgeschichte erlauben auch die Quellen zur Bau- und Kichengeschichte neue Aussagen.

Die Wandmalereien an den Langhauswänden des Mittelschiffs, der größte Schatz dieser spätkarolingischen Kirche, stellen in großen Bildfeldern Wundertaten Christi dar und zeigen in den Zwickeln zwischen den Arkaden Medaillons mit Bildern von Äbten sowie zwischen den Obergadenfenstern Apostelfiguren. Sie vermitteln trotz ihres angegriffenen Zustandes den Eindruck einer voll ausgemalten hochmittelalterlichen Kirche.

Umfassende Untersuchungen zur Maltechnik der Wandmalereien im Mittelschiff sowie zu den Ausmalungen in der Krypta und der Mi-chaelskapelle ermöglichen heute präzisere Aus-künfte sowohl über ihre Entstehung, als auch über ihr Schicksal im Laufe der Jahrhunderte. Die daraus gewonnenen Argumente erlauben die schlüssige Vermutung, dass der Mit-telschiffzyklus später als der Bau der Kirche selbst entstand. Stilistische Vergleiche mit der Reichenauer Buchmalerei der 2. Hälfte des 10. Jahrhunderts weisen den Vorbildcharakter der ottonischen Buchmalerei auf.

Die Spurensicherung aus der spät- und nach-mittelalterlichen Geschichte von St. Georg zeigt in den Bauveränderungen und damit einhergehenden Um- und Neugestaltungen das Bild einer Kirche, die ungebrochen in allen Zeiten genutzt und dem jeweiligen Zeitgeschmack angeglichen wurde. Neben bauliche Veränderun-gen treten hier Ausmalungen der verschiedenen Epochen, die in der Barockisierung des Innenraums und der Neugestaltung der Westapsis gip-felten.

Zur Dokumentation gehört aber auch seit dem Ende des 19. Jahrhunderts die Geschichte der Restaurierungen, die mit der Entdeckung und Freilegung des Wandmalereizyklus im Mittelschiff ihren Anfang nahm. Die Autorin zog hierzu akribisch auch die Kirchen- und Handwerkerrechnungen und stellt so ein reich dokumentiertes Kapitel in der Vergangenheit von St.Georg dar.

Ein eigener Teil der Veröffentlichung stellt die Untersuchung und Dokumentation der in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts durchgeführten Restaurierung samt ihrer methodischen Grundlagen dar, die Maßstäbe für die Denkmalpflege und Restaurierung gesetzt hat.

Verschiedenste Untersuchungsverfahren bis hin zu mikroskopischen Betrachtungen brachten eine Unzahl von Facetten, die zu den gewonnenen Aussagen über Bau- und Ausstattungsgeschichte zusammenzuführen waren. So ergaben sich aus den Analysen und mikroskopischen Untersuchungen der Mörtel grundlegende Erkenntnisse zum Bauverlauf, während die differenzierten maltechnischen Analysen bis hin zur Pigment- und Bindemittelbestimmung mit Darstellung der Schichtensituation in Mikroschliffen wesentlich zum Verständnis der Maltechnik mittelalterlicher Wandmalereien bei tragen. Darüber hinaus zeigen UV-Fluoreszenzaufnahmen, in welchem Maße zerstörte Binnenzeich-nungen wieder sichtbar gemacht werden können. Die Einblicke in die Untersuchungsmethodik werden durch die Zusammenfassung zu den Restaurierungsmaßnahmen abgerundet.

Der komplexe Tafelband umfasst neben dem umfangreichen historischen und neuzeitlichen Plan- und Abbildungsmaterial und einer neuen Bauaufnahme durch die Photogrammmetrie des Landesdenkmalarntes einen Katalogteil mit den Texttransskriptionen wichtiger Archivalien zur Baugeschichte von St. Georg, auch verschiedene Beiträge zur messtechnischen Bestandsdoku-mentation (Martin Dendler),. zum Inventar der beweglichen Ausstattung (Markus Maisel) und zu den erhaltenen Grabplatten in der Vorhalle von St. Georg (Harald Drös).

Die überaus qualitätvolle Buchgestaltung mit den hervorragenden Abbildungen im Text- und Tafelband machen diese Publikation zu einer unverzichtbaren Dokumentation und zu einem unentbehrlichen Begleiter.


Dörthe Jakobs: Sankt Georg in Reichenau-Oberzell. Der Bau und seine Ausstattung. Bestand - Veränderungen - Restaurierungsgeschichte. Mit Beiträgen von Martin Dendler, Harald Drös und Markus Maisel.
Forschungen und Berichte der Bau- und Kunst-denkmalpflege in Baden-Württemberg, Band 9. Konrad-Theiss-Verlag, Stuttgart 1999.
3 Bände, zusammen 952 Seiten mit 1080 über-wiegend farbigen Abbildungen und 202 Taten, Leinen mit Schutzumschlag, im Schuber.
398.— DM. ISBN 3-8062-1462-X.

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